
Der Missbrauchsfall in Münster hat viele Fragen aufgeworfen.Bild: dpa / Marcel Kusch
watson antwortet
Der Missbrauchsfall Münster wirft viele Fragen auf. Die Vorwürfe sind schon jetzt monströs. Dabei ist erst ein Bruchteil der sichergestellten Daten überhaupt auswertbar.
09.06.2020, 18:0409.06.2020, 18:04
Staatsanwaltschaft und Polizei haben zum
Missbrauchsfall Münster über viele Details informiert. Nach der
Festnahme von elf Tatverdächtigen, von denen sieben in
Untersuchungshaft sitzen, steht fest, dass es bislang drei Opfer
gibt. Weil aber ein großer Teil der sichergestellten Speichermedien
noch nicht ausgewertet werden konnten, sind noch viele Fragen offen.
Wir haben die wichtigsten Antworten auf eure Fragen.

Bild: watson
Gibt es weitere Opfer und Täter?
Am Montag gab es keinen neuen Ermittlungsstand. Mit Hochdruck
arbeiten allein in Münster rund 50 Ermittler bei der Polizei, um
weitere Opfer zu identifizieren. Landesweit werden zusätzliche Kräfte
und Experten des Landeskriminalamtes bei der Auswertung der
sichergestellten Bilder und Videos hinzugezogen.
Gibt es weitere Tatorte?
Davon geht Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt aus. Neben der
Gartenlaube in Münster haben die Ermittler ein Auto in Köln aus
Tatort erkannt. Auf sichergestellten Fotos weiterer Taten ist das
Umfeld noch nicht identifiziert. Die Täter haben sich bei den
Aufnahmen große Mühe gegeben, keine Hinweise auf Orte preiszugeben.
Hier ist das Umfeld für die Ermittler somit noch ein Rätsel.
Ist bekannt, wie viele Kunden der Hauptverdächtige hatte?
Nein. Hier stehen die Kripobeamten noch am Anfang. Allerdings wurden
die Ermittlungen durch einen Fehler beim Anbieten von Dateien
ausgelöst. Auf den 27-Jährigen aus Münster war ein Verdacht gefallen,
weil eine IP-Adresse zu einem landwirtschaftlichen Betrieb in
Coesfeld führte, für den der Hauptverdächtige als IT-Experte
arbeitete. Diese nicht verwischte Spur hatte der Mann hinterlassen,
als er über das Internet kinderpornografisches Material angeboten
hatte.
Äußern sich die Beschuldigten zu den Vorwürfen?
Nein, bis auf einen 35 Jahre alten Mann aus Köln, der gestanden hat,
äußern sich die weiteren fünf Männer und die Frau bislang nicht.
Welche Rolle spielt die 45 Jahre alte Mutter des Hauptbeschuldigten?
Die Erzieherin aus einem Kindergarten in Münster hatte ihrem Sohn die
eigene Gartenlaube im Stadtteil Kinderhaus überlassen. Das Häuschen
gilt bislang als Haupttatort. Die Ermittler werfen der Frau vor, dass
sie mit Vorsatz Beihilfe zu den Missbrauchstaten geleistet hat.
Der hauptbeschuldigte 27-Jährige ist zweimal auf Bewährung verurteilt worden – wie kann das sein?
Hier spielt eine Rolle, dass einmal nach Jugend- und einmal nach
Erwachsenenstrafrecht geurteilt wurden. Kompliziert wird die
Beurteilung der verhängten Strafen, weil die Taten zum zweiten Urteil
am 8. Juni 2017 nicht während der Bewährungszeit nach dem ersten
Urteil am 13. Januar 2016 passiert sind, sondern davor. Der sich zu
seiner pädophilen Neigung bekennende Mann hatte somit nicht gegen
Bewährungsauflagen verstoßen. Außerdem hatte er seine Therapie wie
auferlegt begonnen. Sein Therapeut äußerte sich vor Gericht positiv
über ihn.
Wie viele der gefundenen Speichermedien sind bereits ausgewertet?
Nur ein kleiner Bruchteil. Die Ermittler wollen sich bei dieser Frage
nicht festlegen. Etwa 500 Terabyte wurden entdeckt (1 Terabyte sind
1000 Gigabyte). Wobei hier die Spezialisten bei der Kripo auch nur
von einem groben Schätzwert ausgehen. Handelsübliche Computer für den
Heimgebrauch haben Speicherplatten mit einer Größe von 1 bis 3
Terabyte. Aus diesem Grund sprechen die Ermittler auch beim
bisherigen Ergebnis von der Spitze des Eisbergs.
Ist unter den Beschuldigten ein weiterer IT-Experte?
Nach Angaben des Leiters der Ermittlungskommission, Joachim Poll, ist
der 35-jährige Beschuldigte aus Hannover zumindest IT-affin. Als
Experten hatte der Kripo-Beamte bei der Pressekonferenz am Samstag
den Mann nicht bezeichnet.
Gibt es bei den kommunalen Behörden Fehler?
Nach Informationen der Stadt Münster wurde das Jugendamt im Zuge
eines Strafverfahrens vor Jahren informiert. Der heutige
Hauptverdächtige lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mit der Mutter des
späteren mutmaßlichen Opfers zusammen. Das für Familiensachen
zuständige Amtsgericht Münster entschied daraufhin Ende 2015, dass
kein Eingriff notwendig sei. Das Jugendamt hatte in der Folge weiter
Kontakt zur Mutter, zum Kind und zum Tatverdächtigen. Der Fall wurde
in einem Expertengremium beraten: Vertreter von Polizei, Gericht,
Psychologen, Kinderschutzambulanz und der Allgemeine Soziale Dienst
(ASD) der Stadt.
Gab es Hinweise auf eine Gefährdung des späteren Opfers?
Dieses Gremium, die Stadt Münster spricht von einer "Clearingstelle",
sah keine ausreichende Fakten für mögliche Gefährdungsmomente, um der
Mutter das Sorgerecht zu entziehen und das Kind aus der Familie zu
holen. Die Stadt blieb aber in Kontakt mit der Frau, die allerdings
Hilfe durch das Jugendamt ablehnte. Auch nach 2016 gab es aus Sicht
der Stadt keinen Grund, einzugreifen. Aus dem sozialen Umfeld habe es
bis heute keinen Hinweis auf eine mögliche Gefährdung oder
Auffälligkeiten des Kindes gegeben.
(vdv/dpa)