Ein Medizinstudent sitzt während einem Probelauf in einer Impfstation des Zentralen Impfzentrum an der Freiburger Messe und lässt sich von einem weiteren Studenten simuliert impfen.Bild: dpa / Philipp von Ditfurth
watson antwortet
21.12.2020, 15:2221.12.2020, 19:59
Der erste Impfstoff gegen das Coronavirus hat nun auch für die EU grünes Licht bekommen. Die
EU-Arzneimittelbehörde EMA sprach am Montagnachmittag erwartungsgemäß eine Empfehlung für das Präparat von Biontech und Pfizer aus, und die EU-Kommission entschied nur wenige Stunden später, den Impfstoff offiziell zu genehmigen. Und was genau passiert jetzt?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte zunächst die Bürger auf Anlaufschwierigkeiten bei den Impfungen ein. "Es wird am
Anfang ruckeln", sagte er am Sonntagabend im ARD-"Bericht aus
Berlin". "Wir sind bestmöglich vorbereitet, aber jetzt wird's
konkret." Beim Hochfahren der Impfzentren werde es darauf ankommen,
miteinander zu lernen. Es werde zunächst auch nur wenig Impfstoff
geben. "Es ist halt zu Beginn für alle knapp. Aber das war im Übrigen
auch immer bekannt." Großbritannien habe in den ersten zwölf Tagen
300.000 Menschen impfen können. "Das werden wir auch in den ersten
Tagen erreichen können", so Spahn.
Die Antworten zu den wichtigsten Fragen:
Wie viele Impfdosen erhält Deutschland?
Anfänglich soll es rund 400.000 Dosen des Mittels BNT162b2 von
Biontech/Pfizer geben. Im Januar könnten nach Angaben des
Bundesgesundheitsministeriums drei bis vier Millionen Dosen zur
Verfügung stehen. Im ersten Quartal rechnet Gesundheitsminister Jens
Spahn (CDU) mit 11 bis 13 Millionen Impfdosen. Da das Präparat
zweimal verabreicht werden muss, würde diese Menge in etwa für 5.5
bis 6.5 Millionen Menschen reichen. Insgesamt hat sich der Bund über
einen EU-weiten Schlüssel und nationale Vereinbarungen bisher rund
300 Millionen Dosen gesichert – von Biontech und anderen Herstellern.
Wie wird der Impfstoff deutschlandweit verteilt?
Der Bund lässt das Präparat je nach Bevölkerungsanteil an
insgesamt 27 feste Standorte in den Bundesländern liefern. Ab dann
sind die Länder für Lagerung und Verteilung sowie die Beschaffung von
Impfzubehör wie Lösungsmittel, Spritzen und Kanülen zuständig.
Wie geht das logistisch?
Das Mainzer Unternehmen setzt da auf den US-Partner Pfizer.
Dieser kann nach Biontech-Angaben die Impfstoffdosen in seinen
weltweiten Vertriebszentren bis zu sechs Monate lagern. Das muss bei
minus 70 Grad geschehen. In speziell entwickelten Versandboxen kann
das Präparat bei diesen Temperaturen bis zu 15 Tage transportiert
werden. Im Kühlschrank ist eine Lagerung bis zu fünf Tage möglich.
Wo wird der Impfstoff produziert? Wie lange dauert das?
Biontech will mit seinem US-Partner noch in diesem Jahr weltweit
50 Millionen Dosen liefern. 2021 sollen dann bis zu 1.3 Milliarden
hergestellt werden - etwa in Mainz, Idar-Oberstein und Marburg. Aus
der Produktionsanlage in Marburg sollen im ersten Halbjahr bis zu 250
Millionen Dosen kommen. Die Herstellung des Impfstoffs dauere eine
Woche, heißt es vom Unternehmen. Qualitätskontrolle und Freigabe
benötigten dann weitere drei Wochen. Zudem haben Biontech wie auch
andere Hersteller schon vor einer Zulassung auf Halde produziert.
Wo werden die Impfungen gemacht?
In der Anfangsphase in regionalen Impfzentren, die von den
Ländern eingerichtet und betrieben werden. Eine Kühlung von minus 70
Grad ist nicht in jeder Arztpraxis möglich. Bis zu 442 Impfzentren
sollen deutschlandweit zur Verfügung stehen. Zehntausende Ärztinnen
und Ärzte sowie weitere Helfer haben sich für Einsätze gemeldet.
Mobile Impfteams sollen etwa in Pflegeheime und Krankenhäuser gehen.
Wann geht es los mit den ersten Injektionen?
Nach grünem Licht der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und
der Zulassung der EU-Kommission will Deutschland ab dem 27. Dezember
mit Impfungen starten. In den Tagen dazwischen will das bundeseigene
Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Impfchargen prüfen und freigeben.
Was ist mit den anderen Impfstoffen?
