Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist auch das immer wieder ein Thema: Verallgemeinernde Aussagen über alle Russen, verbale Angriffe, in Deutschland wurden auch Attacken auf russische Geschäfte bekannt. Jetzt wird das Thema an einem prominenten Beispiel noch einmal neu diskutiert: Der Politikwissenschaftlerin Florence Gaub wird vorgeworfen, sich in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" am Dienstagabend rassistisch über Menschen in Russland geäußert zu haben. Auf Twitter gibt es einen regelrechten Shitstorm gegen die Expertin.
Gaub ist nicht nur Politikwissenschaftlerin, sondern auch stellvertretende Direktorin des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsstudien. Konkret geht es bei den Vorwürfen um ihre Vergleiche zwischen "Russen" auf der einen Seite und "Europäern" auf der anderen – und beider angeblich unterschiedliches Verhältnis zum Tod.
So sagte Gaub während der Sendung: "Ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dass auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind – im kulturellen Sinne". Russen hätten einen anderen Bezug zu Gewalt und Tod. Sie findet: "Es gibt (bei Russen) nicht diesen liberalen und postmodernen Zugang zum Leben. Das Leben als ein Projekt, das jeder für sich individuell gestaltet. Sondern das Leben kann halt einfach auch mit dem Tod recht früh enden." Weiter sagte sie, Russen gingen mit dadurch anders damit um, wenn Menschen sterben.
Diese Aussagen stoßen nun auf eine Welle der Entrüstung. Auch aus den eigenen Kreisen gibt es scharfe Kritik: Als "Rassismus ohne Rassen" bezeichnet etwa der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli die Aussagen von Gaub auf Twitter: "So funktioniert Rassismus ohne Rassen: Russen sehen europäisch aus, sind aber keine Europäer und da bei Russen das Sterben nun mal dazu gehört (anders als bei Europäern) ist es auch nicht so schlimm, wenn Russen sterben. Das ist halt einfach deren Kultur." Dazu schreibt er kommentierend: "Einfach unfassbar."
Ismail Küpeli reagiert damit auf einen Tweet, der am Dienstagabend viral ging. Der Verfasser bezeichnet dort die ZDF-Sendung als "die mit Abstand rassistischste Lanz-Sendung", die er je gesehen habe. Und schrieb – offensichtlich zynisch gemeint – dazu: "Also Leute, lasst euch nicht vom Aussehen der leidensfähigen Russen täuschen, die sind nicht so wie wir." Der Verfasser ließ es nicht nicht nehmen, auch gegen Moderator Markus Lanz zu schießen. "Hammertipp von Florence Gaub supported by Markus Lanz", schrieb er. Der Tweet wurde knapp 200 Mal retweetet und erhielt tausend "Gefällt mir"-Angaben.
Der Linke NRW-Politiker Jules El-Khatib schrieb am Mittwochvormittag zur Aussage Gaubs: "Eine tolle Umschreibung für 'Russen sind wilde Barbaren, die nur töten wollen'. Es wäre echt schön, wenn im Fernsehen nicht klischeehaft über alle Russen geredet würde."
Ein anderer User twitterte: "Bin sprachlos. Klingt, als ob man russischen Menschen weniger Respekt vorm Leben unterstellt."
Doch es gibt auch Menschen, die Partei für Gaub ergreifen. Viele bezeichnen ihre Aussagen etwa als "unglücklich formuliert". So auch die österreichische Rechtsanwältin Yara Hofbauer, die sich mit Diskriminierungs-, Opfer- & Gewaltschutz auseinandersetzt. Sie verteidigt die Aussagen der Politikwissenschaftlerin: "Es ist unglücklich formuliert, weil es das europäische Aussehen nicht gibt. Aber was Florence Gaub hier auch sagt, ist, dass wir uns auf Basis von Äußerlichkeiten ein Bild von Menschen machen, das oft nicht der Realität entspricht".
Andere kommentieren, dass Gaub diese Aussage nicht so gemeint habe, wie es auf den ersten Blick wirken mag. Die Politikwissenschaftlerin selbst sieht sich offenbar im Recht. Sie twitterte als Reaktion auf die Shitstorms: "Bucha. Mariupol. Aleppo" – wohl um ihre Aussage über das unterschiedliche Verhältnis von Russen und Europäern zur Gewalt zu verdeutlichen.
Zuvor twitterte sie: "Einige von Ihnen haben mir die Aussage vorgeworfen, dass Russen zwar europäisch aussehen, aber nicht europäisch sind. Lassen Sie mich das erklären. 1,77 Prozent von Russland liegen in Asien, nicht in Europa. Manche Leute scheinen das nicht zu wissen." Und: Russen blickten anders auf den Ukraine-Konflikt als "wir".
(ast)