Ist es vielleicht doch nicht ganz so dufte, Polizisten in einem Artikel mit Abfall gleichzusetzen?
Hat die SPD-Chefin Saskia Esken eine Mitschuld an den Plünderungen und Prügeleien von Stuttgart, weil sie von "latentem Rassismus" bei der Polizei gesprochen hat?
Das sind zwei Fragen, die in Deutschland gerade ernsthaft diskutiert werden.
Beide Fragen sind bemerkenswert dämlich.
Beide Fragen sind Beispiele dafür, wie man nicht über Polizei und Gewalt diskutieren sollte. Und hinter beiden Fragen verbergen sich unbequeme Wahrheiten.
Über die erste Frage – ob es vertretbar ist, Polizisten mit Abfall gleichzusetzen – wird ernsthaft diskutiert, seit in der "taz" am vergangenen Montag eine Kolumne erschienen ist. In dem Artikel spricht die Autorin zunächst Absatz für Absatz Menschen in der Polizei ab, irgendeine gesellschaftlich nützliche Arbeit tun zu können. Sie schließt damit, nur auf der Müllhalde würden Polizisten keinen Schaden anrichten, und das auch nur dort, "wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind." Schlusssatz "Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."
Selbstverständlich ist so eine Gleichsetzung nicht vertretbar. Sie ist widerwärtig. Und es ist atemberaubend, mit welchen Argumenten manche Menschen diese extrem abwertenden Zeilen verteidigen.
Wer das tut, der belegt die erste unbequeme Wahrheit: Es gibt, gerade auf der politischen Linken, eine erschreckend hohe Zahl an Menschen, die blind sind für Abwertung und Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten. Die jede noch so widerwärtige Hassbotschaft irgendwie in Ordnung finden, wenn sie sich gegen Menschen in Uniform richtet – vom idiotisch dahingesprühten Spruch "All Cops are Bastards" bis hin zu Steinwürfen auf Polizisten.
Vor allem Politikerinnen und Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD müssen sich dieser unbequemen Wahrheit stellen, linke Aktivistinnen und politisch Interessierte. Sie müssen endlich begreifen, dass nichts daran in Ordnung ist, Berufsgruppen kollektiv abzuwerten, ihnen das Menschsein abzusprechen. Und dass, wer das tut, die Grenzen des demokratischen Anstands überschreitet.
Die zweite Frage – ob SPD-Chefin Esken eine Mitschuld trägt an der Gewaltorgie von Stuttgart – haben unter anderem der baden-württembergische CDU-Politiker Thomas Blenke und Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft DPolG, aufgeworfen. Sie erklärten, die Randalierer hätten sich durch Eskens Aussage, in der Polizei gebe es "latenten Rassismus", bestärkt gefühlt.
Das ist Unfug. Wer ernsthaft glaubt, die Gewalttäter von Stuttgart würden die Aussage einer (bei vielen Menschen immer noch ziemlich wenig bekannten) SPD-Chefin für nötig halten, um ihre Zerstörungswut zu rechtfertigen, der belegt vor allem die zweite unbequeme Wahrheit: Dass es, vor allem unter Konservativen, Menschen gibt, die blind sind für Missstände innerhalb der Polizei – und die auf Kritik nur mit Verleugnen, Verdrängen und Gegenattacken reagieren.
In Polizeigewerkschaften, bei Politikern der Union und rechts davon sieht man diese Reaktion viel zu oft: Wenn es um rechtsextreme Netzwerke in der Polizei wie "NSU 2.0" geht, um Fälle übermäßiger Polizeigewalt, um den skandalösen Fall des Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte.
Wer darauf immer wieder nur antwortet, indem er einen "Generalverdacht" beklagt, vor dem man Polizistinnen und Polizisten schützen müsse, der tut niemandem wirklich einen Gefallen – weil diese reflexhafte Verteidigung am Ende bei vielen Menschen nur das Misstrauen gegen die Polizei erhöht.
Wenn sich in der Debatte rund um Gewalt und Polizei beide Seiten – die Polizistenverachter und ihre Verteidiger auf der einen Seite und die Polizeiproblemleugner auf der anderen – ihre Sprüche an den Kopf werfen, dann ist diese Debatte sinnlos.
Vor allem, wenn sich die beiden Streitparteien dann auch noch gegenseitig bestärken: Wenn auf der einen Seite die CSU auf ihren Social-Media-Kanälen auf den unsäglichen "taz"-Artikel mit einem hetzerischen Bildpost antwortet, auf dem sie die Autorin mit Foto und Namen der Hater-Meute zum Fraß vorwirft (wofür sich CSU-Generalsekretär Markus Blume, immerhin, nach ein paar Stunden, entschuldigt hat).
Und wenn auf der anderen allzu vielen Linken als Antwort auf Fälle von Rassismus und Rechtsextremismus bei der Polizei nichts Besseres einfällt, als deren Abschaffung zu fordern.
Wirklich weiterbringen wird die Gesellschaft die Debatte nur, wenn sie unbequem wird: Wenn also Menschen auf beiden Seiten der gedanklichen Barrikade auf die jeweils andere zugehen. Wenn sie nicht mehr leugnen oder verdrängen, was nicht ins eigene Weltbild vom entweder immerbösen oder heiligen Polizisten passt. Mit Entweder-Oder geht es nicht voran, nur mit Sowohl-Als-Auch.
Polizisten müssen bei ihren Einsätzen vor Gewalttätern geschützt werden – und so geschult, dass sie selbst nur so viel Gewalt anwenden wie unbedingt nötig. Einerseits muss jeder halbwegs seriöse Politiker sich von linksextremen Organisationen abgrenzen, die Polizisten das Menschsein absprechen und Gewalt gegen sie billigen – andererseits muss jeder Polizist es ertragen, dass seine Arbeit immer unter Beobachtung steht und Exzesse bestraft werden.
Die Polizei muss Rechenschaft darüber ablegen, warum nur so wenige Fälle angezeigter Polizeigewalt vor Gericht landen, warum es sein kann, dass sich immer wieder Abgründe von Rechtsextremismus bei manchen Polizisten auftun – aber andererseits muss zurecht mit harter Kritik rechnen, wer Polizisten pauschal als Nazis oder Rassisten bezeichnet.
Ein demokratischer Staat muss beides leisten: Er muss Polizistinnen und Polizisten, die buchstäblich ihren Kopf hinhalten für die Sicherheit der Bürger, schützen, so gut es geht. Und er muss die Polizei kontrollieren, Fehlverhalten bestrafen, und klarmachen: Wer gegen die Grundwerte der Demokratie verstößt, hat in der Polizei nichts verloren.