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Nach Astrazeneca-Stopp: Was du jetzt wissen solltest

March 15, 2021, Coria, Spain: A healthcare worker administers Astra Zeneca COVID19 Vaccine to a frontline workers at Coria City Hospital..Some European countries have cancelled the administration of A ...
In den Impfzentren wird vorerst nicht mehr der Impfstoff von Astrazeneca verwendet.Bild: www.imago-images.de / Gustavo Valiente
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Epidemiologe: "Der Nutzen des Impfstoffs überwiegt sehr die möglichen Risiken" – Was du nach dem Astrazeneca-Stopp jetzt wissen musst

16.03.2021, 09:3916.03.2021, 15:36
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Schon in den vergangenen Wochen haben in Deutschland einige Menschen eine Impfung mit Astrazeneca abgelehnt. Am Montag hat nun auch die Bundesregierung die Vergabe des Impfstoffs auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts vorübergehend angehalten, nachdem es neue Berichte über Fälle von sehr seltenen Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gegeben hatte. Gesundheitsminister Jens Spahn betonte, es handle sich um eine "reine Vorsichtsmaßnahme".

Dänemark hatte als erstes Land Astrazeneca-Impfungen ausgesetzt, nachdem im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung ein Todesfall aufgetreten war. Andere Länder zogen nach. Nach Deutschland verkündete am Montagabend auch Spanien einen Stopp.

Aber wie kam es überhaupt zum Stopp der Impfungen? Müssen die Menschen Angst vor Astrazeneca haben? Und wie geht es weiter? Watson hat die wichtigsten Informationen gesammelt.

"Der Nutzen des Impfstoffs überwiegt sehr die möglichen Risiken."
Timo Ulrichs

Warum gibt es den Impfstopp?

Den vorläufigen Stopp empfohlen hat in Deutschland das zuständige Paul-Ehrlich-Institut. Bei der Analyse neuer Daten sehe man eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Thrombosen in Hirnvenen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit Astrazeneca, so das Institut. Von den sieben in Deutschland aufgetretenen Fällen mit Thrombosen (Blutgerinnseln) der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang zur Impfung verliefen drei tödlich, wie Institutspräsident Klaus Cichutek in den ARD-"Tagesthemen" sagte. Bisher wurde das Astrazeneca-Präparat in Deutschland über 1,6 Millionen Mal geimpft.

Auch in einigen anderen Ländern waren Fälle von Thrombosen nach einer Impfung aufgetreten. Bei einigen Personen war nach Angaben der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA gleichzeitig eine ungewöhnlich geringe Zahl von Blutplättchen festgestellt worden. Die Daten werden nun von der EMA weiter analysiert und bewertet.

Was bedeutet das für bereits Geimpfte?

Laut dem Paul-Ehrlich-Institut solle man sich in ärztliche Behandlung begeben, wenn man sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollte, etwa mit starken oder anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen.

Epidemiologe Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin sagte gegenüber watson, dass die Impfungen mit Astrazeneca aktuell lediglich ausgesetzt seien. "Nach Klärung der Umstände der Blutgerinnsel wird sie sicher bald wieder aufgenommen werden. Falls nicht, käme ein anderer Impfstoff für die Zweitimpfung infrage", so Ulrichs.

Müssen die Menschen Angst vor Astrazeneca haben?

Epidemiologe Timo Ulrichs sagte dazu gegenüber watson ganz klar: "Nein". Und weiter: "Die beschriebenen schwereren Nebenwirkungen wie allergischer Schock oder die Blutgerinnsel (hier ist der kausale Zusammenhang noch nicht geklärt) kommen extrem selten vor (wenige Fälle pro Millionen Verimpfungen) – der Nutzen des Impfstoffs überwiegt sehr die möglichen Risiken."

Der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München, Christoph Spinner, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Sicherheit stehe zwar an oberster Stelle – das Aussetzen könne man aber zumindest hinterfragen. "Die Ereignisse sind sehr selten", sagte er mit Blick auf die Zahl der Vorfälle. Und: "Wir impfen derzeit prioritär Menschen mit Vorerkrankungen." Diese Patienten hätten teils von vornherein ein gesteigertes Thromboembolie-Risiko. "Übrigens verursacht auch eine schwere Covid-19-Erkrankung regelhaft thromboembolische Ereignisse – alleine deshalb ist eine Impfung absolut sinnvoll." Für einen konkreten Mechanismus, der zu den Hirnvenen-Thrombosen führen solle, gebe es derzeit keine Annahme. "Das Arzneimittel ist nach allem, was wir heute wissen, sicher", so Spinner.

