Berlin: Polizisten fabulieren in einer Chatgruppe über "Merkels Gäste", die "wie Heuschrecken" über Europa kämen. Essen: Polizeibeamte verschicken Bilder von Adolf Hitler und von einem Flüchtling in einer Gaskammer. Das sind nur die jüngsten dokumentierten Fälle von Rechtsextremismus in deutschen Polizeibehörden, die in den vergangenen Monaten öffentlich geworden sind.
Es sind ekelerregende Einblicke in die Gedankenwelt von Menschen, die in einem demokratischen Rechtsstaat nie Zugriff auf Dienstwaffen haben dürften, die nie das staatliche Gewaltmonopol ausüben dürften. In den kommenden Monaten wird es wohl noch mehr dieser Enthüllungen geben. Und es wird immer noch nicht genug getan, um Rassismus bei der Polizei zu begegnen.
Was jetzt dringend nötig wäre:
Denn es mag ja sein, dass der Anteil von Rechtsextremen in der Polizei und in der Bundeswehr nicht größer ist als in der gesamten Gesellschaft – oder sogar kleiner.
Aber erstens wäre es gut, dazu belastbare Zahlen zu haben. Und zweitens kann ein durchtrainierter Rassist, der in einer Uniform steckt und legalen Zugang zu scharfen Waffen hat, eben tendenziell deutlich gefährlicher für manche Mitmenschen als einer mit Bierbauch, der seine menschenverachtenden Sprüche über die Kneipentheke grölt.
Es gibt aber auch eine gute Nachricht, die hinter den Enthüllungen über braune Abgründe steckt.
Rassismus und Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden sind ja nicht neu, es gibt sie dort seit Jahrzehnten – so wie in der gesamten Gesellschaft. Aber jetzt wird endlich in der breiten Gesellschaft darüber diskutiert. Der Druck auf die Menschenfeinde wird größer, auch seitens staatlicher Behörden:
Und es stimmt auch nicht, dass die Gesellschaft in Deutschland in den vergangenen Jahren nach rechts gerückt wäre – so sehr das manche Journalisten, Politiker und Aktivisten auch immer wieder behaupten mögen.
Es ist anders: Die Stimmen der Menschen, die von Rassismus und sonstiger Menschenfeindlichkeit betroffen sind, die Stimmen von LGBTQI und People of Color sind lauter und deutlicher hörbar geworden. Rassismuskritische Bücher wie "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" von Alice Hasters sind endlich in den Bestsellerlisten. Wer sich in den Medien und im politischen Betrieb rassistisch, antisemitisch, homo- oder transphob äußert, dem wird so deutlich widersprochen wie nie zuvor.
Man muss nur auf CDU und CSU schauen, um zu verstehen, wie groß die Fortschritte der vergangenen 25 Jahre sind – auf die Parteien also, die in Deutschland in 18 der 25 Jahre seit 1995 die mächtigste Position hatten.
Vor 21 Jahren wurde es in der CDU akzeptiert, dass ihr hessischer Spitzenkandidat Roland Koch mit einer üblen Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in den Wahlkampf ging – und gewann. Es war vor 19 Jahren akzeptiert, dass in NRW der CDU-Mann und spätere Ministerpräsident Jürgen Rüttgers "Kinder statt Inder" an die Computer holen wollte. Und vor 20 Jahren bekam auf dem CDU-Parteitag Hans Filbinger satten Applaus, ehemaliger baden-württembergischer Ministerpräsident und in der Nazi-Zeit Marinerichter, der Deserteure zum Tode verurteilte. Filbinger hatte in seiner Rede die Zulassung homosexueller Lebenspartnerschaften eine "Pervertierung" der Verfassung genannt, gegen das Abtreibungsrecht gewettert, ein Ende der "Geschichtsklitterung" in Schulbüchern gefordert, in denen es zu sehr um den Nationalsozialismus gehe.
Heute bekennen sich zwei führende CDU-Politiker, Jens Spahn und Düzen Tekkal, in einem FAZ-Gastbeitrag zu einem "weltoffenen Patriotismus", der zugewanderten Menschen sage: " Ihr gehört dazu! Unsere Nation ist auch euer Zuhause." Heute bekommt CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz massiven Gegenwind auch aus der eigenen Partei, weil er auf die Frage nach einem homosexuellen Bundeskanzler mit dem Verweis auf Pädophilie antwortet. Und im Jahr 2020 sagt der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder über LGBTQI, dass jede Liebe "segenswert" sei. Und er tritt in München als Redner auf einer Anti-Rassismus-Demo auf, in der er die AfD als "neue NPD" bezeichnet.
Ja, es gibt noch viel zu tun im Kampf gegen Rechtsextremismus. Im vergangenen Jahr haben Rechtsterroristen in Halle und Hanau mörderische Attentate verübt, mit der AfD haben die Menschenfeinde sogar Fürsprecher im Bundestag. Aber die deutsche Gesellschaft ist für diesen Kampf besser gerüstet als je zuvor.