Tipico ist noch mindestens bis 2025 Platin-Partner des FC Bayern München.Bild: imago images / Bernd Feil
Vor Ort
Dramatisch-sphärische Musik. Es ist Nacht. Ein junger Mann steht mit dem Handy in der Hand gegen sein Auto gelehnt an einer Tankstelle. Cut. Ein Mann schwenkt eine Fahne – leicht erleuchtet durch rotes Neonlicht. Cut. Fußballspieler laufen eine dunkle Straße entlang. Cut. Junge Männer stehen in einer U-Bahn. Cut.
Tipico-Neonröhren. Dann zoomt der Spot auf die App: "Wette gewonnen." Die Musik wird heroisch, zu sehen sind Menschen, die gewonnen haben, die gemeinsam feiern, die sich anscheinend für die Könige der Welt halten. Emotionen. "Du bist im Modus, voll dabei, an jedem verdammten Spieltag", sagt die Stimme passenderweise. Und dann: "Gewinnen kann jeder, aber du willst mehr."
Konkret wollen in Deutschland knapp 1,3 Millionen Menschen mehr – viel mehr. Sie können nicht aufhören, mehr zu wollen, weil sie an einer Glücksspielsucht erkrankt sind.
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Anzahl der Glücksspielsüchtigen ist alarmierend
Sucht ist eine Krankheit. Ebenso wie die Abhängigkeit von Alkohol, Nikotin oder anderen Drogen können Menschen durch Glücksspiel erkranken. Und dazu zählen Sportwetten ebenso wie einarmige Banditen oder Casinos. Für Betroffene bedeutet das: Sie verlieren mit der Zeit viel Geld. Manche so viel, dass sie und ihre Familien deshalb auf Sozialhilfe vom Staat angewiesen sind.
Gleichzeitig sind Sportwettanbieter wie Tipico oder Bwin Hauptsponsoren der Fußball-Bundesliga. In den Stadien hängen ihre Banner, manche Vereine tragen die Logos sogar auf der Brust ihrer Trikots. An Spieltagen laufen Werbespots hoch und runter.
Ein Umstand, der vielen Menschen quer im Magen liegt. Darunter auch der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) – er will sich für Werbeverbote für Suchtmittel starkmachen. Für sein Diskussionsformat "Debatte (ge)Sucht" hat er deshalb verschiedene Akteure im Berliner Olympiastadion zusammengebracht.
"Tipico ist ein Unternehmen, das sich auf Grundlage gesetzlicher Bestimmungen bewegt", rechtfertigt Jürgen Paepke von der DFL die Zusammenarbeit.
Burkhard Blienert (SPD) ist der Bundesdrogenbeauftragte der Bundesregierung.Bild: dpa / Hendrik Schmidt
Er bezieht sich damit auf den Glücksspielstaatsvertrag, der seit 2021 in Kraft ist. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) nennt den Vertrag den "kleinstmöglichen Nenner". Zugestimmt habe die Hansestadt, weil es ansonsten gar keinen Vertrag gegeben hätte. Glücksspielregulierung ist Ländersache – und die 16 Bundesländer finden offensichtlich schwer einen gemeinsamen Nenner.
Die Ziele des Vertrags:
- Entstehen von Glücksspielsucht verhindern
- Glücksspielangebot begrenzen und Schwarzmarkt austrocknen
- Jugend- und Spieler:innen-Schutz gewährleisten
- "Sicherheit" von Glücksspiel erhöhen – Betrug verhindern
2026 sollen die Maßnahmen, die gerade das Online-Glücksspiel reglementieren, umfassend evaluiert werden.
Borussia Dortmund wird vom Wettanbieter "bwin" gesponsert. Fast kein Bundesligist hat keinen Wettanbieter als Partner.Bild: picture alliance / Mika Volkmann
Bereitschaft ist da – aber Lösungen fehlen
Kann man das Entstehen von Glücksspielsucht verhindern, indem das Wetten beworben wird? Eine Frage, die sich offensichtlich auch viele der Kritiker:innen stellen.
Konrad Landgraf von der bayerischen Landesstelle für Glücksspielsucht macht in der Debatte deutlich: In den vergangenen Jahren habe er einen Wandel festgestellt, die Menschen sind weniger von Automaten abhängig, dafür viel mehr von Sportwetten.
Schuld daran aus seiner Sicht: Die Legalisierung von Online-Glücksspiel und Sportwetten. Er habe Betroffene kennengelernt, die über eine Million Euro verzockt haben.