Auch der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, hält das Präparat für sicher. Und die Weltgesundheitsorganisation betonte, dass das Aussetzen von Astrazeneca-Impfungen noch kein Alarmzeichen sei. Die Vorfälle seien nicht notwendigerweise aufs Impfen zurückzuführen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. "Es ist eine Routine-Praxis, das zu untersuchen." Außerdem zeige es, dass das Überwachungssystem funktioniere und wirksame Kontrollen stattfänden.

Was bedeutet der Stopp der Impfungen für die Bekämpfung der Pandemie?

"Das wirft uns zeitlich leider zurück. Es bleibt die Hoffnung, dass die anderen Hersteller bald ihre zugesagten Kontingente liefern werden. Wir müssen viel aufholen, wenn ausreichend Impfstoffdosen zur Verfügung stehen werden, um unser Ziel einhalten zu können, bis zum Sommer alle durchgeimpft zu haben", sagte Ulrichs gegenüber watson.

Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) rechnet nun mit deutlichen Verzögerungen im rechnerischen Impfzeitplan. "Dies würde das Impfergebnis um einen Monat rechnerisch nach hinten verschieben", sagte ZI-Chef Dominik von Stillfried dem "Handelsblatt". Dann würden statt im August erst im September alle Impfwilligen eine zweite Dosis erhalten. Das Rechenmodell des Instituts geht davon aus, dass die bislang zugelassenen Mittel von Johnson & Johnson , Moderna und Biontech/Pfizer wie zugesagt geliefert werden und die Hausärzte frühestmöglich impfen können.

David Spiegelhalter, britischer Statistikprofessor an der Universität Cambridge, kritisiert den vorübergehenden Stopp der Impfungen mit Astrazeneca. "Angesichts von Ungewissheit ist es gut, vorsichtig zu sein. Aber in den derzeitigen Umständen mit steigenden Fallzahlen in Deutschland dürfte die Vorsicht es gebieten, schnellstmöglich so viele Menschen wie möglich zu impfen", so Spiegelhalter.

Wie ist die Lage in Großbritannien, wo bislang am häufigsten mit Astrazenca geimpft wurde?

In einem Gastbeitrag im "Guardian" hatte Spiegelhalter am Montag davor gewarnt, kausale Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind. Die klinischen Studien, die zur Zulassung des Astrazeneca-Impfstoffs in Großbritannien führten, und die Erfahrungen aus dem Impfprogramm in dem Land mit rund zehn Millionen verabreichten Dosen des Präparats hätten gezeigt, dass das Vakzin "außerordentlich sicher" sei.

Großbritannien nutzt den Impfstoff also weiter. "Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist", sagte Phil Bryan von der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA).

Ulrichs sagte gegenüber watson, er hoffe, dass Astrazeneca von den Menschen in Deutschland ebenfalls akzeptiert wird. "Denn die Daten aus Ländern, in denen er viel geimpft wird, sind sehr gut. Ein Beispiel ist Großbritannien."

Wie geht es weiter mit der Impfkampagne in Deutschland?

Bereits vereinbarte Termine für die Impfung mit Astrazeneca sollten in vielen Fällen erstmal abgesagt werden. Die für Mittwochabend geplante Bund/Länder-Beratung zur weiteren Impfstrategie soll voraussichtlich verschoben werden. Es sei davon auszugehen, dass die Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA am Donnerstag zum weiteren Vorgehen bei dem Impfstoff abgewartet werde, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Montagabend aus mit den Vorgängen befassten Kreisen.

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hält weiter daran fest, dass die Impfungen fortgesetzt werden könnten. Sie hat bisher keinen Zusammenhang zwischen Thrombose-Fällen und dem Astrazeneca -Impfstoff festgestellt. Die Prüfung der Fälle werde aber fortgesetzt, teilte die EMA am Montag in Amsterdam mit. Die Sicherheitsexperten wollten am Donnerstag über mögliche weitere Schritte entscheiden.

Ulrichs befürchtet, dass durch die Aussetzung das Vertrauen in Corona-Impfungen weiter geschwächt wird. Und das "völlig zu Unrecht".

(pas / mit Material von dpa)