Was ist das konkrete Kriegsziel? Kann die Ukraine den Krieg gewinnen? Hilft Deutschland genug? Fragen, die in den letzten Tagen an Bedeutung gewonnen haben und bei den Bürgern zu Angst und Unsicherheit führen. Diese Aspekte bespricht Anne Will in dieser Sendung mit fünf Gästen. Besonders die Herangehensweise des Bundeskanzlers wird scharf analysiert.
Heute im Studio anwesend:
Es wird ein Einspieler des Kanzlers gezeigt, in dem er keine deutlichen Worte für die ukrainische Perspektive findet. "Die Ukraine muss bestehen", sagt er. Von einem Sieg spricht Olaf Scholz nicht. "Wieso spricht er nicht von gewinnen?", fragt Anne Will bei ihren Gästen nach. Für die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband bedeutet gewinnen: die russischen Truppen ziehen sich zurück.
Der Bundeskanzler sollte sich hinter diese Aussage stellen und nicht mit Halbsätzen für Unklarheiten sorgen: "Es ist keine klare Linie der Regierung sichtbar", merkt die Publizistin an. SPD-Bundestagsabgeordneter Michael Roth hingegen ist der Überzeugung, der Bundeskanzler drücke sich politisch deutlich aus.
Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter nutzt die Möglichkeit, um oppositionelle Politik zu betreiben und wirft der Bundesregierung "sehr kleine Unterstützungsleistung" für die Ukraine vor. Deutschland könnte mehr leisten und die Kritik gehe ausdrücklich ans Kanzleramt, nicht an die FDP und die Grünen.
Man brauche Klarheit über das Kriegsziel, verdeutlicht Carlo Masala. Krieg sei eine dynamische Situation, an die man sich anpassen müsse, weshalb eine klare Kommunikation notwendig sei. Letzterer Punkt sei ein grundlegendes Problem der EU und der NATO, so Masala. Jan van Aken zieht die Diskussion von militärischen Lösungsversuchen zu den zivilen Lösungsansätzen. Täglich würde man über 320 Millionen Euro an Russland zahlen, berichtet er.
Man habe zu lange über Waffenlieferungen gesprochen und zu wenig über effektive Sanktionen: "Wie können wir Russland wirtschaftlich treffen?" Diese Diskussion findet SPD-Mann Roth "absurd". Wenn es nach Deutschlang ginge, hätte man längst ein Energieembargo. Ungarn würde das verhindern, sagt er Roth.
"Man streitet sich derzeit über Gas. Das zeichnet ein demokratisches Land aus." Man könne aber nicht behaupten, die Bundesregierung würde keine Sanktionen beschließen, so Roth. Daraufhin geht Marina Weisband auf die Wirkungskraft der Sanktionen ein. Das Sanktionieren der Zentralbank sei kaum effektiv, da sie sich selbst verschulden könne. Der Kurs des Rubels und die Gewinne der Ölkonzerne würden wachsen und man würde die russischen Konzerne – auf Kosten der deutschen Bürger und der Sicherheit der Ukraine – weiter finanzieren, so Weisband.
In einem Einspieler wird gezeigt, wie dem Bundeskanzler vorgeworfen wird, er würde in der Ukraine-Politik "Spielchen" spielen. "Verzögert der Kanzler die Waffenlieferungen absichtlich?", fragt die Moderatorin daraufhin bei Michael Roth nach. Dieser bekennt sich zu den politischen Entscheidungen, die jüngst von der Regierung beschlossen wurden, und findet es unangemessen dem Kanzler in einer Kriegssituation "irgendwelche Spielchen" zu bezichtigen. Dementgegen ist Kiesewetter der Ansicht, der Bundeskanzler spiele auf Zeit.
Er geht überdies noch einen Schritt weiter und vermutet: Der Bundeskanzler würde nicht wollen, dass die Ukraine gewinnt. Roth schüttelt aufgebracht den Kopf, kommt jedoch nicht mehr zu Wort.
Gegen Ende der Sendung spricht sich Jan van Aken erneut gegen die Waffenlieferungen aus. Es sei noch nicht genügend Energie in zivile Lösungsoptionen investiert worden. Jeden Tag würden Millionen von Euro nach Russland gehen und genau da müsse man ansetzen. An der Umsetzung würde es jedoch scheitern, weil man sonst "Konten von Milliardären in der Schweiz einfrieren" müsse. Das läge nicht im Interesse der Regierung, verlautet van Aken.
SPD-Politiker Michael Roth rauft sich fassungslos die Haare: "In welchem Film bin ich eigentlich?" Das Öl-Embargo werde von Ungarn blockiert, wiederholt er. Schon fast so, als wäre es das Einzige, was er als Argument vorschieben kann. Er wird auch deutlich impulsiver als zu Beginn der Sendung. Der einzige Weg der Ukraine umgehend zu helfen, ist der mit militärischen Waffen.
Das sei selbst für ihn als Kriegsverweigerer schwer einzugestehen. Man habe sich von Russland abhängig gemacht und man wollte die deutschen Bürger im Rahmen der Gaslieferungen nicht schaden: "Wir streiten darüber, wie wir schnell aus der Abhängigkeit aussteigen können." Jan van Aken zeigt sich recht unbeeindruckt und nicht überzeugt: "Die Strategie muss lauten: Sanktionen verschärfen. Zuerst der zivile Weg!"
Marina Weisband war vor der Annexion der Krim im Jahr 2014 ebenfalls dieser Meinung. Sie habe jedoch lernen müssen, dass Putin sich nicht bezichtigen ließe und deswegen müssten jetzt an erster Linie die militärischen Mittel stehen. Es war eine lebendige Talkrunde mit vielen unterschiedlichen Meinungen und einer melancholischen Stimmung am Ende: Man müsse jetzt alles tun, um nicht auf einen Abnutzungskrieg zu zielen.