Über das Präparat von Moderna will die EMA bis zum
6. Januar entscheiden. Neben den 300 Millionen Biontech-Dosen hat
sich die EU auch 160 Millionen von Moderna gesichert. Bei Astrazeneca
(400 Millionen Dosen) und Janssen Pharmaceutica (Dosen für
400 Millionen Menschen) hat die EMA ihre Prüfungen begonnen. Daneben hat
die EU-Kommission Verträge mit Sanofi-GSK (300 Millionen Dosen) und Curevac (405 Millionen); mit Novavax (200 Millionen) ist Brüssel in
Gesprächen. Die Impfstoffe werden unter den Mitgliedsstaaten nach
Bevölkerungsanteil verteilt.
Wirkt der Impfstoff bei der neu aufgetauchten Virusvariante schlechter?
Vermutlich nicht. "Ich sehe da derzeit keinen Grund für Alarm",
sagt Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel. Auch Andreas
Bergthaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
(CeMM) in Wien, hält die derzeitige Entwicklung nicht für "wahnsinnig
alarmierend". Dass Mutationen auftauchen, sei nicht ungewöhnlich,
derzeit wisse man nicht, ob die beobachteten Veränderungen die
Eigenschaften des Erregers überhaupt entscheidend beeinflussen.
Wer kann sich zuerst impfen lassen, wer muss am längsten warten?
Nach der Impfverordnung des Bundes sollen anfangs Ältere über 80
Jahre und Pflegeheimbewohner zum Zuge kommen können, zudem Personal
etwa in Notaufnahmen oder Corona-Stationen sowie in der Altenpflege.
Insgesamt umfasst diese Gruppe der Ständigen Impfkommission (Stiko)
beim Robert Koch-Institut (RKI) zufolge rund 8.6 Millionen Menschen.
Zu denen, die am wenigsten dringlich zu impfen sind, gehören im
Allgemeinen Menschen unter 60 Jahre, die weder Vorerkrankungen haben,
noch mit Risikopatienten in Kontakt kommen oder berufsbedingt viele
Menschen treffen. Das entspricht etwa 45 Millionen Menschen.
Wie kommt man zu einer Impfung?
Das ist nur mit Termin möglich, allerdings gibt es in Deutschland
einen Flickenteppich. Denn die Terminvergabe regeln die Bundesländer.
In Baden-Württemberg zum Beispiel ist geplant, dass neben einer App
die telefonische Anmeldung über die bundesweit einheitliche Nummer
116117 oder auch direkt in größeren Impfzentren erfolgen kann.
Niedersachsen wiederum hat eine landeseigene Hotline. Manche Länder
schreiben ihre Bürger auch direkt an.
Ab wann gibt es Massenimpfungen?
In den ersten Wochen werden vorerst nur begrenzte Mengen an Dosen
verfügbar sein. Die Impfzentren dürften daher zunächst nicht unter
Volllast fahren. In welchem Maße die Standorte hochgefahren werden,
hängt von den Ländern ab. Gesundheitsminister Spahn rechnet mit genug
Impfstoff für Massenimpfungen im kommenden Sommer. Impfungen sollen
dann auch von Impfzentren an normale Praxen in der Fläche übergehen.
Wie viele Menschen könnten täglich geimpft werden?
Auch das hängt vom Bundesland ab. Bayern und Hessen peilen in den
Zentren bis zu 30.000 Impfungen am Tag an. In Berlin sollen es bis zu
20.000 werden. Hamburg und Rheinland-Pfalz planen rund 7000. Ein
Rechenbeispiel mit deutschlandweit täglich 150.000 Impfungen: Weil
jeder mit dem Biontech-Serum zweimal gepikst werden muss, dauerte es
etwa zwei Monate, bis 4.3 Millionen Menschen vollständig gegen
Sars-CoV-2 geimpft wären. Das entspräche etwa der Hälfte derjenigen,
die laut Impfverordnung zuerst an der Reihe sind.
Müssen die Menschen etwas für die Impfung bezahlen?
Nein. Sie soll gratis sein, egal ob und wie jemand versichert
ist. Die Kosten für die Impfstoffe übernimmt der Bund. Dafür stehen
im Etat 2021 zunächst 2,7 Milliarden Euro bereit. Die Kosten rund um
die Impfungen insgesamt taxiert Spahn auf bis zu sechs Milliarden
Euro.
Werde ich nach der Impfung tatsächlich immun sein?
Eine erste Impfung bringt dem PEI-Präsidenten Klaus Cichutek
zufolge eine Grundimmunisierung. Nach drei bis vier Wochen erfolgt
eine zweite Impfung. Voraussichtlich zwei bis drei Wochen danach sei
voller Schutz aufgebaut. Den bisherigen Analysen und Tests zufolge
schützt das Biontech-Serum wohl mit 95-prozentiger Wirkung vor einer
Covid-19-Erkrankung.
Ist mit Nebenwirkungen zu rechnen?
