"Der Sport ist unpolitisch" – eine Phrase, hinter der sich vor allem Funktionäre und Machthaber verstecken, wenn es um sportliche Ereignisse geht, die wegen mutmaßlicher zwielichtiger Machenschaften an einem umstrittenen Ort ausgerichtet werden. Oder um Sponsorenverträge, mit deren Hintergründen man sich besser nicht zu sehr auseinandersetzt.
Beispiele sind die erst kürzlich beendeten Olympischen Winterspielen in Peking, die kommende Fußball-WM Ende des Jahres in Katar oder das Sponsoring von der staatlichen Fluggesellschaft Qatar Airways beim FC Bayern und anderen großen Fußballklubs.
Und die Münchner sind nicht der einzige Verein, der von den Millionen eines Staatskonzerns profitiert. Nach der russischen Eskalation in der Ostukraine muss sich Zweitligist Schalke 04 kritisch mit seinem Hauptsponsor Gazprom auseinandersetzen.
Seit 15 Jahren ist Gazprom Germania, die deutsche Tochter des staatlichen Energiekonzerns, Sponsor des Traditionsklubs. Auf dem Trikot und im Stadion ist das Unternehmen omnipräsent. Doch nun nicht mehr.
Wie der Verein am Montag mitteilte, ist der Vertrag mit dem russischen Staatskonzern vorzeitig beendet worden. Dies habe der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrates beschlossen.
"Das Abziehen des Gazprom-Schriftzugs auf dem Trikot kann der Moment eines kommunikativen und emotionalen Neuanfangs sein", sagt Pascal "Pepo" Szewczyk im Gespräch mit watson. Seit 2015 produziert er den Schalke-Podcast "Blauer.Salon" mit mehreren tausend Hörern. Er ist in der Schalker Fanszene bestens vernetzt und hat eine Stehplatz-Dauerkarte seit 1997.
Zunächst hatten die Verantwortlichen des Vereins zurückhaltend reagiert. "Der FC Schalke 04 wird die weitere Entwicklung beobachten, bewerten und nachdrücklich zum Frieden appellieren zum Schutz der von der Krise betroffenen Menschen", teilte der Klub noch am Dienstag mit.
Dabei ist das Sponsoring des russischen Staatskonzerns seit seinem Einstieg 2007 enorm umstritten. Eine Auflösung des Vertrags wäre daher laut Szewczyk "legitim und längst überfällig". Dies würde dem Leitbild des Vereins entsprechen. Dort steht unter Paragraf acht: "Von uns Schalkern geht keine Diskriminierung oder Gewalt aus."
Diese Haltung hätten die Verantwortlichen in Gesprächen mit dem Sponsor auch geäußert. Doch der Verein macht in seinem Statement ebenfalls deutlich, dass Gazprom Germania ein zuverlässiger Partner sei und ein relevanter Gaslieferant für die Bundesrepublik Deutschland.
"Es ist ein politisches Statement, das zeigt, dass der Verein in der Zwickmühle steckt", bewertet Szewczyk zunächst die Vereinsmitteilung. Er respektiere, aber teile diese Äußerungen nicht. Zudem sei es "ein Witz", in diesem Zusammenhang auf Gazprom Germania hinzuweisen.
"Ich sehe nirgends das Gazprom Germania Logo, das sich schon vom russischen Eltern-Konzern abhebt. Ich lese überall nur Gazprom."
Und Gazprom war ein zuverlässiger Geldlieferant für Schalke 04. Erst 2021 verlängerten die Königsblauen den Vertrag um weitere vier Jahre.
Als aktueller Zweitligist bekommt Schalke jährlich neun Millionen Euro vom russischen Staatskonzern. Bei einem Aufstieg in die Bundesliga würde sich die Summe auf 15 Millionen Euro erhöhen, zudem würde Schalke eine Aufstiegsprämie von drei Millionen Euro bekommen.
Bei 237 Millionen Euro Schulden benötigt S04 das Geld dringend. Zumal: Sollte der Wiederaufstieg bis 2024 nicht gelingen, steig Gazprom laut "Bild"-Zeitung vorzeitig aus dem Vertrag aus.
Für Schalke-Insider Szewczyk ist eine Auflösung des Vertrags jedoch kein Problem: "Völker- und Menschenrecht sind nicht verhandelbar, sondern unbezahlbar. Der Preis, den Schalke für ein Aufrechterhalten bezahlt, ist höher als das Leben mit den Konsequenzen."
Er ist sicher, dass der Verein auch ohne die Millionen auskommen würde. "Dafür gibt es zu viele schlaue Köpfe mit königsblauem Herzen und wir sind 160.000 Mitglieder, die im Zweifel für ihren Klub zusammenstehen. Das muss man nur mal kreativ bündeln."
Ein Großteil der Anhänger des zweitgrößten Vereins Deutschlands habe sich mittlerweile an die Diskussion um Gazprom gewöhnt. "Was aber kein Grund ist, es nicht zu kritisieren und Fehler der Vergangenheit zu beheben", macht der Schalke-Kenner deutlich.
Gerade im Merchandising-Bereich würden viele Fans mittlerweile auf den Kauf eines Trikots verzichten, da Gazprom als Hauptsponsor auf der Brust zu sehen ist.
Doch Gazprom tritt nicht nur bei Schalke 04 präsent als Hauptsponsor auf. Das russische Unternehmen ist einer der Hauptsponsoren der Champions League und der Europameisterschaft.
Daher sind die Verbindungen zwischen Uefa, russischem Fußballverband und Gazprom eng. Die letzten russischen Funktionäre im Uefa-Exekutivkomitee oder Uefa-Gesandte im Fifa-Rat hatten alle eine Verbindung zum Staatsunternehmen.
Alexander Dyukov war beispielsweise Präsident von Zenit St. Petersburg. Mittlerweile ist er der Boss des russischen Fußballverbandes, seit 2021 Mitglied im Uefa-Exekutivkomitee und Vorsitzender der Gazprom-Tochter Gazprom Neft.
Ob das Champions-League-Finale am 28. Mai in der Gazprom-Arena in St. Petersburg daher wirklich verschoben wird, wie etwa von einigen Europa-Abgeordneten gefordert, ist mehr als fraglich.
Die Uefa teilte hierzu lediglich mit, dass der Verband die Situation beobachte und "wenn nötig, eine Entscheidung treffen wird." Am Freitag wird die Uefa in einer Sondersitzung darüber beraten. Laut sid-Informationen soll das Finale aus St. Petersburg abgezogen werden.
"Die Zeiten, in denen 'man die Situation beobachtet', sind vorbei. Die Uefa muss jetzt handeln und darf dieses Regime nicht länger legitimieren", hatten Mitglieder des Europaparlaments in einem offenen Brief an Uefa-Boss Aleksander Čeferin geschrieben. Zudem forderten sie, St. Petersburg und andere russische Städte nicht als Austragungsort für internationale Fußballwettbewerbe in Betracht zu ziehen.
"Russland ist derzeit wohl der letzte Austragungsort, den ich mir für ein Finale der Champions League wünschen würde", sagte Viola von Cramon, Europa-Abgeordnete der Grünen gegenüber der Sportschau.