"Zentrum für Verbraucherfragen" – so in etwa könnte man den Namen "Consumer Choice Center" übersetzen. Die US-amerikanische Organisation gibt vor, für "Verbraucher in über 100 Ländern" zu kämpfen – unter anderem auch in Brüssel. Quasi wie die deutsche Verbraucherzentrale, nur auf EU-Ebene.
Unter anderem veröffentlicht das "Consumer Choice Center" jährlich ein Ranking der beliebtesten Bahnhöfe Europas. Die Kriterien: Wartezeit, Pünktlichkeit, die absolute Anzahl an Restaurants, die Zahl konkurrierender Eisenbahnunternehmen.
Im Bericht zur Erhebung wird dann lang und breit über den schlechten Einfluss des 9-Euro-Tickets auf Wartezeiten und mangelnde Pünktlichkeit in Deutschland gewettert. Was hat all das mit der Qualität der Bahnhöfe zu tun?
Wohl genau so viel wie die Arbeit des "Consumer Choice Centers" mit dem tatsächlichen Verbraucherschutz. Bei der Organisation handelt es sich um eine Lobbygruppe, die sich seit Jahren auf EU-Ebene gegen Klima- und Umweltschutzmaßnahmen einsetzt. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie Lobbyismus in Brüssel funktioniert.
Doch was bedeutet Lobbyismus? Und warum hat das nicht ausschließlich Nachteile? Watson beantwortet die wichtigsten Fragen.
Lobbyismus bedeutet zunächst einmal das Vertreten von Interessen. Ziel ist dabei der Einfluss auf politische Entscheidungen. Das ist grundsätzlich notwendig, damit Politiker:innen bei der Erarbeitung und Entscheidung von neuen Gesetzen die Interessen der Bevölkerung und der Wirtschaft im Blick behalten. Die Interessensvertreter:innen haben zudem oftmals mehr Expertise bei bestimmten Themen.
Will die EU etwa ein neues Gesetz für die Landwirtschaft erlassen, ist es wichtig, die Stimmen der Landwirt:innen zu hören. Diese können erklären, welchen Einfluss die neuen Regeln in der Realität für sie hätten.
Gleichermaßen holt die EU aber auch die Meinung von Umweltexpert:innen ein. Denn diese wissen über die Folgen des geplanten Gesetzes für Ökologie und Klima Bescheid.
Der Fall zeigt: Lobbyist:innen setzen sich etwa für die Interessen bestimmter Berufsgruppen oder der Umwelt ein – und zumindest mittelbar für die Bevölkerung. Neue Produktionsstandards in der Landwirtschaft könnten sich nämlich auch auf die Preise im Supermarkt auswirken. Und die voranschreitende Klimakatastrophe hat auf unterschiedliche Arten Einfluss auf die Bevölkerung.
Theoretisch verfolgt Lobbyismus also einen guten Zweck bei der Gesetzgebung:
Doch das ist nur der Idealfall. Das Problem an der Sache: In der Praxis haben globale Konzerne häufig den größten Einfluss beim Lobbyieren. Verständlich. Schließlich haben sie deutlich mehr Geld als die meisten Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Dadurch können sie mehr Ressourcen in Kampagnen stecken, die ihre Ziele unterstützen. Zudem haben sie die Mittel, etwa über Jahre hinweg Spenden an Parteien zu tätigen, um sich deren Wohlwollen ein Stück weit zu erkaufen.
Wohlwollen erkaufen: Ist das nicht Korruption?
Klar ist: Lobbyist:innen wollen – geleitet von ihren Interessen – Einfluss auf die Politik nehmen. Wenn bei dieser Einflussnahme jedoch Geld ins Spiel kommt, muss man genauer hinschauen.
Parteispenden sind Beträge, die Organisationen, Verbände oder Unternehmen an Parteien überweisen. Solange die betreffende Partei nicht eine Gegenleistung erbringt, ist die Spende legal.
In den meisten EU-Ländern existieren Pflichten, um dies zu regulieren. So müssen Parteien Spenden ab einer gewissen Höhe veröffentlichen – in Deutschland etwa ab einer Höhe von 10.000 Euro.
Von Korruption spricht man, wenn Politiker:innen, Richter:innen oder andere wichtige Personen Geld annehmen, um eine bestimmte Entscheidung zu treffen. Das kann etwa die Zustimmung oder Ablehnung eines Gesetzentwurfes sein.
