Bei der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus ist ein Licht am Ende des Tunnels in Sicht.Bild: dpa / Sebastian Gollnow
watson antwortet
Vielversprechende Studienergebnisse für einen
Covid-19-Impfstoff und Empfehlungen für einen gerechten Zugang: Die
Vorbereitungen für Impfungen gegen das Coronavirus in Deutschland
werden konkret. Fachleute empfehlen, angesichts anfangs wohl knapper
Dosen bevorzugt Menschen mit besonders erhöhtem Risiko für schwere
und tödliche Covid-19-Verläufe zu impfen: Vorrang sollen laut einem
Positionspapier von Ständiger Impfkommission (Stiko), Deutschem
Ethikrat und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina Ältere
und Menschen mit Vorerkrankungen haben.
Bevorzugt geimpft werden sollen außerdem Mitarbeiter in
Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie Menschen in gesellschaftlichen
Schlüsselstellungen, etwa Mitarbeiter von Polizei und Feuerwehr. Kurz
nach der Vorstellung der Empfehlungen am Montag in Berlin wird
bekannt: Daten aus der für eine Zulassung entscheidenden
Phase-III-Studie für den Impfstoff der Pharmaunternehmen Biontech und
Pfizer geben Anlass zur Hoffnung, dass es tatsächlich bald eine
wirksame Impfung geben könnte. Wie Biontech mitteilte, bietet der
Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor der Krankheit
Covid-19. Was bedeutet das und was folgt nun?
Bild: watson
Welche Schritte folgen in Deutschland und Europa bis zur Zulassung?
In der Pandemie gibt es in Europa ein beschleunigtes
Zulassungsverfahren bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA.
Dauern Impfstoffzulassungen sonst mitunter Jahre, können Pharmafirmen
ihre Impfstoff-Kandidaten nun in einer Art Vorverfahren zur Zulassung
noch während der Phase der klinischen Studien bei der EMA melden.
Dazu werden Daten fortlaufend eingereicht und von der EMA bewertet
(Rolling-Review-Verfahren). Im Moment setzt neben Biontech zum
Beispiel auch das britisch-schwedische Unternehmen Astrazeneca auf
diesen Weg. Dieses Verfahren bedeute aber nicht, dass weniger Daten
eingereicht werden müssen, betonte die Ethikrat-Vorsitzende Alena
Buyx am Montag. In Europa werde keine vorläufige Zulassung erfolgen.
Haben die EMA-Experten mitunter Tausende Seiten Ergebnisse aus allen
vorgeschriebenen klinischen Phasen gelesen und bewertet, geben sie
ihre Empfehlung an die Europäische Kommission. Sie entscheidet, ob
eine Zulassung erfolgt. Im positiven Fall erteilt sie die Zulassung
für alle EU-Mitgliedstaaten. Mit ersten Zulassungen wird von vielen
Experten noch für dieses Jahr oder Anfang 2021 gerechnet.
Schnelligkeit dürfe nicht auf Kosten der Gründlichkeit gehen, heißt
es auch beim deutschen Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das Arzneimittel
national zulässt. Denn Impfungen können Nebenwirkungen haben oder
Schäden verursachen, wenn sie nicht aufwendig getestet und bewertet
sind.
Wie lange dauert es, bis ein Impfstoff nach einer Zulassung wirklich verfügbar ist?
Um früh mit dem begehrten Mittel versorgt zu sein, schließen die EU
und auch andere Länder schon jetzt Lieferverträge mit
Pharmakonzernen. Von der EU-Kommission unterzeichnet sind bisher
Rahmenverträge mit den Pharmafirmen Johnson&Johnson, Astrazeneca und
Sanofi-GSK. Mit Biontech/Pfizer werde über einen solchen Vertrag
derzeit noch verhandelt, sagte ein Kommissionssprecher am
Montagmittag.
Einige Firmen, darunter auch Biontech, gehen bereits vor der
Zulassung in die Produktion. Dennoch können diese Mengen den Bedarf
am Anfang bei weitem nicht abdecken. In einem Thesenpapier geht
Matthias Schrappe, Internist an der Uni Köln, davon aus, dass es rund
tausend Arbeitstage - also vier Jahre - dauern würde, rund 60
Millionen Menschen in Deutschland zu impfen. Und das auch nur, wenn
pro Tag 60.000 Impfungen verabreicht werden können. Deshalb müssen
die Tageskapazitäten gesteigert werden.
Anfang November haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, dass der
Bund die Impfstoffe beschafft und finanziert. Die Länder kümmern sich
um das notwendige Zubehör und richten eigenverantwortlich Impfzentren
ein. Insgesamt wird derzeit von bis zu 60 Standorten ausgegangen. Der
Impfstoff wird - sobald es ihn gibt - entweder durch die Bundeswehr
oder durch die Firmen selbst zu diesen Standorten geliefert.
Ist eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) Voraussetzung dafür, dass mit dem Impfen begonnen werden kann?
Nein. Sobald ein Impfstoff in der EU zugelassen ist, kann er in
Deutschland verwendet werden, heißt es beim Robert Koch-Institut
(RKI). Wird er jedoch zusätzlich von der Stiko empfohlen, werden im
Regelfall (nach Entscheid des Gemeinsamen Bundesausschusses) auch die
Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Wie der
Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens am Montag schilderte, sollen die
Angaben zu den am Montag genannten bevorzugten Gruppen bis spätestens
Ende des Jahres konkreter werden. Noch fehlten Daten.
