Milliarden gegen die Krise – wird das Geld richtig investiert? Um diese Frage drehte sich die Diskussion am Sonntagabend bei "Anne Will". Dabei machte insbesondere eine Expertin klar, dass Europa ein komplett neues Narrativ brauche, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben und mit Ländern wie den USA oder China konkurrieren zu können – und um nicht auseinander getrieben zu werden.
Es sind hohe Summen, die die Bundesregierung mobilisiert, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern. Schon jetzt sollen sich die geplanten Corona-Hilfen auf rund 1,25 Billionen Euro belaufen. Nun hat Angela Merkel gemeinsam mit Emmanuel Macron einen 500-Milliarden-Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds vorgeschlagen. Vier Länder innerhalb der EU sind dagegen, dieses Geld als Zuschuss zur Verfügung zu stellen und setzen sich stattdessen für Kredite ein – wie beispielsweise Österreich.
Diese Diskussion gefällt Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht. Er sagte in der ARD-Sendung:
Der SPD-Abgeordnete stellte klar, dass es bei dem Paket, an dem er "lange gearbeitet habe", nicht darum gehe, die Haushalte der Mitgliedsstaaten zu sanieren, sondern um "konkrete Projekte für den Wiederaufbau". Carsten Linnemann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU und Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, war anderer Meinung.
Zunächst sagte er, er freue sich darüber, dass über die Zukunft Europas gesprochen werde – schließlich könne Deutschland allein keinen Wettbewerb gegen die USA oder China gewinnen. Dann erklärte er, weshalb er auf der Seite Österreichs stehe:
Der CDU-Politiker glaubt, dass man nur Kontrolle über den Einsatz des Geldes habe, wenn dieses zu einem Teil über Kredite zur Verfügung gestellt werde, damit das "Geld nicht in irgendwelchen Rentensystemen versickert". "Die Bevölkerung hat das Recht zu sehen, dass das Geld in einen Mehrwert investiert wird."
Bei dieser Aussage konterte Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen): "Ich muss Herrn Linnemann und Herrn Kurz deutlich sagen: Es ist fatal und ein Spiel mit dem Feuer, wenn wir jetzt suggerieren, dass das Geld irgendwo hineingepumpt wird und wir nicht wissen, wo es hingeht." Sie erklärte weiter, dass es innerhalb der EU schon seit jeher Zuschüsse für Projekte gab und dass man genau wisse, wo das Geld hinfließe.
Monika Schnitzer, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, fand deutliche Worte an diesem Abend:
"Das ist die falsche Art, um überhaupt darüber nachzudenken. Wir reden immer über Netto-Zahler und Netto-Empfänger – das ist die falsche Diskussion. Eine solche hat uns den Brexit eingebrockt." Ihrer Meinung nach gehe es jetzt darum, "neue Projekte für die EU anzugehen". Dass die Mitgliedsstaaten – insbesondere die des Südens – dabei mit Zuschüssen unterstützt werden sollen, hält die 58-Jährige für richtig.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Hochschullehrerin forderte bei "Anne Will" "ein neues Narrativ für die EU": "Wir brauchen neue Projekte, die uns voranbringen. Wir haben einen großen Markt, aber wir müssen auch lernen, ihn als gemeinsamen Markt zu sehen." Schnitzer nannte Themen wie die Digitalisierung und die Gesundheit, an denen die EU-Staaten gemeinsam arbeiten sollten. Ob es die "Vereinigten Staaten von Europa" geben sollte, wollte Moderatorin Anne Will von ihr wissen. Doch die Expertin warnte deutlich:
Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, warnte dennoch vor einer Überforderung der Steuerzahler in Deutschland. Seiner Meinung nach habe Deutschland bereits sehr viel Geld in die Hand genommen, um Hilfe zu leisten. Nun kämen mit dem deutsch-französischen Hilfspaket 140 Milliarden "on top dazu": "Am Ende weiß keiner mehr, was im Feuer steht. Und der Steuerzahler fühlt sich veräppelt, weil er zahlen muss."
Holznagel, der selbst CDU-Mitglied ist, befand zwar, dass es gut war, am Anfang viel Geld auszugeben, forderte jedoch, dass es "fair zugeht": "Wir dürfen nicht nur partiell helfen, sondern müssen alle versorgen." Und er forderte, dass die Bundesregierung schaut, wo sie selbst Geld einsparen kann.
Welche konkreten Vorschläge er habe, wollte Will von ihm wissen. Er erklärte, dass der Bundestag mit seinen 700 Abgeordneten eine Milliarde Euro jährlich koste und man bei den Abgeordneten "den Rotstift ansetzen" könne. Außerdem könnten auch zehn Millionen bei der Werbung für den Klimaschutz im Kanzleramt eingespart werden, da sowieso jeder wisse, wie wichtig das sei. Und er forderte:
Anstatt auf alle Vorschläge einzugehen, schmunzelte Olaf Scholz über die zehn Millionen und erwiderte flapsig: "Die zehn Millionen kommen, weil die anderen Vorschläge nicht da sind." "Es ist ein Anfang", konterte Holznagel. Doch der Finanzminister ging darauf nicht richtig ein, antwortete stattdessen: "Da ist eine Unernsthaftigkeit drin. Ich bitte Sie, das besser zu machen."
Am Ende versuchte Wirtschaftsexpertin Schnitzer die Diskussion noch einmal woanders hinzulenken: "Es geht nicht darum, wie viel Geld wir ausgeben, sondern wofür." Sie kritisierte die möglichen Prämien für die Automobilbranche:
Sie glaubt, dass es das falsche Zeichen wäre, den "Lauten nachzugeben". Sie plädierte für nachhaltige Investitionen in eine Infrastruktur, die es uns am Ende auch erlaube, wieder zu wachsen, damit wir die jetzt gebauten Schulden auch wieder abbauen könnten.
Baerbock lenkte die Aufmerksamkeit dann auf ein Thema, das an diesem Abend vorher noch gar nicht beachtet wurde – Kinder.
"Frauen und Kinder zuletzt", kritisierte sie. Sie richtete ihr Wort an Scholz: "Kitas und Schulen müssen wiedereröffnen. 300 Euro pro Kind bringt nichts und geht an den Bedürfnissen der Familien vorbei".
Was sie meinte: Olaf Scholz plant laut eines Medienberichts ein Paket zur Unterstützung von Familien, für jedes Kind ist dabei eine einmalige Zahlung in Höhe von 300 Euro vorgesehen. Die Grünen-Vorsitzende kritisierte jedoch, dass das Geld – rund fünf Milliarden Euro – besser in einen Bildungsfonds investiert werden sollte.
"Ich verfüge über ein überdurchschnittlich hohes Gehalt in Deutschland, wieso sollte ich 600 Euro für meine beiden Kinder bekommen?", kritisierte die Politikerin den Vorschlag von Scholz. Die Kinder müssten zurück in die Schule, vor allem, wenn es um Kinder gehe, die aus bildungsfernen Haushalten stammten, die jetzt schon nicht mehr mit den Hausaufgaben zurechtkämen oder gar nicht am E-Learning-System teilnehmen könnten, weil ihnen die Ausstattung fehle.
Die Kinder müssten einerseits bestmöglich vor Infektionen geschützt werden, andererseits müssten sie zurück in die Schule, gab der Finanzminister zustimmend zurück. Doch es sei "nun mal kompliziert".