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Virologe erklärt in "Hart aber fair", ob du jetzt noch Bahn fahren solltest

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sprach über Verkehrsmittel.
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sprach über Verkehrsmittel. Bild: screenshot ard
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Virologe erklärt, ob ihr noch Bahn fahren könnt

18.03.2020, 16:39
Dirk krampitz
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Deutschland im geistigen Ausnahmezustand. Die Grenzen bald geschlossen, die Geschäfte ebenfalls. Und auch bei "Hart aber fair" ist einiges anders: Keine Zuschauer im Studio und das Diskussionspanel luftig auseinander gezogen, um den Corona-Sicherheitsabstand einzuhalten. Außerdem geht es schon 20.15 Uhr los und nicht erst wie sonst um 21 Uhr.

ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam findet deutliche Worte zur Situation.
ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam findet deutliche Worte zur Situation.bild: screenshot ard

"Der Rechtsstaat ist nicht abgeschafft, die Grundrechte bleiben bestehen, sind aber eingeschränkt", sagt ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam angesichts der aktuellen Entwicklungen. Und er sagt auch, dass das noch nicht das Ende sein muss, wenn sich zu viele Bürger nicht an Ge- und Verbote halten sollten: "Wer jetzt sagt, 'Ist mir egal', muss damit rechnet, dass es noch härter wird." Wer zum Beispiel gegen die Quarantäne verstoße, riskiere Geldstrafen. So sei das eben, wenn der Gesundheitsschutz für alle mit den Grundrechten der Bürger kollidiere.

So sieht es in Deutschland aus

Doch bevor es zu dieser deutlichen Analyse kommt, gibt es erstmal eine einstündige Reportage zur Einführung in die derzeitige Situation in Deutschland. Insgesamt 14 Reporter der Sendung sind in Deutschland ausgeschwärmt und haben Menschen besucht, die von Corona betroffen sind.

Sie begleiten NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der sagt: "Das schlimmste Virus ist das Virus der Angst", wenn man sich damit infiziert habe, könne man kaum noch etwas bewirken. Die Altenpflegerin, die von Berufswegen keinen Abstand zur Risikogruppe halten kann, stellt klar: "Ich kann den Zucker nicht aus zwei Meter Entfernung messen." Aber sie hält nun zumindest die Besuche so kurz wie möglich. Eine Friseurkundin hat zwar ein bisschen Erkältung, geht aber trotzdem zum Haare schneiden, Eitelkeit siegt. Ein Kioskbetreiber am Titisee macht mittlerweile den Umsatz in einer Woche, den er zuvor an einem Tag hatte und musste auch schon einen Mitarbeiter entlassen.

Als die Reporter dann auch die Kuckucksuhrenverkäufer und ihre Kurzzeitarbeit beleuchtet haben, ist es höchste Zeit, ins Studio zu schalten. Es diskutieren:

  • Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier
  • Virologe Jonas Schmidt-Chanasit
  • ARD-Börsenexpertin Anja Kohl
  • Psychologin Ulrike Scheuermann
  • Hotelier Bernd Niemeir
  • ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam

Die Schüler in Deutschland haben wegen des Virus mittlerweile frei. Aber der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Hamburg warnt gleich am Anfang davor, "dass wir hier nicht über zwei Wochen Corona-Ferien reden". Man solle das nicht einfach als freie Zeit nehmen und so weiterleben wie bisher, sondern wirklich Sozialkontakte meiden. Doch die Gefahr ist groß, dass viele die Bedrohung nicht ernst nehmen. Das sieht auch Diplom-Psychologin Ulrike Schauermann so.

Psychologin Ulrike Scheuermann erklärt, warum viele die Gefahr unterschätzen.
Psychologin Ulrike Scheuermann erklärt, warum viele die Gefahr unterschätzen.bild: screenshot ard
"Man kann es nicht riechen oder hören. Wir können es nur über den Verstand realisieren, dass der Virus kommt."
Pschologin Ulrike Scheuermann

Und darum sei es sehr einfach zu verdrängen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier steht zu den "unbegrenzten" Krediten.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier steht zu den "unbegrenzten" Krediten.bild: screenshot ard

Verdrängen – das will auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier verhindern. Darum sei die Schließung von vielen Einrichtungen und nun auch vielen Geschäften nötig, um deutlich zu machen "es ist ernst und keine Spielerei". Gerade diese Schließung bringt aber viele Betriebe, Unternehmen und Selbstständige in eine finanzielle Bredouille.

Darum habe die Regierung großzügige finanzielle Unterstützung und für viele überraschend freigiebig "unbegrenzte Kredite" angekündigt. Moderator Frank Plasberg fragt bei Altmaier nach, wie überlegt dieses Versprechen denn war. "Das Versprechen haben wir uns schon gut überlegt, aber natürlich möchten wir nicht, dass es bis zur Neige ausgeschöpft wird."

Altmaier gesteht Fehler ein

Eine Zuschauerin fragt übers Netz, wie das denn funktionieren solle, wenn Deutschland fünf Wochen quasi lahmgelegt ist. "Es wäre schön, wenn wir das wüssten", gibt Altmaier ganz offen und erstaunlich frohgemut zu. Er setze aber Hoffnung in das Vorbild Südkorea, das seine Corona-Krise inzwischen einigermaßen im Griff habe. Aber er gibt auch zu:

"Wir haben das möglicherweise am Anfang, alle zusammen, etwas unterschätzt."

