Mütend ist das neue Modewort. Es soll den Zustand der Bevölkerung im aktuellen Stadium der Corona-Pandemie beschreiben. Eben eine Mischung aus müde und wütend.
Müde, weil man aktuell nun einmal müde ist. Müde von stundenlangen Ministerpräsidentenkonferenzen im Kanzleramt, die am Ende verkorkste Konzepte wie die jüngst abgeräumte "Osterruhe" hervorbringen. Müde von dem vielen Herumsitzen in den eigenen vier Wänden, zu dem es auch nach einem Jahr Pandemie keine wirklichen Alternativen gibt.
Und wütend auf die Unfähigkeit der Regierenden, sinnvolle Strategien zu erarbeiten, um endlich aus dem quälend langen "Lockdown light" zu kommen, der sich schon lange nicht mehr light anfühlt, sondern nach einigen Monaten ganz schön heavy auf der Seele lastet.
Auch Angela Merkel ist mütend. Das war in der Talk-Sendung mit Anne Will am Sonntagabend gut zu sehen. Mit geröteten Augen saß sie im Sessel gegenüber der Talk-Masterin, bei der sie immer dann zu Gast ist, wenn sie das Gefühl hat, in die Defensive geraten zu sein und etwas klarstellen zu müssen. Oftmals bewies sie dabei Schlagfertigkeit und Witz und auch eine gewisse Menge Optimismus. Dieses Mal nicht.
Angela Merkel wirkte müde. Müde von den nächtelangen Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten und der Blockadehaltung der Landesfürsten. Und erschöpft von den vielen Konferenzen, bei denen sie für härtere Maßnahmen plädiert hatte, sich aber nicht durchsetzen konnte und doch jedes Mal recht behalten sollte mit ihren Mahnungen.
Und doch war sie auch wütend, insofern man diese Gefühlsregung überhaupt einmal von der Bundeskanzlerin zu sehen bekommt. Angela Merkel beschwerte sich über die Ministerpräsidenten, die trotz vereinbarter Notbremse lockerten, über "Testen und Bummeln" in Berlin und über Armin Laschet, der eigentlich ihren Posten erben sollte.
Aber vor allem ärgerte sie offensichtlich, dass sie von den Ministerpräsidenten in die Rolle des Buhmanns gedrängt wurde. Sie müsse den Spielverderber geben, während die Ministerpräsidenten sich in der Rolle der Lockerungs-Befürworter sonnen könnten. Dabei sei es ihre gemeinsame Verantwortung, auf die gestiegenen Corona-Zahlen zu reagieren.
Wenn es nach ihr ginge, sähe es anders aus, so die Nachricht, die die Bundeskanzlerin an diesem Abend vermittelt. Dass es nicht nach ihr geht, zeigt, dass sie am Ende ihrer Kräfte angelangt ist. Das Aussitzen von Konflikten, das Moderieren von Gesprächsrunden, die nächtelangen Verhandlungen, an deren Ende stets sie selbst als Siegerin hervortrat, das alles funktioniert nicht mehr.
Und so bleibt ihr an diesem Abend nicht mehr als mahnende Worte an die Ministerpräsidenten. Entgegen der Erwartungen vieler Zuschauer hatte sie keine neuen Maßnahmen im Gepäck, keinen Plan, wie es nun weitergehen soll und auch nicht wirklich eine Vision. Sie wollte keine weitere Übertragung von Kompetenzen an den Bund und auch keinen harten Lockdown wie er in Portugal umgesetzt wurde. Sie hatte keine wirklichen Lösungen parat, sondern höchstens Appelle an die Ministerpräsidenten, die aktuellen Maßnahmen einzuhalten. Die Kanzlerin wirkte so ratlos wie nie.
Der Besuch von Angela Merkel bei Anne Will fühlte sich wie ein Abschied an. Noch einmal wird sich die Kanzlerin höchst wahrscheinlich nicht in die Sendung wagen. So viel Zeit ist auch gar nicht mehr bis zu ihrem Abschied aus der Bundespolitik im Herbst. So gesehen war der Auftritt der Bundeskanzlerin am Sonntagabend auch das Ende einer Ära.
"Die CDU hat keinen Rechtsanspruch auf das Kanzleramt", sagte die Kanzlerin noch kurz vor Ende der Sendung. Ein Satz, den viele in ihrer Partei anders sehen. Bis zuletzt auch sie selbst. Während ihrer Kanzlerschaft lautete das Credo, es müsse sichergestellt werden, dass keine Mehrheiten gegen die CDU möglich sind. Übersetzt heißt das: Die CDU stellt den Kanzler beziehungsweise die Kanzlerin.
Dass die Kanzlerin diesen Anspruch so nicht mehr formuliert, lässt tief blicken. Vielleicht ist Angela Merkel selbst nicht mehr so ganz davon überzeugt, dass einer ihrer Nachfolger das Zeug dazu hat. Und vielleicht hätte auch sie lieber einen Kanzler beziehungsweise eine Kanzlerin von den Grünen. Die unterstützen ihre Forderung nach härteren Maßnahmen jedenfalls.