"FDP lehnt TV-Triell der Kanzlerkandidaten ab – Kubicki nennt mögliche Teilnahme von SPD-Kandidat Scholz 'albern'", huschte es am Dienstagabend über die Ticker der Redaktionen. Ein erster Reflex: Lachen oder zumindest kichern. Da hat FDP-Vize Wolfgang Kubicki mal wieder einen rausgehauen, der erste Gedanke. Dann nach kurzem Überlegen die Einsicht: Das ist gar nicht so weit weg von der Realität.
Mit 14 Prozent in den Umfragen den Kanzler stellen zu wollen, fordert tatsächlich ganz schön Chuzpe. Früher war das noch undenkbar gewesen: 14,6 Prozent hatte die FDP bei der Bundestagswahl 2009 erlangen können. Damals hatte sie den Anstand besessen, Guido Westerwelle nach 2002 nicht noch einmal als Kanzlerkandidaten antreten zu lassen. Es war damals schlicht absurd, zu glauben, dass eine Partei mit so wenigen Stimmen den Kanzler stellen könnte.
Aktuell rangieren die Freien Demokraten je nach Umfrage bei elf bis 12 Prozent, ebenso wie die AfD. Wenn man nun der Logik der SPD folgt und die Entwicklung der Wahlergebnisse und Umfragen der letzten Jahre konsequent weiterdenkt, stellt sich die unvermeidliche Frage: Sollen die beiden Parteien notwendigerweise nun auch einen Kanzlerkandidaten aufstellen? Nur zur Sicherheit, falls sich rechnerisch irgendwie Mehrheiten generieren lassen, bei denen eine der beiden Parteien die stärkste Kraft darstellt.
Dass die SPD in den Umfragen weiter abstürzt, ist so tragisch wie trivial. Inzwischen wird schon kaum mehr über die neuesten Umfragetiefs berichtet: Die Meldungen haben einfach keinen Nachrichtenwert mehr. Stattdessen stürzen sich die Medien auf die neuen Höchstwerte der Grünen, die drohen die Umfrageergebnisse der Union in den Schatten zu stellen. Als Robert Habeck zu Beginn seiner Zeit als grüner Co-Parteivorsitzender erklärte, er habe mit den Grünen vor, die SPD als Volkspartei zu beerben, da wurde er von vielen belächelt. 2021 ist exakt das eingetreten.
Und daran trägt die SPD mit Schuld. Über die vielen Versäumnisse und Gründe für den Niedergang der Sozialdemokratie wurde bereits ausufernd und viel geschrieben. Die offen ausgetragenen Lager- und Richtungsstreitigkeiten innerhalb der Partei sind schon so sinnbildlich geworden, dass viele überrascht waren, ähnliche Verhaltensweisen jüngst bei der Union wiederzuerkennen, als es um deren Kanzlerkandidaten ging.
Dass von der Schwäche der Union statt der SPD die Grünen profitieren konnten, liegt vor allem an einem Begriff, den Annalena Baerbock bei der Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur benutzt und damit auch nachhaltig geprägt hat: Die Grünen haben schlicht das bessere "Angebot" in Petto.
Bei den großen und drängenden Fragen unserer Zeit, sei es Migration oder Klimaschutz, befindet sich die SPD meist im Ungefähren, während die Grünen nachvollziehbar und klar Position beziehen. Das fällt letzteren sicher auch leichter, da sie aktuell in weniger Landesregierungen vertreten sind als die SPD und auch im Bund nicht mitregieren. Gleichzeitig nimmt man es der "Öko-Partei" auch einfach ab, dass sie in Sachen Klimaschutz mehr Kompetenz vorzuweisen hat als die Genossen.
Und die SPD trägt ihren eigenen Anteil dazu bei: Mit ihrer ambivalenten Haltung während der Flüchtlingskrise konnte sie ebenso wenig begeistern wie mit der eigenen Klimapolitik. Vor weniger als zwei Wochen noch hat die SPD-Antragskommission es abgelehnt, im Wahlprogramm ein ehrgeizigeres Klimaziel als die Klimaneutralität bis 2050 zu fordern.
Inzwischen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe diesen Beschluss überholt. Nun soll Deutschland bereits bis 2045 klimaneutral werden. Die SPD droht in ihrem Parteiprogramm ein veraltetes Klimaziel zu fordern, das bereits vom Bundesverfassungsgericht einkassiert wurde. Der Eindruck, der hier sinnbildlich für die gesamte Sozialdemokratie entsteht: Die SPD hinkt dem Zeitgeist hinterher.
Am kommenden Sonntag findet der Bundesparteitag der SPD statt. Er ist kurz gehalten. Lediglich dreieinhalb Stunden sind eingeplant. Viel zu besprechen gibt es auch gar nicht, der Kanzlerkandidat steht bereits seit bald einem Jahr fest. Logo und Kampagne wurden Anfang des Jahres enthüllt. Fraglich wird eher sein, ob Parteivorsitz und Kanzlerkandidat es schaffen werden, ihre Partei hinter Scholz zu scharen und im besten Fall zu begeistern. Ob das klappen wird, ist fraglich: Für emotionale Reden ist der "Scholzomat" nicht unbedingt bekannt.
Aber den einen oder anderen Funken wird es am kommenden Sonntag brauchen. Denn spätestens dann muss Olaf Scholz den Turbo zünden und seine Partei in den Wahlkampf zur Bundestagswahl führen. Sollte die SPD in Sachen Wahlkampf nicht bald Vollgas geben, wird Wolfgang Kubicki recht behalten und das Kanzlerduell kann weiter wie bisher in vertrauter Zweisamkeit stattfinden – nur dieses Mal ohne die SPD.