Der verheerende Brand im Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat für großes Entsetzen in Deutschland gesorgt. Und Moria und die Folgen der Katastrophe waren ein zentrales Thema bei der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" am Mittwoch.
Darüber sprach Lanz vor allem mit Christine Schmitz, die seit dem 4. September für die Nichtregierungsorganisation "Medical Volunteers International" auf Lesbos arbeitet – und mit Migrationsforscher Gerald Knaus, Mitgründer und Vorsitzender des Thinktanks "European Stability Initiative" (ESI), der unter anderem entscheidend am Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei von 2016 mitgearbeitet hat. Außerdem zu Gast bei Lanz waren die Holocast-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch, die als "Cellistin von Auschwitz" weltberühmt wurde – sowie ihre Tochter, die Psychotherapeutin und Autorin Maya Lasker-Wallfisch. Neben ihnen war Schauspieler Joachim Meyerhoff in der Sendung.
Lanz sprach zunächst mit Krankenschwester Schmitz, die per Videoanruf zugeschaltet war, über die Zustände in Moria nach dem Brand und davor. Schmitz erklärte, schon vor Corona sei gesagt worden: "Das ist unmenschlich". Über die Verzweiflung vor Ort meinte sie:
Wegen der untragbaren hygienischen Zustände vor Ort sei die Krätze verbreitet, meinte Schmitz. Besonders große Sorgen mache ihr die Lage der zwischen 400 und 700 unbegleiteten Kindern in Moria – und die Lage der Frauen.
Schmitz sprach von vielen allein reisenden afrikanischen Frauen, "bei denen man sich fragt, ob das mit Menschenhandel zu tun hat. Sehr viele dieser Frauen berichteten ihr, dass sie vor der Flucht oder auf der Flucht vergewaltigt worden seien. Und auch in Moria selbst berichteten sie, dass sie auf dem Gang zur Toilette angegriffen oder vergewaltigt worden seien. Schmitz ergänzte:
Zur Lage vor Ort sagte die Krankenschwester: "Die griechische Bevölkerung hier ist einfach sehr müde" und: "Eigentlich sind die Geflüchteten nicht mehr willkommen." Andere europäische Staaten müssten jetzt besonders die Menschen aus Moria aufnehmen. Deutschland solle hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Sie sagte wörtlich, an den deutschen Innenminister gerichtet: "Das ist auch ein Appell an Herrn Seehofer."
Lanz griff das auf, sprach darüber, dass es wohl zu leicht sei, nur Horst Seehofer die Rolle des Bösen in der aktuellen Lage zuzuschreiben. Migrationsforscher Gerald Knaus sagte daraufhin: "Väter und Mütter des Problems finden wir sehr viele." Die Frage sei jetzt: "Wer kann jetzt etwas tun?" Und da komme Deutschland eine besondere Rolle zu.
In anderen Ländern fehle die Empathie mit den Menschen in Moria, Deutschland gehöre dagegen zu den Ländern, in denen in "sehr vielen Städten" die Bereitschaft vorhanden sei, Flüchtlinge aufzunehmen". Mehrere Kommunen hatten sich in den vergangenen Wochen bereit erklärt, Menschen aus Moria aufzunehmen. Die Länder Thüringen, Berlin und Nordrhein-Westfalen hatten ebenfalls entsprechende Zusagen gemacht. Knaus wörtlich: "Deutschland ist in einer einzigartigen Lage."
Als es im Gespräch mit Knaus um die Möglichkeit geht, unbegleitete Kinder in Deutschland aufzunehmen, wird im Bildschirm im Studio hinter der Talkrunde das Foto eines Jungen eingeblendet, der im Schmutz des Bodens von Moria vor vollen Müllsäcken leere Plastikflaschen sammelt.
Lanz sagt dazu:
Lanz verweist dann auf den Vorwurf der Doppelmoral, den viele Menschen derzeit Politikern wie dem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen und SPD-Chefin Saskia Esken machen. Beide forderten am Mittwoch öffentlich die Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln, hatten aber im März gegen einen entsprechenden Antrag der Grünen gestimmt.
Knaus sieht das Problem weniger bei einzelnen Abgeordneten. Er kritisiert aber deren Argumente: Esken wie Röttgen hatten vor der Aufnahme von Flüchtlingen erst eine "europäische Lösung" gefordert. Es sei, sagt Knaus, ein Problem, wenn man helfen wolle und sage: "Ich will helfen, aber nur, wenn die anderen beiden, die vorbeigehen, es auch tun. Dann ist man nicht moralisch."
Lanz sprach dann über die Angst in Deutschland, mehr Großzügigkeit gegenüber Flüchtlingen könne das Land spalten, Rechtsradikalen Auftrieb geben und die AfD stärken. Das sei ein Grund, warum man Situationen wie in Moria zulasse. Er fragte Knaus: "Wie kommen wir da raus?"
Der forderte mehr "moralischen Realismus". Es gehe um eine "überschaubare Zahl" von Menschen. Sein Vorschlag sei es, 5000 bis 10.000 Menschen aus Griechenland nach Deutschland zu bringen. Griechenland müsse dann im Gegenzug menschenwürdige Unterkünfte für dort verbliebene Menschen schaffen.
Einen "Pull-Effekt", also die Sogwirkung einer solchen humanitären Geste auf andere Flüchtlinge, gibt es laut Knaus nur, "wenn man es schlecht anstellt". Es gebe aber Beispiele, dass es ohne einen solchen Effekt funktioniere. Im Jahr 2017 wurden innerhalb der EU über 20.000 Menschen aus Griechenland und Italien umverteilt. Das sei "heute vergessen", sagte Knaus. Wenn man für die Menschen in Moria ein ähnliches geregeltes Verfahren geschaffen hätte, "dann hätten wir Situation nicht wie heute.
Es gehe, sagte Knaus weiter, darum zu zeigen, "dass sich Kontrolle und Empathie nicht ausschließen". Im Gegenteil: Die Lage in Moria beweise doch, dass, wenn man Menschen keine Rechte gebe und sie in einer verzweifelten Lage leben lasse, dann auch die Kontrolle verliere. Knaus endete mit einem Appell, das Recht auf Asyl in der EU zu bewahren. Das sei schließlich als Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust festgeschrieben worden.
Lanz fragte daraufhin die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch, war ihr beim Blick auf die Bilder nach dem Brand von Moria durch den Kopf gehe. Die Antwort der 95-Jährigen:
(se)