Arbeitet die Stiko in der Pandemie auch anders?
Ja. Anders als sonst üblich versucht die Stiko, so zeitnah wie
möglich zur Zulassung eines Impfstoffs ihre Empfehlung zu geben.
Dafür bekommt auch sie schon während der Entwicklung von der
Pharma-Industrie fortlaufend Informationen. Dazu arbeitet bereits
seit Mitte Mai eine Expertengruppe.
Wird es eine generelle Impfempfehlung geben oder eher eine pro zugelassenem Impfstoff?
Wahrscheinlich werden im Laufe des Jahres 2021 mehrere
Corona-Impfstoffe zugelassen. Falls es sie mit unterschiedlichem
Profil geben sollte, sind spezifische Empfehlungen denkbar. Das lässt
sich laut RKI aktuell aber noch nicht sagen. Es könnte zum Beispiel
sein, dass zugelassene Impfstoffe bei alten Menschen unterschiedlich
gut wirken. Das hätte dann Konsequenzen für die Impfempfehlung. Es
ginge auch um die Frage, ob man für bestimmte Personengruppen -
darunter zum Beispiel auch medizinisches Personal - einzelne
Impfstoffe bevorzugt einsetzen sollte.
Wie kalkulieren Forscher die Wirksamkeit eines Impfstoffs?
Die Wirksamkeit eines Impfstoffs errechnen Experten unter anderem mit
zwei Test-Gruppen. Die Wirkstoffgruppe bekommt den Impfstoff, die
Kontrollgruppen ein Placebo. "Hat man zum Beispiel nach drei Monaten
100 Covid-19-Fälle in der Kontrollgruppe und 50 Fälle in der
Wirkstoffgruppe hat dieser Impfstoff eine Wirksamkeit von 50
Prozent", erläutert Peter Kremsner vom Universitätsklinikum Tübingen.
Der Mediziner ist an der Prüfung des Impfstoff-Kandidaten des
Unternehmens CureVac beteiligt.
Daneben können die Forscher in den klinischen Studien zahlreiche
weitere Parameter erfassen, die eine Beurteilung der
Impfstoff-Wirksamkeit ermöglichen. Zum Beispiel, wie schwer eine
Erkrankung verläuft, wie viele Todesfälle bei Geimpften und bei
Nicht-Geimpften auftreten oder wie lange es in beiden Gruppen bis zur
Genesung dauert. Auch nach einer eventuellen Zulassung laufen die
Studien noch weiter, um mehr über die Wirksamkeit und auch über
mögliche Nebenwirkungen zu erfahren.
Ist ungewöhnlich, dass vom Biontech-Impfstoff zwei Dosen im Abstand von drei Wochen verabreicht werden?
Viele Experten erwarten, dass für eine wirksame Immunisierung gegen
das neue Coronavirus eine Impfdosis nicht ausreicht. Wahrscheinlich
werde ein mehrfaches Impfen nötig sein, sagt Clemens Wendtner,
Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik
Schwabing. Wahrscheinlich bräuchten Senioren wegen ihres schwächeren
Immunsystems größere Mengen an Impfstoff, ergänzt Sebastian Ulbert,
Abteilungsleiter Immunologie am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie
und Immunologie in Leipzig. Zudem würden Medikamente erforscht, die
das Immunsystem von Senioren stärken, so dass sie auf eine Impfung
besser reagieren.
Eine unbeantwortete Frage ist, ob Menschen nach einer Impfung das
Virus weitertragen können. Das wäre vor allem für den
Gesundheitsbereich problematisch. Dass eine Impf-Immunisierung gegen
Corona ein ganzes Leben lang halten wird, scheint unwahrscheinlich.
Es könnte sein, das man sie wie bei der Grippe-Schutzimpfung
regelmäßig wiederholen muss. Auch eine überstandene
Covid-19-Erkrankung schützt womöglich nicht auf Dauer vor einer
neuerlichen Infektion.
Gibt es noch weitere vielversprechende Impfstoff-Projekte?
Weltweit gibt es inzwischen rund 200 Impfstoff-Projekte, zumindest
ein Teil davon gilt als vielversprechend und wird bereits in der
wichtigen dritten Studienphase an Tausenden Freiwilligen getestet.
Noch nicht ganz so weit wie Biontech ist in Deutschland das Tübinger
Biopharma-Unternehmen Curevac, das Anfang November positive
Ergebnisse seiner ersten klinischen Prüfphase bekanntgab. Alle
Impfstoff-Kandidaten basieren laut Robert Koch-Institut auf dem
Grundprinzip, dem Immunsystem Teile des Virus zu präsentieren. Der
Körper soll so eine Immunität gegenüber dem Erreger aufbauen können.
Ist mit einem Impfstoff die Pandemie bewältigt?
Aus Sicht von Experten ist die Verfügbarkeit eines Impfstoffs zwar
ein wesentlicher Schritt. Mit einer ganz schnellen Rückkehr zum Leben
wie vor Corona ist aber nicht zu rechnen: Vor allem in der
Anfangszeit nach der Zulassung werden die Impfquoten eher niedrig
sein, sodass Maßnahmen wie Hygiene und Kontaktbeschränkungen noch
eine Weile an der Tagesordnung sein dürften.
(vdv/dpa)