Ein neuer Lagebericht des Verfassungsschutzes zeigt: In den vergangenen drei Jahren gab es 327 Fälle von mutmaßlichen oder erwiesenen Extremisten in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern.
Bei über 60 Prozent dieser Fälle bestanden oder bestehen Verbindungen zu Chatgruppen oder persönliche Kontakte zur rechtsextremistischen Szene.
Diese Zahlen seien erschreckend, sagt Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, am Freitag bei einer Pressekonferenz mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Berlin.
Es ist der zweite Lagebericht zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden. Diesmal wurden auch Fälle aus der "Reichsbürger"- und "Selbstverwalter"-Szene sowie aus der Bundeswehr in der Erhebung berücksichtigt.
Zu Sicherheitsbehörden zählen neben der Bundespolizei auch das Bundeskriminalamt, die Bundestagspolizei, der Zoll, der Bundesnachrichtendienst und die Bundeswehr.
"Jeder dieser Fälle ist einer zu viel und muss verfolgt werden", betont Faeser. Denn von ihnen gehe ein hohes Gefahrenpotenzial aus. Bedienstete in Sicherheitsbehörden hätten nicht nur Zugriff auf sensible Daten, sondern auch Zugang zu Waffen. Hier sei man in der Pflicht, genauer hinzusehen, sagt sie.
Drei Punkte, die sich jetzt ändern sollen:
Als Reaktion auf die 327 Fälle von Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden wurden in den vergangenen drei Jahren 500 arbeits- und disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet. Dies sei ein wichtiger Schritt nach vorn, betont Haldenwang. In 60 Fällen wurden Mitarbeitende schon entlassen oder werden es demnächst.
Zwar seien die Zahl der Fälle im Vergleich zum letzten Bericht neunmal so hoch und die tatsächlichen Fälle dreimal so viele wie zuvor. Allerdings bedeute dies nicht, dass die Lage in den Sicherheitsbehörden extremistischer geworden sei. Vielmehr sei sie auf die erfolgreiche Arbeit in Reaktion, Aufdeckung und Prävention von Rechtsextremismus zurückzuführen.
Im Bereich der Prävention könne bei der Personalauswahl gehandelt werden, sagt Haldenwang. Es gebe Ansprechstellen vor Ort und das Fortbildungsangebot für Mitarbeitende sei ausgebaut worden. Der Bund habe zudem Unterrichtsmaterial bereitgestellt, mit dem die Länder nun arbeiten könnten.
Das zeigt auch bereits Wirkung: "Das Anzeigeverhalten hat sich deutlich verändert", sagt Haldenwang auf die Nachfrage eines Journalisten. Durch die Lageberichte und die Berichterstattung über Rechtsextremismus sei ein Prozess der Sensibilisierung angestoßen worden. Und die niedrigschwelligen Maßnahmen würden Meldungen von Verdachtsfällen erleichtern.
Auf einer Pressekonferenz am Dienstag zur zunehmenden Gewaltbereitschaft von Corona-Leugnern wurden große Hoffnungen in Bundesinnenministerin Faeser gesetzt.
Etris Hashemi, Überlebender und Hinterbliebener des rassistischen Attentats in Hanau, nannte den im März vorgestellten 10-Punkte-Plan von Faeser einen "notwendigen und längst überfälligen Schritt". Allerdings gebe es kein Konzept, wie diese Punkte in der jetzigen Legislaturperiode durchgesetzt werden sollten.
Bis jetzt.
Der sogenannte 10-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus knüpft an die 89 Maßnahmen der Vorgängerregierung an. Er schreibt unter anderem fest: Die rechtsextreme Szene soll entwaffnet werden, ihre Finanzen ausgetrocknet, der Onlinehass bekämpft, Extremisten aus dem öffentlichen Dienst geworfen und die Prävention gestärkt werden.
Auf die Frage von watson, ob es konkrete Pläne gibt, wie der Aktionsplan gegen Rechtsextremismus in dieser Legislaturperiode durchgesetzt werden soll, sagt Faeser am Freitag, man habe bereits mit der Umsetzung angefangen: zum Beispiel durch die Zerschlagung rechter Netzwerke, wie dem Verbot des Nachfolgenetzwerks von Combat 18. Die rechtsextremistische Gruppierung Combat 18 wurde schon unter Faesers Vorgänger Horst Seehofer im Jahr 2020 verboten.
Weiter sagt sie:
Man sei dabei, den 10-Punkte-Plan Schritt für Schritt umzusetzen. "Je zeitnaher, desto besser", fügt Faeser hinzu.
Im Disziplinarrecht gebe es zwar wirksame Mechanismen, um gegen Verfassungsfeinde vorzugehen, sagt Faeser. "Doch die Disziplinarverfahren dauern viel zu lang – teilweise sogar mehrere Jahre." Deshalb wolle Faeser noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes vorlegen.
Welche das konkret sein werden, steht allerdings noch nicht fest: Man befinde sich in Absprachen, antwortet Faeser auf Nachfrage einer Journalistin. Doch: "Es gibt ein Instrument, das ich sehr interessant finde und das Baden-Württemberg jetzt anwendet: die Beweislastumkehr."
Das bedeutet, dass Bedienstete bei entsprechenden Anhaltspunkten auf Verfassungsfeindlichkeit aus dem Dienst entfernt werden können. Diese müssen anschließend selbst nachweisen, dass es sich dabei um eine falsche Annahme handelt.
Es werde aktuell geprüft, ob diese Umkehr der Beweislast rechtlich eine dauerhafte Möglichkeit für das Disziplinargesetz darstelle.
Bei diesem Lagebild zur zunehmenden rechten Gewalt in der Zivilgesellschaft und in Sicherheitsbehörden bleibt viel zu tun für Bundesinnenministerin Nancy Faeser.