Jeder Mensch, der an dieser Sucht leide, meint Landgraf, sei einer zu viel. Klar ist den Diskutierenden auf dem Plenum allerdings auch: Die Kooperation mit den Sportwettanbietern ist leicht verdientes Geld. Denn Tipico, bwin und Konsorten pumpen Millionen in die Liga und die Vereine. Millionen, eingenommen von Menschen, die sich beim Wetten verzockt haben.
Paepke von der DFL stellt aber auch klar: Die Liga würde ohne die Wettanbieter nicht sterben. Die Wettanbieter seien ein Baustein der Sponsoring-Finanzierung, es gebe auch Klubs, die auf sie angewiesen sind – aber der Sport könne ohne die Wette existieren. Der DFL sei offen, diese Debatte zu führen. Vorerst sei der Vertrag allerdings bis 2025 geschlossen. "Wir leben nicht in einer Blase und nehmen die gesellschaftliche Debatte wahr", macht Paepke deutlich.
Der Hamburger Zweitligist FC St. Pauli lässt sich nicht von Sportwettanbietern sponsoren.Bild: dpa / Uwe Anspach
Der FC St. Pauli geht bereits jetzt einen anderen Weg als der Rest der Liga. Auch dort wurde unter den Mitgliedern des Vereins, die die Träger sind, gestritten, erklärt der Kommunikationsleiter von St. Pauli, Patrick Gensing. Letztlich habe man sich gegen die Kooperation mit Sportwettanbietern entschieden. Das liege auch am Selbstverständnis des Vereins: Der Wertekompass sei hier sehr strikt.
Sportwetten: Rufe nach Werbeverbot werden lauter
Trotzdem würde Werbung für Bier gemacht – und das alkoholische Getränk auch verkauft. Aus Sicht von Gensing eine Debatte, die in Zukunft womöglich auch noch geführt werden muss. Schließlich kann auch Alkohol eine massive Abhängigkeit verursachen.
Bremens Innensenator Mäurer macht klar, dass er dennoch auch vom Bundesligisten der Hansestadt, Werder Bremen, erwarten würde, Kooperationen mit den Wettanbietern zu beenden. Er fordert ein Verbot von Glücksspielwerbung. Denn bei den Werbespots gehe es nicht um eine Kanalisierung und Begrenzung der Angebote – sondern ganz klar darum, ein junges Publikum zu bewerben.
In Bremen könne er außerdem sehr gut beobachten, wo die Tipico-Büros am Ende öffneten. Häufig sei das in Stadtteilen, in denen viele Menschen leben, die wenig Geld zur Verfügung haben.
Ein perfides Versprechen könnte man den Wettanbietern hiermit unterstellen. Lautet doch das Werbeversprechen "Gewinnen kann jeder, aber du willst mehr." Was aus Sicht des Journalisten Benjamin Best außerdem gefährlich ist: Durch Ex-Profis wie Oliver Kahn werde suggeriert, dass es sich bei Sportwetten um eine normale Branche handele. Kahn machte bis 2020 Werbung für Tipico.
Was es brauche, darin sind sich die meisten Diskutierenden einig, sei nicht nur das Werbeverbot, sondern auch mehr Geld für Prävention. Denn eine Sucht könne jede:r entwickeln, deshalb brauche es Möglichkeiten, die Menschen direkt zu adressieren, ehe sie in die Sucht abrutschen. Ähnlich wie bei der aktuellen Debatte um die Cannabisfreigabe ist sicherer und eigenverantwortlicher Konsum nur möglich, wenn den Konsument:innen vorher auch Risiken und Auswirkungen bekannt sind.
Lange Zeit machte Oliver Kahn Werbung für Tipico.Bild: dpa / Sven Hoppe
Und auch der Bundesdrogenbeauftragte Bliener teilt die Sorge. "Der Glücksspielstaatsvertrag ist reformbedürftig", stellt er am Ende der Debatte fest. Es gehe nicht nur darum, dass sich 16 Bundesländer einigten – es gehe um die Menschen, die von der Sucht betroffen sind. Und um Schutz. Blienert will weiterhin eine "laute Stimme" sein und sich für genau diese Werbeverbote einsetzen.
Um am Ende auch die Länder zu überzeugen, brauche es daher weitere Diskussionen und laute Stimmen, ist er überzeugt.
"Ich möchte mir nicht den Sport wegnehmen lassen, aber Sportwetten sind etwas, das Menschen krank macht. Es ist das Schicksal dahinter, das wir in den Blick nehmen müssen", macht er in seinem Fazit deutlich. Es könne nicht sein, dass es bei der anstehenden Europameisterschaft nur einen Gewinner gebe: das Geschäft mit den Sportwetten.