Hansi Flick gegen Karl Lauterbach: Das ist vermutlich der absurdeste Streit, den Deutschland seit Beginn der Corona-Krise erlebt hat. Der Trainer des deutschen Fußball-Dauermeisters nennt den SPD-Gesundheitspolitiker einen "sogenannten Experten" und wirft ihm und anderen Politikern vor, dass "jeder aus der Situation seinen Profit schlagen will". Flick ist nicht der erste und nicht der letzte prominente Mensch in Deutschland, der sich in der Corona-Krise an Lauterbach abarbeitet.
Karl Lauterbach hat das nicht verdient.
Kritik an prominenten Politikern ist wichtig. Kritik muss jeder Mensch aushalten können, der ein Bundestagsmandat ausübt. Und erst recht Karl Lauterbach, der mit einer bemerkenswerten Ausdauer von Talkshow zu Talkshow wandert und Interviewfragen beantwortet. Seit Monaten spricht der Gesundheitspolitiker unpopuläre Forderungen aus, warnt vor zu viel Gelassenheit im Umgang mit dem Coronavirus. Es sind selten beruhigende Worte.
Karl Lauterbach kriegt aber momentan viel mehr ab als die Kritik an seinen Forderungen und Auftritten. Er ist der Buhmann, an dem viele Menschen ihren Frust entladen.
Ja, man kann finden, dass ein prominenter Politiker wie Lauterbach in Krisenzeiten mehr Optimismus verbreiten sollte. Man sollte dabei aber zweierlei berücksichtigen:
Bayern-Coach Hansi Flick ist offensichtlich einer der Menschen, denen das auf die Nerven geht. Der Auslöser von Flicks verbalem Angriff auf Lauterbach war, dass der SPD-Politiker die Sonderstellung des Profifußballs in der Corona-Krise kritisiert hatte: die Verlegungen von Europapokal-Partien von einer Ecke Europas in die andere, die Einreise des Corona-positiven Thomas Müller aus Katar nach Deutschland. Lauterbach ist nicht der erste, der diese Privilegien kritisiert. Es mag menschlich nachvollziehbar sein, dass Flick darauf mit einem verbalen Angriff reagiert. Es hat aber eine brandgefährliche Nebenwirkung: Denn auch wenn Flick das sicherlich nicht will, bestärkt er damit auch diejenigen, die in Lauterbachs digitale und analoge Postfächer seit Monaten Drohungen, Beschimpfungen und widerlichste Hassrede kübeln.
Andererseits gehört Hansi Flick zu den Millionen Menschen, die sich nach Normalität sehnen. Die sich volle Fußballstadien, Geschäfte und Flugzeuge herbeisehnen, die Papa oder Oma wieder ohne Angst umarmen wollen. Karl Lauterbach hat aber seit Monaten immer wieder die eine, unbequeme wie auslaugende Botschaft: Wir wissen nicht, wann diese Normalität wiederkommen.
Das ist aber nicht Lauterbachs Schuld. Im Gegenteil. Lauterbach hat – wie der Chefvirologe der Berliner Charité Christian Drosten – seit Beginn der Pandemie immer wieder Recht behalten mit seinen vermeintlich nervtötenden Botschaften. Im vergangenen September warnte Lauterbach, auf Deutschland könnten 5.000 Corona-Fälle pro Tag zukommen, wenn die Regeln zur Maskenpflicht nicht verschärft und die Teilnehmerzahl von Veranstaltungen nicht verringert würden.
Entspanntere Politiker wie FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki taten das als unbegründete Panik ab. Bis Anfang November lief das gelockerte Leben in Deutschland fast ungeändert weiter. Später, zur Weihnachtszeit, wurden in Deutschland pro Tag 20.000 Menschen positiv getestet, viermal mehr, als der angebliche Panikmacher Lauterbach befürchtet hatte.
Hätte man auf manche Ratschläge Lauterbachs früher gehört, wäre dem Land viel Corona-Frust erspart geblieben. Auch das gehört zur Wahrheit.
Was viele nicht wahrhaben wollen: Auch ein Jahr, nachdem die Corona-Krise Deutschland erwischt hat, gibt es keine schnellen Lösungen. Weiter sterben zu viele Menschen an Covid-19, weiter ist es nicht zu verantworten, Menschen ohne Hürden reisen, shoppen, abends weggehen zu lassen. Auch dafür kann aber Karl Lauterbach nichts. Frust an ihm auszulassen, bringt die Normalität keinen Zentimeter näher.
Hilfreicher, um diese hoffentlich letzten Wochen des Corona-Ausnahmezustandes durchzustehen, wäre etwas Anderes: der Blick auf die guten Nachrichten.
Die Corona-Krise wird trotzdem noch eine Weile anstrengend bleiben, klar. Karl Lauterbach wird weiter davor warnen, zu schnell nachlässig zu werden. Das wird viele aufregen. Aber Politiker, die niemandem auf die Nerven gehen, machen selten einen guten Job.