Warum wählt der Osten immer noch so anders? Mit der so wichtigen Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am Sonntag vor Augen soll diese Frage die Sendung bei "Maybrit Illner" am Donnerstagabend im ZDF dominieren. Die Gästeauswahl ist dabei mit Vertretern aus allen politischen Spektren besonders spannend:
"Wir kämpfen um jede Stimme bei dieser Landtagswahl", erklärt Paul Ziemiak und gibt sich dabei gleich weniger optimistisch als bei seiner Vorstellung angekündigt.
"Das Phänomen der AfD ist ja etwas, was man sich genauer anschauen muss", fügt der CDU-Generalsekretär an. Die Stimmen der AfD seien seiner Ansicht nach nämlich nicht wie häufig behauptet hauptsächlich von der CDU übergelaufen, sondern eher von der SPD und Linkspartei gekommen.
Moderatorin Illner hakt ein: "Bei der letzten Bundestagswahl stimmt das schon mal nicht. Da sind von der CDU 1,4 Millionen zur AfD gewandert und von der SPD 500.000." Ziemiak kontert und lässt dadurch erkennen, dass er sich mit seiner Aussage zuvor auf ein Bundesland bezogen hatte:
Schon der Beginn der Sendung zeigt: Die Wahl in Sachsen-Anhalt am kommenden Wochenende ist mit der Bundestagswahl im September vor der Brust mit den unterschiedlichsten Emotionen aufgeladen. Für die CDU als Gesamtpartei ist es ein enorm wichtiger Gradmesser, für Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet ebenfalls.
Moderatorin Illner hat sich an diesem Abend offensichtlich viel vorgenommen. Nachdem sie zu Beginn Paul Ziemiak ziemlich resolut korrigiert hatte, weist sie nur kurze Zeit später Linken-Urgestein Gregor Gysi in die Schranken und als sie das erste Mal mit Alexander Gauland, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD spricht und der ausweichend und unkonkret antwortet, wird sie sogar leicht schnippisch und stellt ihn dabei bloß:
Sie wollte eigentlich wissen, ob Gauland zu seiner Aussage aus dem Bundestag von vor sechs Monaten steht, wo er beim Thema "Bundes-Notbremse" zur Eindämmung der Corona-Pandemie von einer "Corona-Diktatur" gesprochen hatte.
Gauland relativiert seine Aussage in der Sendung nur minimal: "Wir sind mit der Bundes-Notbremse einen Weg gegangen, der zumindest sehr gefährlich in Richtung einer Diktatur geht." Da reicht es der Moderatorin und sie nimmt Gaulands Aussage auseinander und entkräftet sein "Diktatur"-Argument: "Aber da war jetzt das Parlament dabei, es gibt eine freie Presse in diesem Land, es gibt eine Opposition in diesem Land."
Und "Spiegel"-Journalistin Melanie Amann schlägt im Anschluss in die gleiche Kerbe: "Das ist hanebüchener Unsinn", stellt sie klar. Man könne mit der Begrifflichkeit "Diktatur" nicht einfach nach "populistischem Belieben" herumspielen. Zur Wählerentwicklung in Ostdeutschland und dem rasanten Wachstum der AfD hat Amann einen interessanten Ansatz:
Sie meint mit der "Diktatur" die sozialistische Diktatur in der DDR, die im Jahr 1990 mit dem Mauerfall ihr Ende fand.
Auch CDU-Ziemiak lässt sich seine Kritik an Gaulands "Corona-Diktatur"-Spruch nicht nehmen, hält sich aber dann in Sachen Ausführlichkeit zurück. So kommt danach Kevin Kühnert zu Wort, der dafür plädiert, sich auf die inhaltlich wichtigen Themen in Sachsen-Anhalt zu konzentrieren. Da haben die anderen Teilnehmer der Runde zunächst aber offensichtlich gar keine Lust drauf, denn die Notbremse bleibt thematisch akut.
Es ist dabei wie so häufig in politischen Talkshows mit AfD-Beteiligung – Alle gegen einen. Und das ist nicht selten selbstverschuldet, so auch an diesem Abend, weil Alexander Gaulands "Corona-Diktatur"-Aussage jeglicher Grundlage entbehrt. Dass er die Wortwahl in der Sendung immer weiter verteidigt und darauf verweist, dass Juristen seine Einschätzung teilen würden (der Begriff "Diktatur" wurde von denen allerdings nie gebraucht), bringt ihm dann auch von den bis zu dem Zeitpunkt zurückhaltender aufgetretenen Gregor Gysi und Kevin Kühnert heftige Gegenwehr ein.
Als Maybrit Illner das Thema wechseln und mit Generalsekretär Paul Ziemiak über die Entwicklung seiner Partei nach Angela Merkel sprechen möchte, will der wieder zurückkehren zum Sachsen-Anhalt-Diskurs – was ihm dann wiederum etwas um die Ohren fliegt.
Denn Sachsen-Anhalt ist ausgerechnet das Bundesland, in dem den hochrangigen CDU-Funktionären, die hinter Ministerpräsident Rainer Haseloff auf der Liste stehen, eine auffällige Nähe zur AfD nachgesagt wird. Und im Nachbarland Thüringen wählten vor etwas mehr als einem Jahr CDU- und AfD-Abgeordnete gemeinsam den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten, was bundesweit in einen riesigen Skandal ausartete.
Ziemiak will diese AfD-Nähe kleinreden – als Kevin Kühnert dann die zuvor erwähnten Punkte macht, entgegnet er:
Das will Kevin Kühnert aber wiederum nicht auf sich sitzen lassen.
Aber dass einige hohe CDU-Politiker aufgrund der bereits erwähnten Punkte zumindest in Betracht ziehen, mit der AfD zu koalieren, sei unbestreitbar. Ziemiak betont daraufhin nur nochmal, dass Rainer Haseloff niemals mit der AfD zusammenarbeiten würde. Was das am Sonntagabend wert ist, wird sich zeigen müssen.
Die Debatte an diesem Abend ist wild – teilweise ist über eine volle Minute kaum ein Wort zu verstehen, alle reden durcheinander, die Moderatorin hat große Probleme, die Ordnung zu halten. Irgendwann fauchen sich Gauland und Journalistin Amann an, dem AfD-Politiker brennt dabei offenbar eine Sicherung durch. "Hören Sie doch auf dummes Zeug zu reden", sagt er. Dass sich Amann davon nicht provozieren lässt, ist aller Ehren wert und vermutlich gar nicht so einfach. Am Ende bleibt der Zuschauer wohl etwas ausgelaugt zurück – der Wunsch von Kevin Kühnert, mal über die Menschen und Probleme vor Ort in Sachsen-Anhalt zu sprechen, bleibt bis zuletzt unerfüllt.