Donald Trump hat mit einem Podcast-Auftritt aus seiner Sicht ziemlich viel richtig gemacht.bild: screenshot "The Joe Rogan Experience" / youtube
Analyse
Wer die deutsche Podcast-Landschaft einigermaßen kennt, hat schon mal von "Hotel Matze" gehört. Seit 2016 gibt es das Interview-Format von Matze Hielscher – und man muss schon konzentriert nachdenken, damit einem ein paar angesagte deutsche Promis einfallen, die noch nicht bei ihm zu Gast waren.
Ende Mai überraschte Hielscher mit einer Folge, die in dieser Form nicht zu erwarten war: "Friedrich Merz – woran (ver)zweifeln Sie?"
Gespräche mit Politiker:innen, erst recht dieser Größenordnung, gehörten bis dahin nicht zum Kernfachgebiet Hielschers – und wer sich die Folge anhörte, blieb danach ein bisschen ratlos zurück. Zumindest, wenn man Friedrich Merz' Politik kritisch betrachtet.
Ganz egal, wie doof man die politischen Ansichten von Merz auch findet oder wie oft man sich über seinen Populismus ärgert: Man hatte plötzlich das Gefühl, dass Merz auch eine menschliche, eine sympathische, Seite hat – wenn er nicht gerade gegen politische Gegner:innen schimpft, sondern ausgeruht und offen über die Dinge spricht, die ihn bewegen und antreiben. Merz als Privatperson.
Es entwickelte sich der Eindruck, deutlich mehr Respekt vor dem Menschen im Politiker zu haben als bisher. Es war eine Folge, die eindrucksvoll zeigte: Podcasts wirken.
Donald Trump nutzte unkritisches Rogan-Interview
Merz' PR-Coup mit der Podcast-Zusage blieb auch den anderen Parteien nicht verborgen. In den folgenden Wochen waren Olaf Scholz, Ricarda Lang und, noch recht frisch, Christian Lindner bei Hielscher zu Gast.
Nun ist es nicht so, dass Matze Hielscher einen neuen Trend erfunden hat. Oft schwappen Kommunikationsstrategien aus den USA nach Europa. Und dass das Game in den Vereinigten Staaten schon zwei Schritte weiter ist, stellte Donald Trump unter Beweis.
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Der alte und neue Präsident der USA war vor knapp zwei Wochen bei einem der größten Podcaster der Welt, Joe Rogan, zu Gast. Es war kein schneller Besuch: Geschlagene drei Stunden nahm sich Donald Trump Zeit. Allein auf Youtube erreichte er damit 45 Millionen Menschen. Hinzu dürfte eine zweistellige Millionenzahl auf Spotify kommen, das keine Statistiken zu Einzelepisoden veröffentlicht.
Politisch-inhaltlich war wenig Überraschendes zu hören, dennoch bot das Gespräch unerwartete Momente. Beispielsweise, als Rogan Trump fragte, wie es sich anfühlte, ohne Politikerfahrung plötzlich im Weißen Haus zu sitzen.
Diese Grafik von "Bitkom" zeigt, wie sich die Podcast-Nutzung entwickelt hat.bild: bitkom / statista Das Problem an Trumps Auftritt fasste der "Guardian" so zusammen: "Rogan ließ zu, dass Trump dreist log – über Wahlbetrug, das Defizit, seine Steuerpolitik und viele andere Themen. Ohne ihn infrage zu stellen."
Genau das ist der Grund, warum sich Politiker:innen in solchen Formaten wohlfühlen können: Interviewpodcaster:innen sind oft keine Journalist:innen. Und sie haben auch gar nicht den Anspruch, immer nur kritische Fragen zu stellen. Sie wollen ihrem Publikum ein Gespräch bieten, das ihnen gefällt. In der Hoffnung, dass die Folge möglichst (komplett) gehört wird.
Das gilt (teilweise) auch, wenn Journalist:innen die Gespräche führen. Podcast-Interviews sind oft kumpelig bis kuschelig, selten gibt's bohrende Nachfragen der Hosts.
Das ist erst einmal nur eine Feststellung, keine Wertung. Aber natürlich wissen Politiker:innen das. Weshalb es für sie eine durchaus dankbare Möglichkeit sein kann, Botschaften in einer Zielgruppe zu platzieren, die man sonst eher nicht erreicht.
