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Er wird immer aggressiver: Was hinter dem Jubel für Markus Lanz steckt

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"Führender politischer Interviewer des Landes": Markus Lanz heimst seit Monaten viel Lob ein. foto: Juliane Werner
Analyse

Früher verlacht, heute beklatscht: Was Markus Lanz momentan richtig macht

Der Mann, der jahrelang als halbseriöser Moderator galt, ist heute der wichtigste Politik-Interviewer Deutschlands. Was ist da passiert?
10.05.2021, 07:57
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Es war wieder Lanz-Woche, wie fast immer. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil war am Dienstag da, Alice Weidel, die AfD-Fraktionschefin im Bundestag am Mittwoch. Und Friedrich Merz, der einstige Unionsfraktionschef, der nach 12 Jahren wieder in den Bundestag will.

Am Morgen danach die Fragen: Hat Lanz Weidel gut genug gegrillt? Sollte er eine Rechtspopulistin wie sie überhaupt einladen? "Sie wollen auch Geld verdienen": Hat Friedrich Merz diesen Satz zu Ricardo Lange, dem Intensivpfleger neben ihm im Talkshowstudio, wirklich ernst gemeint?

Wie an fast jedem Morgen nach Lanz war die Sendung wieder Gesprächsthema, im Radio am Morgen, auf Facebook, Twitter, in Whatsapp-Gruppen. Auf großen Nachrichtenportalen, watson inklusive, sind Lanz-Kritiken zu lesen. Für politisch interessierte Millennials fühlt es sich ein bisschen an wie früher auf dem Pausenhof, als sich alle Jungs über die "Simpsons"-Folge oder die "TV Total"-Sendung vom Vorabend unterhalten haben.

Um zu verstehen, dass etwas ziemlich Großes passiert sein muss mit Markus Lanz, sind ein paar Zitate hilfreich. Sie stammen alle aus der Zeit seit dem Sommer 2020.

"Führender politischer Interviewer des Landes", das stand über ihn in der "taz". "Die Oprah Winfrey des deutschen Fernsehens", so hat ihn ein Autor des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) genannt.

Über seine Sendung – diese jahrelang oft belächelte und hin und wieder angefeindete Talkshow im ZDF-Spätabendprogramm – war kürzlich zu lesen, sie sei der "Gnadenort, an den Politiker in diesen Zeiten pilgern müssen, wenn sie in der politischen Debatte überhaupt stattfinden wollen". Das stand in der Einführung eines Interviews, das das Männermagazin "GQ" mit Markus Lanz geführt hatte.

Die Einschaltquoten bei Markus Lanz sind seit Monaten sensationell hoch: Manchmal schauen knapp drei Millionen Menschen spätabends zu, in der Regel ist mindestens jeder Fünfte, der um diese Zeit den Fernseher anschaltet, bei Lanz dabei. Hunderttausendfach, manchmal mehr als eine Million Mal werden die Videos der Sendung auf YouTube angesehen, Ausschnitte verbreiten sich am Morgen nach Ausstrahlung zigtausendfach in sozialen Netzwerken.

Was ist da eigentlich los?

Warum ist ausgerechnet diese Sendung in den anstrengenden Monaten der Corona-Krise so beliebt? Warum ausgerechnet Lanz? Der Mann, der ab Ende der 1990er Jahre das Magazin "RTL Explosiv" moderierte? Der Mann, dessen Karriere 2014 am Ende schien, nachdem er zwei Jahre lang daran gescheitert war, den Fernsehklassiker "Wetten, dass...?" zu retten und ihn schließlich zu Grabe trug? Gegen den Anfang 2014 eine von 160.000 Menschen unterzeichnete Online-Petition lief, weil er die Linken-Spitzenpolitikerin Sahra Wagenknecht vorgeführt hatte?

Die Fragetechnik: Grillen für Fortgeschrittene

Die Initiatorin der Petition warf Lanz damals vor, er habe sich einseitig auf Wagenknecht eingeschossen, sie unterstellte ihm eine anti-linke Haltung. Lanz entschuldigte sich später auch bei Wagenknecht, die nahm das an – und ist inzwischen immer wieder in die Sendung zurückgekehrt. Das liegt wohl auch daran, dass im Jahr 2021 Millionen Menschen gemerkt haben, dass Lanz nicht nur Linke grillt.

Grillen, so nennt man im Politik- und Medien-Jargon, das harte, aggressive Befragen von Politikern: in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, in Interviews oder Talkshows. "Deutschlands schönste Grillzange", so hat der mit ihm befreundete Fernsehautor Micky Beisenherz Lanz kürzlich in der "Süddeutschen Zeitung" genannt.

