Eigentlich fing alles noch recht entspannt an: Ich besuchte die Corona-Demonstration der selbsternannten Querdenker in Berlin, um von vor Ort zu berichten. Mit Teilnehmern sprechen, diskutieren, Fotos schießen – ganz normale journalistische Arbeit. Auch, dass manche Gesprächspartner stutzig werden, wenn ich erzähle, in welcher Funktion ich sie anspreche, war erwartbar. Bedroht, beleidigt oder bespuckt hat mich zunächst niemand. Von körperlicher Gewalt ganz zu schweigen.
Doch dann kam der Wendepunkt. Bereits einige Stunden, nachdem die Polizei die Demo aufgelöst hatte, bewegte sich eine Reihe an Demonstranten Richtung Brandenburger Tor. Eine unüberschaubar lange Reihe. Unter ihnen befanden sich, wie auch schon den ganzen Tag, einige Menschen mit Reichs- sowie Reichskriegsflaggen. Einige brüllten Polizisten an, die sich zwischen der Masse positionierten. Ihre Köpfe rot vor Wut, ihre Spucke flog den Beamten entgegen wie kleine Hassgeschosse. Aggressionspotential war also vorhanden.
Megafone jaulten wenige Zentimeter von meinen Ohren entfernt laute Parolen: "Merkel muss weg!" "Corona-Diktatur!" Der anfangs entspannte Ton auf der Versammlung wandelte sich am Nachmittag zunehmend. Ein Strudel aufschäumender Wut – und er wuchs ständig weiter, schien jedwede Hemmung zu verschlingen.
Wenige Meter später gab es kein Durchkommen mehr. Es war schlicht zu voll. Die Siegessäule, an der es eine Kundgebung geben sollte und schließlich auch gab, war schlicht unerreichbar. Und trotzdem rückten Demonstranten nach. Um mich herum verschwitzte Glatzen in "Einigkeit, Recht und Freiheit"-Shirts und Camouflage-Hosen. Daneben auch ein paar Menschen in weniger militanten Outfits.
Ich blieb stehen. Hinter, vor und neben mir: Menschen. Keiner von ihnen trug eine Maske, ich hatte meine auf. Ein paar schauten mich deswegen schon feindselig an. Das irritierte mich ebenfalls.
Ich machte ein Video von der Situation und schaute es mir nochmal an. Plötzlich, aus dem Nichts, verpasste mir jemand eine Ohrfeige. Warum? Keine Ahnung. Einen konkreten Anlass gab es nicht. Der Mann kam nach der Ohrfeige näher, brüllte "Verpiss dich!". Ich schaute ihn an, sagte, dass ich hier nur rumstehe. Wieder: "Verpiss dich!" Olivgrünes, mit Löchern übersätes Shirt, kaputte Hose, zerfurchtes Gesicht und hasserfüllte Augen. Der Mann hatte ein eindeutiges, wenn auch grundloses Problem mit mir.
In mir staute sich Wut. Doch mir blieb nichts übrig, als still zu bleiben. Ich war allein, der Außenseiter unter tausenden Gleichgesinnten. Meine Hände zitterten vor Wut, aber ich sagte nichts weiter.
Die Menschen beobachteten uns, ein paar blökten etwas von "friedlichem Protest". Es fühlte sich nicht danach an.
Der Mann zog weiter und ein anderer Demonstrant fragte mich, was der Mann denn gehabt habe. "Keine Ahnung", entgegnete ich. "War wohl sauer, dass ich eine Maske trage." Währenddessen hämmerte mein Herz.
Ich blieb noch ein paar Minuten stehen, wahrscheinlich aus falschem Stolz, weil ich mich nicht verscheuchen lassen wollte, und verließ darauf den Wutstrudel. Ich muss betonen: Die große Mehrheit der Menschen dort ist nicht gewalttätig. Schlecht informiert, ja, wahrscheinlich. Aber bestimmt keine Schläger. Leider geriet ich wohl an jemanden, der einer war.