
Nach einem Mordfall: Bemalte Steine liegen vor einer Kita in Viersen.Bild: dpa / Federico Gambarini
watson antwortet
29.05.2020, 21:2230.05.2020, 08:10
Gegen eine Kita-Erzieherin aus Nordrhein-Westfalen
wird wegen Mordverdachts ermittelt. Die dreijährige Greta war im
April leblos aus einer Kita in Viersen bei Mönchengladbach in eine
Klinik gebracht worden und starb dort.
Bei ihren Ermittlungen stießen
die Behörden auf Auffälligkeiten in Kitas, in denen die Erzieherin
vorher gearbeitet hatte. Wir geben euch Antworten auf die wichtigsten Fragen in dem Fall.

Bild: watson
Wo hat die Frau gearbeitet?
Ihren ersten Arbeitsplatz hatte sie nach Angaben der
Staatsanwaltschaft im Familienzentrum Florastraße in Krefeld. Dort
war sie vom 1. August 2017 bis zum 31. Juli 2018 beschäftigt.
Danach wechselte sie in die Kindertagesstätte Mullewapp in Kempen.
Dort war sie vom 1. August 2018 bis zum 31. Juli 2019 beschäftigt.
Ihren dritten Arbeitsplatz hatte sie vom 9. September bis 30.
November 2019 in der Kindertagesstätte Tönisvorst.
Dann wechselte sie in die Kita Viersen und blieb dort vom 2. Januar
bis 21. April 2020. Sie hatte gekündigt.
In welchen Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft?
Nach dem Tod der Dreijährigen in Viersen ermittelt sie wegen
heimtückischen Mordes. Im Zuge der Ermittlungen sind die Behörden in
den drei anderen Einrichtungen auf Vorfälle gestoßen, in denen
jeweils ein Kind Atemprobleme hatte - teilweise wohl auch mehrfach.
Da einige dieser Vorfälle noch genauer abgeklärt werden, nennt die
Staatsanwaltschaft noch keine Zahl zu weiteren Fällen, in denen
ermittelt wird.
War die Frau für den Beruf geeignet?
Ihre Ausbildung zur Erzieherin hat die Beschuldigte vom 1. August bis
31. Juli am Rhein-Maas Berufskolleg in Kempen gemacht. Nach Angaben
der Polizei wurde in ihrem praktischen Anerkennungsjahr in Krefeld
festgestellt, dass die heute 25-Jährige wenig geeignet sei für den
Beruf. Trotzdem schloss sie ihre Ausbildung zur staatlich geprüften
Erzieherin ab.
Für die pädagogische Geschäftsführerin des Kita-Trägers Konzepte,
Carola Kammerlander, ist das widersprüchlich: "Es muss ja klar sein,
wenn ich jemanden im Anerkennungsjahr nicht für geeignet halte, würde
der den Berufsabschluss nicht kriegen." Die Stadt Krefeld äußert sich
mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen zu dem Fall bislang nicht.
Warum musste sie keine Zeugnisse vorlegen?
Die Erzieherin hat in Kempen bei ihrer Einstellung neben ihrer
Urkunde als staatlich anerkannte Erzieherin ihr Berufsschulzeugnis
vorgelegt sowie ein polizeiliches Führungszeugnis. Es ist nicht
üblich, dass ein formelles Zeugnis von der Einrichtung, in der das
Anerkennungsjahr absolviert wurde, ausgestellt wird, sagt
Bürgermeister Volker Rübo.
Der Deutsche Kita-Verband stellt fest, dass die Zeugnisse wenig
aussagekräftig sind. Aus arbeitsrechtlichen Gründen dürfe man in
Zeugnissen nicht einmal ansatzweise erwähnen, dass eine Erzieherin
mangelnde Empathie habe. "Deshalb sind letztendlich alle Zeugnisse
Makulatur", sagte die Verbandsvorsitzende Waltraud Weegmann.
Warum hat die Verdächtige in Tönisvorst nur drei Monate gearbeitet?
Das ist derzeit unklar. Die Stadt Tönisvorst verweist auf den Kreis
Viersen und der Kreis auf das Landesjugendamt. Das wiederum verweist
auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Warum wurden frühere Ermittlungen gegen die Erzieherin wegen Vortäuschens einer Straftat eingestellt?
Wegen geringer Schuld. Sie sei nicht vorbestraft und geständig
gewesen, sagt die Staatsanwaltschaft. Weil sie auffällig gewesen sei,
habe man ihr umfassende psychologische Hilfe angeboten. Unklar ist,
ob sie das Angebot angenommen hat.
Die Frau hatte im Mai 2019
behauptet, einer anderen Frau in einem Wald bei Geldern zur Hilfe
gekommen zu sein, die von einem Unbekannten bedrängt wurde. Dieser
habe sie dann mit einem Messer im Gesicht verletzt. Nachdem sie sich
in Ungereimtheiten verstrickt hatte, hatte sie schließlich
eingeräumt, dass das "möglicherweise alles nicht richtig" gewesen
sei, was sie erzählt habe.
Warum standen die Ermittlungen wegen Vortäuschens einer Straftat nicht im Führungszeugnis?
Wenn Ermittlungen eingestellt werden, gilt der Betroffene als
unschuldig und weiterhin nicht vorbestraft.
Vermuten die Ermittler, dass die Frau eine psychische Störung hat?
Bei den Ermittlungen in Kleve war der Frau psychologische Hilfe
angeboten worden. Sie sei psychisch auffällig gewesen. Die Ermittler
im Fall Viersen halten sich dazu bedeckt, weil die Frau schweigt und
sich nicht begutachten lässt.
Psychiater wie Professor Borwin Bandelow sehen Anzeichen für das
Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Das sei eine sehr seltene
Störung, die vor allem bei Frauen in Helfer-Berufen auftrete, sagte
er "Bild-TV".
Warum wurde nicht früher Verdacht geschöpft?
Weil keine Spuren eines Fremdverschuldens gefunden wurden, die Frau
also sehr geschickt vorgegangen sein dürfte, geht der Bürgermeister
von Kempen, Volker Rübo, davon aus, dass sie entsprechend bewandert
war. Tatsächlich scheinen auch bei der Obduktion keine Spuren
entdeckt worden zu sein, die auf ein Erwürgen oder Erdrosseln
hindeuten.
Wie ist das Mädchen aus der Viersener Kita ums Leben gekommen?
Greta starb an einem schweren Hirnschaden, verursacht durch
Sauerstoffmangel. Die Rechtsmediziner fanden Spuren, die auf
Gewalteinwirkung deuteten, die Art der Gewalt ließ sich nicht
feststellen, zumal die Obduktion erst 14 Tage nach dem Tatgeschehen
stattfand.
Eine Strangulation wäre einem Notarzt nach Angaben der
Staatsanwaltschaft Mönchengladbach direkt aufgefallen und wird
deshalb ausgeschlossen. Dagegen hätte man Würgemale bei dem Kind
nicht unbedingt gesehen: Typische Verletzungen beim Erwürgen von
Erwachsenen wie der Bruch des Zungenbeins, würden bei Kindern nicht
auftreten, weil das Zungenbein noch sehr flexibel sei. Einen Druck
auf den Brustkorb würde man ebenfalls nicht unbedingt feststellen
können.
(vdv/dpa)