Lanz hat einen persönlichen Grillstil. Er spricht länger am Stück mit dem einzelnen Politiker oder der Politikerin als Talkshow-Kollegen wie Frank Plasberg oder Anne Will. Er lässt es für die mehr oder minder mächtige Person erst langsam warm werden. Das wirkt dann oft wohlig, in den ersten Momenten. Bei Armin Laschet, CDU-Chef und damals-noch-nicht-Kanzlerkandidat zum Beispiel klang das Ende März so:

"So, jetzt einmal politisch, Herr Laschet. Wo haben Sie am Sonntagabend gesessen, als die entscheidenden Sätze fielen?"

Was für eine harmlose Frage. Oder?

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In Fragepose: Markus Lanz während einer Sendung. Bild: screenshot zdf

Die entscheidenden Sätze, damit meinte Lanz die Kritik, die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend davor bei "Anne Will" geäußert hatte, über die Corona-Politik im von Ministerpräsident Laschet regierten Nordrhein-Westfalen. Laschet erwiderte auf die Frage, er habe "Anne Will" geguckt. Dann verriet er, er sei dabei in Berlin gewesen.

Lanz darauf:

Sie waren in Berlin? Was haben Sie erwartet, und was haben Sie bekommen?

Von wegen harmlos. Jetzt saß Laschet in der Falle, man konnte ihm dabei zusehen, wie er das bemerkte. Wie er kurz den Kopf nach hinten legte, ihn schüttelte, stammelte. Lanz ließ ihn dann nicht mehr los mit seinen Fragen zur Kritik Merkels. Das ist der mitunter aggressiv wirkende Frage-Stil, den Lanz in den vergangenen Monaten immer weiter vorangetrieben und sich zu eigen gemacht hat. So, dass man sich schon manchmal denkt: Der arme Interviewte, jetzt lass ihn doch mal aus der Mangel.

Lanz dreht Politikern in seiner Show irgendwann die Hitze auf, manchmal schlagartig wie bei Laschet, manchmal langsamer. Der befragte Politiker oder die befragte Politikerin schwitzt dann. Zumindest dann, wenn sie oder er sich nicht gegen die Hitze schützen kann. Was Lanz macht, ist Grillen für Fortgeschrittene. Das ist erstens amüsant anzuschauen. Und zweitens ist es oft ziemlich guter Journalismus, eine harte Prüfung für Mächtige oder solche, die es werden wollen.

"Die Voraussetzung, um bei Lanz zu bestehen, ist gute Vorbereitung", sagt Johannes Hillje dazu gegenüber watson. Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater, seine Kunden sind Parteien, Ministerien, einzelne Politiker. Man müsse Lanz' Fragetechnik kennen, mit ihr umgehen können. "Dann kann man erhobenen Hauptes aus der Sendung herausgehen", meint Hillje.

Markus Söder hat das zum Beispiel hinbekommen. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident war eine Woche nach Laschet zu Gast bei Lanz, mit einem Unterschied: Er war aus Bayern per Videoanruf zugeschaltet, nicht live im Studio.

Söder hatte damals noch nicht öffentlich erklärt, dass er Kanzlerkandidat zu werden plante. Lanz wollte zu dieser wichtigen politischen Machtfrage eine Aussage aus Söder herausgrillen, er drehte immer wieder die Temperatur hoch. Aber Söder, der jahrelang geschulte Medienprofi, ließ sich nicht erwärmen, wiegelte ab, stellte teils Gegenfragen. Und stichelte doppelbödig-fies gegen Laschet.

In jedem Fall: Auch dieses Gespräch war Politikunterhaltung, die Millionen Menschen sehen wollten.

Mehr Tiefgang als bei Will, Illner, Plasberg

Jahrelang hatte Lanz als Typ für Seichtes gegolten, als einer, der sich an seinen Moderationskarten festhielt und immer Fragen nach demselben Schema stellte. In der Comedy-Sendung "Switch" wurde er dafür jahrelang parodiert.

"Switch"-Parodie von Lanz' Moderationstechnik. Video: YouTube/Switch reloaded

In seiner Show, die seit 2008 im ZDF läuft, spielten Politiker vergleichsweise selten die Hauptrolle, öfter waren es Schauspieler, Menschen aus dem Showbusiness. Ab 2015, den Debatten um Flucht und Migration änderte sich das. Spätestens seit Beginn der Corona-Krise aber ist Lanz in aller Regel eine politische Show, obwohl sie beim ZDF nach wie vor unter "Unterhaltung" läuft. Themen sind Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, Rassismus, das Rennen um die Kanzlerschaft – und, natürlich, Corona. SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat inzwischen eine Art Zweitwohnsitz im Hamburger "Lanz"-Studio.

Und beim Zusehen stellt man seither regelmäßig fest: Es geht nicht nur zur Sache, sondern auch um die Sache. Wenn zum Beispiel Virologin Melanie Brinkmann Anfang April, als die dritte Corona-Welle gerade über das Land rollt, Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer vorwirft, dass er der Bevölkerung nicht klarmache, worum es eigentlich geht, wie gefährlich das Virus nach wie vor sei – und dass es falsch sei, nur auf die Belegung der Intensivstationen zu schauen.

