Am Sonntagnachmittag haben sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer in der Corona-Krise über eine bundesweite Kontaktsperre verständigt. Überraschend wurde nach der Verkündung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekannt, dass sie selbst nun unter häuslicher Quarantäne steht. Merkel hatte Kontakt zu einem positiv auf den Coronavirus getesteten Arzt.
"Wirklich blöd" sei das, sagt der Chef des Bundeskanzleramts Helge Braun (CDU) bei Anne Will dazu und erklärt: Die Kanzlerin habe sich am Wochenende gegen Pneumokokken impfen lassen. Aber sie habe nur kurz Kontakt mit dem Arzt gehabt und deshalb hoffe man, dass sie sich nicht angesteckt habe. Aber sie werde ihre Rede im Bundestag am Mittwoch nicht halten und auch an der Kabinettssitzung nicht teilnehmen. Angela Merkel regiert nun von zu Hause aus.
Aus Kreisen der Teilnehmer wurde schon vor der Merkel-Ansprache bekannt, dass es Streit gegeben haben soll in der Runde der Ministerpräsidenten. Vor allem zwischen Markus Söder (CSU, Bayern) und Armin Laschet (CDU, NRW) soll es gekracht haben. Als Anne Will den zugeschalteten Söder danach fragt, behauptet er: "Gar nicht", führt dann allerdings aus: "Es geht um Leben und Tod, es ist eine todernste Sache. Die Lage ist viel, viel ernster, als viele glauben."
Söder hat die Mangel-Lage in Italien als Schreckensbeispiel vor Augen. "So darf es bei uns nicht werden, dass Ärzte entscheiden, wer leben darf und wer nicht." Anne Will merkt an, dass in Italien trotz der Ausgangssperre die Fallzahlen nicht zurückgegangen sind. Söder:
Anne Will lässt jedoch nicht locker und will von Söder wissen, ob sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet "für einen Großteil der Republik durchgesetzt hat", indem er die Ausgangsbeschränkung mit durchsetzte. Bayern hält derzeit noch an seiner strengeren Beschränkung fest.
Markus Söder scheint getroffen oder zumindest ein wenig empört über die Frage Wills.
"Ja", funkt Will dazwischen. "Weil die Einheitlichkeit ein Wert hätte sein können", sagt sie, während Söder ungerührt weiterspricht.
Und Söder erklärt: Per Gesetz legen die Regelung bei den Ländern. Er glaube, dass ein Sonderweg für Deutschland nicht das richtige Mittel sei. Deshalb habe er, wie auch bei den Schulschließungen, für sein Land gehandelt.
Nicht nur Markus Söder fand Wills Frage in diesem Zusammenhang komisch. Auch in sozialen Netzwerken musste sich die Moderatorin viel Kritik anhören. Ihre Sprecherin verteidigte Anne Will nach der Sendung und machte deren Position deutlich: "Selbstverständlich respektieren wir Kritik immer. Auch in dieser schwierigen Zeit haben Journalistinnen und Journalisten die Aufgabe, kritisch nachzufragen. Das ist ja keine Kritik an einer Person, sondern die Auseinandersetzung mit der Position", erklärte die Sprecherin gegenüber "Focus Online".
Und weiter: "Markus Söder wurde öffentlich und im Kreise der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten dafür kritisiert, sich nicht an Absprachen im Sinne eines einheitlichen Vorgehens der Länder zu halten. Damit haben wir ihn in der Sendung konfrontiert."
Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, nennt die Kontaktsperre lieber "Gruppenverbot" und begrüßt vor allem die bundesweite Einheitlichkeit. "Wenn Streifenwagen unterwegs sind und sehen, da sind viele unterwegs, können sie eingreifen."
Und man müsse nicht erst landesspezifische Regelungen nachschlagen. Die Polizisten müssten sich "nur um die kümmern, die sich daneben benehmen. Ich glaube, das sind die allerwenigsten." Helge Braun gibt ihm prinzipiell recht, betont aber noch einmal: "Die Wenigen gefährden die Vielen."
Bernadett Erdmann, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Wolfsburg, ist da skeptischer. Sie malt ein verheerendes Bild der Situation:
Schon jetzt hätten sie die personellen Ressourcen nicht mehr und kaum noch Schutzkleidung. In ihrer Notaufnahme des Klinikums Wolfsburg sei das eine Reserve für nur noch eine Woche. Schutzkleidung hänge zum Teil noch an den Grenzen beim Zoll. "Es gibt kein Material, die Firmen komme nicht hinterher, es wird nicht mehr in Deutschland produziert."
Auch Polizei-Vertreter Sebastian Fiedler beklagt, dass Sicherheitsausrüstung auch bei ihnen "nicht im Ansatz ausreichend vorhanden" sei. Braun versucht zu beruhigen: "Wir haben jetzt die ersten Lieferungen. Die Verteilung fängt jetzt an. Wir haben enorme Mengen bestellt." Genaueres will – oder kann – er allerdings nicht sagen.
Ob es so schlimm werde wie in Italien, will Anne Will von der Ärztin Bernadett Erdmann wissen. "Wir wissen es nicht. Das ist der Blick in die Glaskugel, aber wir befürchten es. Wenn die Prognosen, die wir von den Virologen und Epidemiologen bekommen, stimmen, müssen wir damit rechnen."
Und selbst Braun ist nicht ganz so optimistisch wie Gesundheitsminister Jens Spahn es bisher war. "Von den Betten werden wir es schaffen, von den Geräten wahrscheinlich auch, aber das Personal wird eine Herausforderung." Seine Idee: Frührentner und Medizinstudenten sollen "unser Medizinwesen stabilisieren". Aber auch sie könnten "bittere Spuren" nicht verhindern.
Forscher vom Imperial College in London haben in einer Modellstudie errechnet, dass eine Quarantäne von 18 Monaten theoretisch sinnvoll sei. Die Maßnahmen seien "auf sehr viel kürzere Fristen" ausgelegt, stellt Helge Braun noch einmal klar. Erstmal wie angekündigt zwei Wochen Kontaktsperre und die bereits zuvor beschlossenen Einschränkungen bis zum 19. April.
Dann werde man neu überlegen. "Die Menschen müssen jetzt gute Nerven bewahren und nicht den vielen Gerüchten, die im Netz kursieren, glauben." Virologin Brinkmann meint, dass mit dem Impfstoff in einem Jahr zu rechnen sei: "Diese Maßnahmen so lang aufrechterhalten ist unmöglich." Ihre Empfehlung: "Stattdessen die Risikogruppen schützen – das muss der Fokus sein."