Nach wochenlangen Diskussion ist die "Corona-Notbremse" nun beschlossen. Ab kommenden Samstag greift das neue Infektionsschutzgesetz in ganz Deutschland. Doch nicht alle Parlamentarier haben für das Gesetz gestimmt. Der frühere CSU-Vize Peter Ramsauer gibt bei "Markus Lanz" zu, sich dagegen entschieden zu haben.
Auch der anwesende Politologe Prof. Karl-Rudolf Korte glaubt, dass ein anderer Ansatz gewählt werden müsste. Insbesondere kritisiert er jedoch die Kommunikation der Regierung - mit drastischen Aussagen: "Wir haben kein Vorrecht für die Gesundheit im Grundgesetz."
Vor einigen Wochen sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Gespräch mit "Anne Will", dass sie keine zwei Wochen mehr "tatenlos" zuschauen werde, wenn keine härteren Maßnahmen ergriffen werden. Nun hat sie ihren Worten Taten folgen lassen - doch viel zu spät, sagt Moderator Markus Lanz. Wer dafür die Verantwortung trage, fragt er direkt Paul Ziemiak, den CDU-Generalsekretär, der an diesem Abend zugeschaltet ist. "Wir alle haben die Verantwortung dafür", gibt er zu verstehen, ist jedoch der Meinung, dass es nicht so lange gedauert hätte. Nun sei das Gesetz da und gemeinsam mit dem Impfen sehe man schon "das Ufer" und somit ein Ende der Pandemie.
"Die Situation ist dramatisch und da leisten wir uns einen brutalen Machtkampf auf offener Bühne", kritisiert Lanz und meint damit die Wortgefechte um die Kanzlerkandidatur zwischen Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU). Doch er richtet seine Kritik nicht an die anwesenden Unionspolitiker, sondern an Prof. Thorsten Lehr, einen Experten auf dem Bereich der Ausbreitung von Epidemien.
Und auch dieser geht nicht gerade zimperlich mit den Politikern ins Gericht. Er kritisiert, dass die Regierung so getan habe, als hätte man die dritte Welle nicht vorhersehen können, wobei es sehr offensichtlich war, dass sich die Fallzahlen wieder rasant nach oben entwickeln würden.
Der Experte sagt zwar, dass es in Bezug auf die Ausgangssperren unterschiedliche Studien gebe, glaubt aber selbst daran, dass sie etwas dazu beitragen können, den Inzidenzwert zu reduzieren. Doch nicht alle an diesem Abend sind damit einverstanden.
Der frühere CSU-Vize Peter Ramsauer glaubt nicht daran, dass der Inzidenzwert allein betrachtet werden sollte - deshalb habe er im Bundestag auch gegen das neue Infektionsschutzgesetz gestimmt. In seinem Wahlkreis seien die Maßnahmen schon seit einem halben Jahr strenger als das, was das Gesetz vorsieht. Er verrät ein pikantes Detail, das den Moderator direkt aufhorchen lässt: 21 Abgeordnete seiner Fraktion sollen sich gegen die Notbremse ausgesprochen haben. "Wenn der Druck nicht so groß gewesen wäre, wären es sicherlich noch mehr gewesen."
"Wer hat Druck ausgeübt?", fragt Lanz direkt neugierig nach. Da kommt der CSU-Politiker kurz ins Stocken. "Ja, so allgemein." "Wer ist allgemein?", hakt der Moderator direkt nach. "Diejenigen, die Ämter haben", versucht sich Ramsauer zu retten. "Das klingt wie die dunkle Seite der Macht", kommentiert Lanz. Doch wen genau der Politiker meint, will er am Ende nicht verraten. Doch er verrät, dass die Debatte auch so geführt wurde: Wer gegen das Gesetz stimme, stimme gegen das Leben. Und das habe Ramsauer "richtig sauer" gemacht.