Donald Trump wusste, welche Zielgruppe er erreichen wollte
Im Falle von Trump bei Rogan klappte das zweifelsohne. Dazu muss man wissen: Rund 80 Prozent des Rogan-Publikums sind Männer, rund ein Drittel davon unter 35 Jahre alt.
Genau das dürfte Trumps Kalkulation gewesen sein, als er Rogan zusagte: "Es ist unwahrscheinlich, dass Donald Trumps Interview mit Joe Rogan die Wechselwähler beeinflusst", sagte Alfred Hermida, Professor für Journalismus an der University of British Columbia, zu "Newsweek". "Aber das war wohl nicht die Absicht hinter dem Interview. Ich glaube, dass Trump beschlossen hat, mit Rogan zu sprechen, um (...) junge Männer zu erreichen."
Zum einen, weil er bei ihnen ohnehin schon im Wahlkampf punktete. Zum anderen, weil gerade junge Männer wahlfaul sind. Für Trump war der Podcast-Move gezielte Wählermobilisierung.
Dass der Einfluss von Podcasts groß sein kann, davon gehen viele Beobachter:innen aus. "Forbes" schreibt in einer Analyse: "Blogbeiträge, Social Media, unabhängige Webseiten, Podcasts – das sind nicht mehr die Alternativen. Die kumulative Wirkung dieser Nachrichtenquellen könnte den Einfluss der großen Medien mittlerweile übertreffen. Vielleicht haben sie eine viel größere Wirkung als wir uns vorstellen können."
Podcasts "sind in der Lage, das zusammenzubringen, was früher ziemlich esoterische, manchmal recht seltsame Ideen gewesen wären, die vor dem Internetzeitalter in stiller Isolation voneinander existiert hätten", sagte Steven Livingston, Professor für Politikwissenschaften an der George Washington University, der "Tagesschau".
Ein Auftritt in einem Podcast kann auch nach hinten losgehen
Risikofrei ist ein Podcast-Auftritt für Politiker:innen dennoch nicht, schreibt Lea Redfern von der Universität Sydney in einer Einschätzung. "Das Risiko für Politiker:innen besteht darin, dass die Authentizität und Intimität, für die Podcasts bekannt sind, genauso gut gegen sie wirken könnte. Ein Mangel an Authentizität wird durch Kopfhörer direkt in die Ohren der Zuhörer:innen verstärkt."
Und auch für die Podcaster:innen besteht durchaus ein Risiko. Alex Cooper, ähnlich erfolgreich wie Rogan, hat vor ihrem Gespräch mit Trumps Gegnerin Kamala Harris ausführlich erklärt, warum sie lange nicht sicher gewesen sei, ob sie eine politische Folge machen wolle. Aus Angst, Zuhörer:innen zu verärgern, weil ihr Podcast eigentlich unpolitisch ist.
Am Ende hat sie sich dennoch dafür entschieden, weil Harris mit ihr über Abtreibungen sprechen wollte, eines der dominanten Themen im zurückliegenden Wahlkampf. Und das Recht auf weibliche Selbstbestimmung wiederum ist ein Thema, das regelmäßig Teil von Coopers Podcast "Call Her Daddy" ist.
Gleichzeitig war Harris' Auftritt bei Cooper nicht ganz so wirksam wie Trumps bei Rogan. Warum? Darüber kann man aktuell nur mutmaßen. Eine These ist: Junge Frauen, denen das Thema Abtreibung wichtig ist, waren vor der Wahl ohnehin schon politisiert und mobilisiert und wären auch ohne Harris' Auftritt bei Cooper zur Wahl gegangen.
Das Fazit zu Podcasts im Wahlkampf erscheint dennoch eindeutig: "Die möglichen Gewinne sind so groß, dass sie das Risiko wert sind", schreibt Lea Redfern.
Beim TV-Sender Bloomberg lautet das Fazit: "Podcasts haben die US-Wahl nicht entschieden, aber sie haben geholfen."
Es wird spannend sein zu sehen, was die deutschen Politiker:innen im Bundestagswahlkampf 2025 aus dieser Erkenntnis machen. Und welche etablierten Podcaster:innen bereit sind, ihre Reichweite auch Politiker:innen zur Verfügung zu stellen.