Problematisch kann es werden, wenn Unternehmen an eine Partei Geld spenden und dabei nicht klar ist, ob die Spende "im Zusammenhang mit einer bestimmten politischen Entscheidung steht. Das ist verboten, lässt sich aber nur schwer nachweisen", erklärt die Transparenzplattform "Lobbycontrol".
In Brüssel gibt es Schätzungen von "Lobbycontrol" zufolge 25.000 Lobbyist:innen. Von ihnen arbeiten demnach 70 Prozent für Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Dort nehmen sie vor allem Einfluss auf die Europäische Kommission sowie den Europäischen Rat (bestehend aus Regierungschef:innen der Mitgliedsstaaten).
Wie Lobbyismus in Brüssel im konkreten Fall abläuft, zeigt ein Blick ins Transparenzregister der EU. Dort geben Lobbygruppen ihre Treffen mit Politiker:innen und deren Mitarbeiter:innen sowie ihre Interessensfelder an.
So traf sich etwa Coca-Cola mit Mitarbeiter:innen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, um über Regelungen zu Verpackungsabfällen zu sprechen. Zudem wirkt der Konzern auf die Zucker-Gesetzgebung der EU ein. Tesla wiederum setzt sich für Umwelt- und Verkehrspolitik ein, Edeka möchte an der EU-Verpackungsverordnung sowie am Lieferkettengesetz mitwirken und WWF am Green Deal und an Fischereigesetzen.
In Metas Register stehen allein für das Jahr 2023 20 Einträge für Treffen mit Kommissar:innen und ihren Teams. Themen waren Richtlinien zu Künstlicher Intelligenz, Datenschutz oder Desinformation.
Laut "Lobbycontrol" hat Meta 2023 von allen Akteur:innen am drittmeisten für Lobbyismus in Brüssel ausgegeben – ganze 9 Millionen Euro.
Einerseits haben alle der erwähnten Unternehmen im jeweiligen Feld ein großes Know-how. Andererseits liegt der Verdacht nahe, dass die Interessen oft vor allem wirtschaftliche sind. So wird Coca-Cola für besonders liberale Gesetze zur Besteuerung und Werbung zuckerhaltiger Getränke lobbyieren, Meta wiederum für lasche Gesetze zum Datenschutz.
Daher ist es von großem Nutzen, dass in Brüssel auch viele NGOs und Initiativen etwa für Klimaschutz und Menschenrechte lobbyieren, unter anderem WWF, Amnesty International oder Brot für die Welt.
Das Transparenzregister der EU ist für Lobby-Gruppen teils verpflichtend, teils jedoch freiwillig. Es bietet mehrere Schlupflöcher, die es Akteur:innen ermöglichen, sich vor der Öffentlichkeit zu verstecken, während sie im Hintergrund lobbyieren.
Das anfangs genannte "Consumer Choice Center" wird von der Tabakwirtschaft sowie der Öl- und Gasindustrie finanziert. Es warb in Kampagnen massiv gegen den Green Deal, ohne im Register aufzutauchen, wie die Investigativplattform "DeSmog" aufdeckte.
Kritiker:innen fordern daher ein verpflichtendes Lobbyregister mit härteren Regeln – "ein EU-Transparenzregister mit Biss", sagt "Lobbycontrol".
Ebenfalls kritisiert "Lobbycontrol", dass die Missachtung bestehender Regeln des Transparenzregisters nicht geahndet wird, vor allem im Parlament.
Dort liegt die Entscheidung über Sanktionen gegen Abgeordnete ausschließlich beim Parlamentspräsidium. Dieses habe "noch nie eine Sanktion für einen Verstoß gegen die Regeln bei Interessenkonflikten verhängt". Dass diese Verantwortung einem anderen Gremium überlassen werden sollte, zeigte zuletzt das sogenannte Katargate.
In dem Skandal war unter anderem die ehemalige Vizepräsidentin des Parlaments, Eva Kaili, verwickelt. Sie soll Geld von Katar angenommen haben, um sich für dessen Belange einzusetzen. Trotz der Vorwürfe gab es bisher kaum Konsequenzen. Zwei vorläufig festgenommene Abgeordnete sitzen mittlerweile wieder im Parlament.