Müdigkeit, Kopfweh, Schmerzen an der Einstichstelle - auf
mögliche, übliche Impf-Nebenwirkungen muss man sich einstellen. Das
geht aus einer jüngst im "New England Journal of Medicine"
veröffentlichten Studie zum Biontech-Präparat hervor. Für die Studie
wurden knapp 45.000 Männer und Frauen untersucht. Weitere Symptome:
Schüttelfrost, Durchfall oder Muskel- und Gliederschmerzen, teilweise
auch Fieber. Diese waren im Allgemeinen schwach bis mäßig und klangen
nach kurzer Zeit wieder ab. Nicht angenehm, aber auch kein Anlass für
größere Bedenken, sagen Impfexperten.
Wie werden etwaige Nebenwirkungen überwacht?
Die Verträglichkeit des Impfstoffs wird auch nach der Zulassung
weiter überprüft. Dafür setzt das zuständige Paul-Ehrlich-Institut
auf Meldungen von Herstellern, Ärzten, aber auch von Patienten. Der
einfachste Weg führt über die Plattform "nebenwirkungen.bund.de".
Über eine Melde-App soll es zudem eine Beobachtungsstudie geben. Wer
mitmacht, werde "mehrfach kontaktiert und um Angaben zu möglichen
Reaktionen gebeten", teilte eine PEI-Sprecherin der dpa mit.
Können Geimpfte andere mit dem Coronavirus anstecken?
Möglich, aber weniger wahrscheinlich. PEI-Präsident Cichutek
zufolge kann man sich auch nach einer Impfung noch anstecken - das
Risiko sei aber deutlich reduziert. Das gilt auch für die Weitergabe
von Viren. Zu einem letzten Urteil ist die Forschung hier noch nicht
gekommen. Experten gehen davon aus, dass es noch leichte
Corona-Symptome geben könne, aber keine schweren Krankheitsverläufe
mehr. Auf jeden Fall wird dazu geraten, auch nach der Impfung weiter
Abstand zu halten, Hände zu waschen und Mund-Nasen-Bedeckungen zu
tragen.
Wird es eine Impfpflicht geben?
Nein. Eine allgemeine Impfpflicht hat die Bundesregierung klar
ausgeschlossen. Auch für Berufsgruppen in Medizin und Pflege steht
sie bisher nicht zur Debatte. Der Gießener Jura-Professor Steffen
Augsberg, Mitglied im Deutschen Ethikrat, wollte ein solches Vorgehen
in einem Interview des SWR aber nicht ausschließen: Wenn sich mit
anderen Maßnahmen das Infektionsgeschehen zum Beispiel auf
Intensivstationen nicht in den Griff bekommen lasse, "dann kann man
darüber nachdenken, ob es insoweit eine bereichsbezogene Impfpflicht
geben kann". Eine solche Option liege aber in weiter Ferne.
Und was ist mit einer Impfpflicht durch die Hintertür?
Manche befürchten, dass sie ohne eine Corona-Impfung nicht mehr
vollständig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, weil etwa
Geschäfte oder Restaurants den Zutritt ohne Nachweis einer Immunität
verwehren. Mit Blick auf private Besitzer und Veranstalter sagte
Andrea Kießling, Expertin für Infektionsschutzrecht an der Ruhr-Uni
Bochum, dem SWR: "Wir können die nicht zwingen, dass sie auch mit
Ungeimpften Geschäfte machen." Umstritten bleibt zunächst, ob und wie
etwa Restaurantbetreiber eine Immunität kontrollieren könnten. Jurist
Augsberg hält "die bloße Variante, dass ich vorzeige, dass ich zum
Beispiel geimpft bin, ohne dass das in weiterer Form überprüft oder
mir zugeordnet wird", für unproblematisch.
Ab welcher Zahl werden genug Menschen in Deutschland geimpft sein?
Um die Pandemie zu stoppen, müssten nach Schätzung von Experten
etwa 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft werden. Das wären in
Deutschland bis zu 58 Millionen Menschen. Laut Gesundheitsministerium
sind für die zwei Präparate von Biontech und Moderna 136.3 Millionen
Dosen sicher, die nahezu alle 2021 geliefert werden könnten. Damit
ließen sich rechnerisch 68.2 Millionen Bürger impfen. Ob man sich
auch nach einer überstandenen Corona-Infektion später zusätzlich
impfen lassen sollte, wird noch wissenschaftlich erforscht.
Wie viele Menschen wollen sich überhaupt impfen lassen?
Regelmäßige Umfragen der Universität Erfurt zeigen: Die
Bereitschaft dazu ist in Deutschland in den vergangenen Monaten
stetig gesunken. Mitte April zeigten sich noch 79 Prozent der
Befragten (eher) bereit, sich quasi unmittelbar impfen zu lassen,
sobald die Möglichkeit besteht. Mitte Dezember waren es nur noch 48
Prozent.
(lfr/dpa)