Lehr stimmt Ramsauer zwar zu, dass die Inzidenz allein nicht ausschlaggebend sein muss, aber er gibt auch zu bedenken: Derzeit seien die über 80-Jährigen zwar geimpft und somit geschützt, jedoch würden immer mehr jüngere Menschen erkranken, die auch auf der Intensivstation landen. Das Problem hierbei ist, dass junge Menschen aufgrund ihrer höheren Überlebenschance länger ein solches Bett beanspruchen. Dabei drückt sich der Experte drastisch aus:
Für den Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist nicht die Inzidenzzahl allein ausschlaggebend. Für ihn geht es auch um die Freiheit, vielmehr um ein Abwägen zwischen Freiheit und Gesundheit. Er ist der Meinung, dass die Regierung nicht mit Verordnungen allein arbeiten sollte, sondern die Bürger vielmehr davon überzeugen sollte, mitzumachen. Auch die Diskussion um die Freiheit komme da viel zu kurz, weil der Sinn des neuen Gesetzes nicht gut kommuniziert würde. Er wird deutlich in seiner Aussage:
Der Freiheitsweg hänge mit dem Impfen zusammen. Jedoch würde nur um den "Inzidenzwert herum geplant" werden, kritisiert er weiter. In einer Demokratie sollte seiner Meinung nach jedoch die "Zuversicht" für die Zukunft gewählt werden und ebenso auch die Freiheit.
Dann springt auch Ramsauer noch einmal in die Diskussion und bleibt bei seiner Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz: Seiner Meinung nach hätten die Länder bereits alle Maßnahmen gehabt, um genauso so zu handeln, wie es nun vorgesehen ist. Durch das neue Gesetz würde man zentralstaatliche Strukturen fördern, sagt er. Er ist der Überzeugung, dass diese Tendenz auch nach dem Ende der Pandemie bestehen bleiben wird. Auch den jetzigen "Alarmismus" der Regierung, glaubt er, empfänden die Menschen als "unglaubwürdig".
Doch Lehr macht Hoffnung und sagt, dass es mit den Impfungen "rasant vorangehe". Jedoch kritisiert auch er die Kommunikation der Regierung: "Wir haben das Ziel vor Augen. Aber wir vermanövrieren uns mit der Fehlkommunikation." Zudem appelliert der Experte an ein "globales Konzept" zur weiteren Eindämmung der Pandemie, weil diese sonst - wie die Influenza - ein Teil unseres Lebens würde.
Am Ende der Sendung ging es noch um die anstehende Bundestagswahl im September und somit auch um die K-Frage, die die CDU in der vergangenen Woche öffentlich ausgetragen hat. Während Ziemiak den Prozess als völlig "normal" beschreibt, sieht das die Journalistin Eva Quadbeck etwas anders. Sie ist der Meinung, dass ein solcher Prozess ohne "Spielregeln" "schädlich" sei für eine Partei. Jetzt stehe die CDU "blank da, ohne Wahlprogramm, ohne Basis für den Wahlkampf". Auch Korte ist der Meinung, dass dieser offene Streit eine starke "Sprengkraft" gehabt habe und dass die "Schwester, die CDU, kurz davor war, sich von der CSU zu trennen". Zumindest sei das das Gefühl gewesen, beteuert der Politikexperte.
Das Ende der Ära Merkel sei eine Zäsur und es gehe um die Frage, auf wen ihr Politikstil übertragen werden solle. Deutlich wird an diesem Abend, dass sich am vergangenen Sonntag sowohl Markus Söder und Armin Laschet, als auch Paul Ziemiak, Wolfang Schäuble, Volker Bouffier, Alexander Dobrindt und Markus Blume getroffen hätten, um die K-Frage zu klären. Dabei habe Schäuble deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich hinter Laschet stellt.
Quadbeck ist der Meinung, die CDU-Spitze hätte "Folterinstrumente auf den Tisch gelegt", indem sie gesagt habe, sie würde einen Kanzlerkandidaten Söder nicht unterstützen. Deshalb wurde die Entscheidung auch im Vorstand der CDU getroffen und nicht an der Basis, weil der Vorstand "Laschets Vorstand" sei.
Am Ende darauf angesprochen, warum es bei der CDU nicht so gesittet zugegangen sei wie bei den Grünen, kommentiert Ramsauer, dass er sicher sei, auch bei den Grünen wäre es anders gelaufen, wären zwei Frauen oder zwei Männer zum Schluss im Rennen gewesen. Und er sagt deutlich, was er von einer Koalition allein mit den Grünen hält: "Mit den Grünen allein zu regieren, wäre eine grauenhafte Vorstellung!"