Aber die Todesrate in Deutschland sei eine der geringsten in ganz Europa: "Es gibt Hoffnung." Und doch macht er deutlich: "Es wäre verantwortungslos zu sagen, in 14 Tage ist der ganze Spuk vorbei." Er selbst habe alle seine Reisen bis Mitte Mai abgesagt. "Die Frage, wie lange es dauert, das können wir zum derzeitigen Zeitpunkt nicht beantworten", sagt Altmaier. Aber "wir werden wohl noch für einige Wochen oder Monate Abstand halten müssen."

Zeit für die Briefmarkensammlung

Es sind drastische Fakten, die ganz nebenbei erwähnt werden und ganz unmerklich schleicht sich eine seltsame Tonalität in die Diskussion, wenn es um die Folgen von Deutschland im Pausenmodus geht. Psychologin Scheuermann: "Wir lernen uns alle ganz neu kennen" und es dürfe "auch krachen zu Hause", wenn Familien nun ungewohnt viel Zeit nur miteinander verbringen.

Und wenn man ältere Menschen nicht besuchen könne aus Gesundheitsgründen, lautet ihr Profi-Tipp: Einfach mal anrufen: "Die Sorge vermittelt sich auch ohne direkte Umarmung." Altmaier schlägt später in dieselbe Kerbe und propagiert die Krise als "Chance für viele Menschen". Es sei Gelegenheit "vieles andere zu tun, was man sonst nie getan hat. Man darf es nicht nur als eine Einschränkung von Freiheit sehen." Man kann nur spekulieren, was Peter Altmaier mit dieser Formulierung gemeint haben könnte. Vielleicht endlich die Gelegenheit, die Briefmarkensammlung zu ordnen?

ARD-Börsenexpertin Anja Kohl glaubt "es wird noch schlimmer".
ARD-Börsenexpertin Anja Kohl glaubt "es wird noch schlimmer".bild: Screenshot ard

Eine Weltwirtschaftskrise droht

Wesentlich ernster sieht Börsenexpertin Anja Kohl die Lage: "Wir sind im Risiko, eine Weltwirtschaftskrise und Weltfinanzkrise zu kriegen", sagt Anja Kohl. "Es wird noch schlimmer, bevor es dann vielleicht besser wird." Hotelier Bernd Niemeir, in der Runde der Vertreter der kleinen Unternehmer, nickt zustimmend. Er spürt die Auswirkung bereits in seinem Hotel, hat auf Kurzzeitarbeit umgestellt, und denkt, dass diverse Hotelier-Kollegen ohne schnelle, staatliche Hilfe in die Insolvenz schlittern.

Können wir noch Bahn fahren?

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit gibt Überraschendes preis, wo doch überall vor dem Bahnfahren gewarnt wird: Er fährt noch unbesorgt Bahn. Weil das Risiko für Schmierinfektionen gering sei, könnten Züge "sehr unproblematisch benutzt werden". Auch, weil sie im Moment so leer sind. Aber er berührt nach Möglichkeit nichts und wenn er einen Knopf drücken muss, benutzt er ein Tuch, "was ich danach wegschmeiße".

Es ist durchaus möglich, dass andere Menschen eine andere Definition von "sehr unproblematisch benutzen" haben als Schmidt-Chanasit. Aber wenigstens kann er etwas beruhigen, was die Lebenszeit des Virus auf Oberflächen angeht: "wenige Minuten bis zu wenigen Stunden". Längere Zeiten seien wohl nur unter Laborbedingungen möglich.

Vom Hamstern zur Empathie

Psychologin Ulrike Scheuermann soll in dieser Runde erklären, was die Menschen im Moment an- und umtreibt. Eines der interessantesten Phänomene ist das Hamstern. Ihre einfache Erklärung:

"Wenn man sieht, dass die Regale leer sind, löst das was aus. Automatisch kommt in unserem Hirn an: Ich muss was tun. Und dann kaufen wir natürlich erstmal."
Psychologin Ulrike Scheuermann

Also ein Ur-Erhaltungstrieb, der einen zu Toilettenpapier greifen lässt. Gleichzeitig zu diesem hochgradig unsozialen Verhalten setzt sie aber auch auf wachsende Solidarität und Spendenbereitschaft: "Es gibt nicht DEN Schuldigen", darum sei die Empathie gegenüber Geschädigten groß.

Und wann kommt der Impfstoff?

Wenn er die Pandemie schon durchstehen müsse, dann am liebsten "natürlich in Deutschland", sagt der Virologe Schmidt-Chanasit. Das System hierzulande sei gut aufgestellt, gerade auch was die Möglichkeiten an Tests und Impfstoffentwicklern angeht. Er rechnet mit den klinischen Tests für den Impfstoff in diesem Sommer und dem fertigen Impfstoff in 2021.

Das Ansinnen von US-Präsident Donald Trump, den Impfstoffentwickler Curevac zu kaufen, "muss ich gar nicht kommentieren", sagt Minister Altmaier. Curavac-Mehrheitseigner Dietmar Hopp habe mit seiner Absage an Trump alles klar gesagt. Nur soviel will er dann doch noch sagen: "Wir haben als Staat auch Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass solche Unternehmen nicht in falsche Hände geraten."