Corona, war da was? Nicht, wenn man diese Woche in die Talk-Runden der Bundesrepublik schaut. Dort haben der Tod des Afroamerikaners George Floyd und die darauffolgenden Proteste in den USA Sars-CoV-2 als Gesprächsthema abgelöst.
Am Dienstag etwa diskutierte im ZDF Markus Lanz mit seinen Gästen über systemischen Rassismus, Proteste, Gewalt und US-Präsident Donald Trump. Diskutiert haben, unter anderem, der ehemalige USA-Korrespondent des "Spiegel", Markus Feldenkirchen, und ZDF-New-York-Studioleiter Johannes Hano.
Am Mittwoch nun kommt der Themenkomplex bei in der ARD auf den Tisch bei "Maischberger. Die Woche". Hier wollen etwa der "Focus"-Kolumnist Jan Fleischhauer und die Wirtschaftsjournalistin Anja Kohl (auch) über Floyds Tod und die Lage in den USA debattieren.
Die Zusammensetzung dieser Talk-Runden sorgte und sorgt gerade auf Twitter für viel Kritik. Denn: Keiner und keine der Gäste ist schwarz. Nicht, dass Weiße keine Berechtigung hätten, sich über Rassismus zu äußern, gerade wenn sie in den USA gelebt haben und Rassismus von außen mit angesehen haben.
Aber Experten für Rassismus sind sie damit nur sehr bedingt. Feldenkirchen und andere mögen nach jahrelangen USA-Aufenthalten akademisches Wissen über Rassismus verfügen, haben vielleicht auch Erfahrungen mit den Rassismus-Erfahrungen anderer Menschen gemacht. Als weiße Menschen haben sie aber keine Erfahrungen damit, wie sich Rassismus anfühlt, was das bedeutet. In einer Debatte über Rassismus wäre das aber eine durchaus wünschenswerte Expertise.
So bemerkte denn auch die schwarze Landtagsabgeordnete Aminata Touré am Dienstag lakonisch, sie kenne tatsächlich schwarze Expertinnen und Experten, die die Maischberger-Redaktion hätte einladen können.
Regisseurin Mo Asmuang war in der Formulierung ihrer Kritik etwas direkter: "Warum spricht ausgerechnet eine durchgehend 'weisse' Runde bei Maischberger über die Lage in den USA?", fragte sie.
Der Publizist Nasir Ahmad startete sogar eine Petition, mit der er die Maischberger-Redaktion auffordert, alle Gäste wieder auszuladen und Menschen einzuladen, die "von Rassismus betroffen sind, die rassistische Gewalt erlebt haben".
Die Neuen Deutschen Medienmacher (NDM), ein Verein, der sich mehr Vielfalt in der deutschen Medienlandschaft verschrieben hat, twitterten am Mittwoch ironisch, man solle sich die Gästelisten von "Lanz" und "Maischberger" einmal "auf der Zunge zergehen lassen".
Diskutiert würde rassistische Polizeigewalt von den Elmars und Anjas der Republik – die ihrerseits keine Erfahrung mit rassistischer Polizeigewalt haben können.
In einem weiteren Tweet verwiesen die NDM dann auf den "Vielfaltfinder", eine Datenbank, mit der Medienschaffende und andere Institutionen Experten finden können, die eine Migrationsgeschichte haben.
Der Vorwurf, der sich durch diese und ähnlich kritische Tweets zieht: Die Redaktionen von "Lanz" und "Maischberger" haben sich nicht um Vielfalt bemüht und das ausgerechnet bei einem Thema, das eine vielfältige Besetzung der Talk-Runden erfordert hätte.
Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, diese Vielfalt herzustellen – etwa mit dem "Vielfaltfinder" sogar relativ einfach.
Watson hat die Redaktionen von "Markus Lanz" und "Maischberger. Die Woche" mit diesem Vorwurf konfrontiert und um Stellungnahme gebeten.
Vom ZDF hieß es, die "Lanz"-Sendung befasse sich "in dieser Woche mit den Ereignissen in den USA". Für die Sendung am Dienstag (die sich mit den Auswirkungen für die USA und die Rolle Trumps beschäftigt hatte) seien der American-Football-Coach Patrick Esume und Buchautor Ijoma Mangold eingeladen gewesen, hätten aber abgesagt.
Das Thema Rassismus in Deutschland werde Mittwoch und Donnerstag Thema der "Lanz"-Sendungen: "Hierzu sind Menschen eingeladen, die in Deutschland Erfahrungen mit Rassismus in unterschiedlicher Form gemacht haben", so das ZDF. An der Sendung am Mittwoch werde Mo Asumang teilnehmen.
Der für die "Maischberger"-Sendung innerhalb der ARD zuständige WDR bezog ebenfalls Stellung zu dem Vorwurf, die Redaktion habe sich nicht um Vielfalt bemüht. Seit Sonntag sei diese "im Kontakt mit mehreren möglichen, auch schwarzen, Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zum Thema Rassismus in den USA", heißt es aus Köln.
Zuletzt habe eine afro-amerikanische Germanistikprofessorin aus North Carolina zugesagt. Rassismus in den USA, die Unruhen und die politische Situation in den USA seien aber "natürlich nicht das einzige Thema in der Sendung".
Auf Twitter verriet die Redaktion dann am Mittwochmittag, dass Priscilla Layne der Sendung zugeschaltet werden soll. Was wiederum zu Kritik führte, denn Layne stammt aus den USA. Es gebe doch aber auch schwarze Menschen in Deutschland, die zum Thema sprechen könnten.
Layne pflichtete der Kritik bei, und schrieb, es sollte "auch jemand aus der Schwarzen Deutschen Community dabei sein". Sie könne nur zu ihren Erfahrungen in Deutschland und den USA sprechen, aber das "sollte niemals die Stimmen von Schwarzen Deutschen ersetzen".
In einem späteren Tweet nannte sie konkrete Namen: Fatima El-Tayeb, Peggy Piesche, Natasha Kelly, Katharina Oguntoye, Maischa Auma und Sharon Dodua Otoo.
So zeigt sich, dass die Vorwürfe aus Teilen der Twittercommunity (für Twitter durchaus üblich) etwas schnell kamen – wenn sie in der Sache auch richtig lagen.
Denn: Zwar haben sich die Redaktionen von ARD und ZDF um wenigstens etwas Vielfalt bemüht. Aber: Da wäre mehr drin gewesen, hätte mehr drin sein müssen (und können), wie Maischberger"-Gast Priscilla Layne bestätigte und die Neuen Deutschen Medienmacher*innen zeigten.
Am Ende bleibt somit die Feststellung, dass sich deutsche Redaktionen noch immer schwertun, wenn es darum geht, jene zu Rassismus zu befragen und ihre Erfahrungen sichtbar zu machen, die dazu auch wirklich etwas sagen können.
Dahinter steckt ein strukturelles Problem: In deutschen Redaktionen (watson bildet da keine Ausnahme) sind nach wie vor allem weiße Menschen beschäftigt, die auf das Leben und das Nachrichtengeschehen aus ihrer eigenen Perspektive blicken.
(pcl)