In der "taz"-Analyse zu Lanz' Aufstieg wird ein Politiker zitiert, der immer wieder zu Gast ist. Der meint, man habe bei Lanz – anders, als etwa bei den Shows von Anne Will, Maybrit Illner oder Frank Plasberg – auch mal 15 bis 20 Minuten Zeit, die eigenen Gedanken auszuführen. Obwohl Lanz auch immer wieder dazwischengrätsche, wenn jemand sich in Parteitagsfloskeln flüchtet.

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Markus Lanz im Gespräch mit Virologin Melanie Brinkmann und dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Bild: screenshot zdf

Mit seinen Nachfragen entlarvt Lanz immer wieder inhaltliche Lücken und Widersprüche – und verdeutlicht Probleme. Bei Susanne Hennig-Wellsow, der neuen Ko-Parteichefin der Linken, bohrte Lanz zu einem der wichtigsten Pläne der Partei nach: höhere Steuern für Gutverdiener und auf Erbschaften. Es wurde zum Fiasko für sie. "Das habe ich jetzt nicht im Einzelnen im Kopf", sagte Hennig-Wellsow zur Frage nach der Höhe der Erbschaftssteuer. Ralph Brinkhaus, den Chef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, konfrontierten Lanz und andere Studiengäste ausdauernd mit dem schlechten Corona-Management der Bundesregierung. "Ich werde hier von allen Seiten verprügelt", sagte Brinkhaus irgendwann.

Politkberater Hillje ist vom Inhalt von Lanz' Nachfragen nur bedingt angetan. Er sagt dazu zu watson: "Ich finde seinen Stil eher meinungslastig und mitunter boulevardesk. Ganz sicher ist er nicht stärker auf Inhalte fokussiert als andere Talkshow-Moderatoren." Anne Will bohre besser zu politischen Inhalten nach.

Der Punkt ist: Wer Lanz regelmäßig zusieht, erfährt relativ viel darüber, wie einige der wichtigsten Politiker im Land ticken, welche Positionen, Stärken und Schwächen sie haben. Die Show kann, Stand Mai 2021, ein guter Beitrag zur politischen Bildung sein. Wer hätte Markus Lanz das vor ein paar Jahren zugetraut?

Eine politische Show für eine politisch aufgeladene Zeit

Nur: Wie viel von all dem ist ein Corona-Effekt? Wie viel hat Lanz' Erfolg damit zu tun, dass die Menschen in Deutschland seit einem guten Jahr besonders hungrig nach politischer Information sind? Ist seine Show wegen dieser Ausnahmesituation so politisch?

Berater Johannes Hillje sagt zu Lanz' Erfolg: "Das hat viel mit der Pandemie zu tun." Er verweist darauf, dass die Einschaltquoten bei Lanz wie bei anderen Polit-Talks seit März 2020 gestiegen seien, nachdem sie jahrelang an Zuspruch verloren hätten. "Das Informationsbedürfnis ist allgemein durch die Pandemie gestiegen. Ich würde daraus noch keinen allgemeinen Trend ableiten."

Lanz könnte also nur ein journalistischer Profiteur der Corona-Krise sein. Der Talkmaster, der es in der Zeit, in der Millionen fast ständig zu Hause waren, ein kleines Fernsehlagerfeuer entfacht und am Brennen gehalten hat, an dem man sich dreimal die Woche spätabends versammelt.

Reinhold Beckmann blickt optimistischer auf Lanz' Erfolg. Der TV-Journalist, der selbst von 1999 bis 2014 eine der wichtigsten Talkshows moderiert hat, meinte in einem Interview mit dem RND kürzlich:

"Ich glaube, dass sich das pure Debattenfernsehen mit den immer gleichen Besetzungen und Mustern überholt hat. Das gilt gerade jetzt in den schwierigen Zeiten. Das Publikum wird besser abgeholt, wo Raum ist für längere Gedanken und auch Zweifel. Die wesentlichen Gespräche werden deshalb bei Markus Lanz geführt."

Das wäre die zweite Möglichkeit: Dass sich etwas längerfristig verschoben hat. Dafür spricht auch, dass die Sendung dieses Jahr für den prestigeträchtigen Nannen-Preis nominiert wurde, der "herausragenden Journalismus im Dienste des Gemeinwohl" prämiert. Vielleicht hat es Lanz auch geschafft, zum Vorreiter einer Zeit zu werden, in der mehr Menschen als zuvor in ihrer Freizeit Bock auf politischen Gedankenaustausch haben, auf Streit über die Zukunft des Landes und der Welt.

Wer näher an der Wahrheit liegt, wird sich zeigen: Dann, wenn die Pandemie nicht mehr wie eine Wolkendecke über dem Alltag der meisten Menschen liegt.

Also hoffentlich sehr bald.

Kein "Tatort" am Sonntag im TV – das wird stattdessen gezeigt

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