Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat den Berliner Mietendeckel gekippt, Mieter müssen sich auf höhere Mieten einstellenBild: IMAGO / Stefan Zeitz
watson antwortet
Dank dem Mietendeckel wurden die Mieten von vielen Berlinern heftig verringert. Doch am Donnerstag kippte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz. Es drohen Mieterhöhungen und Nachzahlungen.
Umstritten war das bundesweit einmalige
Berliner Mietendeckel-Gesetz mit staatlich festgelegten Obergrenzen
für die Wohnkosten von Anfang an. Nun findet es ein unrühmliches
Ende: Laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hätte es nie
existieren dürfen – ein einzelnes Bundesland ist nicht befugt,
eigenmächtig Mietobergrenzen festzulegen. Ausbaden müssen es
Mieterinnen und Mieter. Was die am Donnerstag veröffentlichte
Entscheidung bedeutet:
Was haben die Karlsruher Richter entschieden?
Sie kommen nach einer sogenannten Normenkontrollklage zu dem Schluss,
dass bei den Mietpreisen allein der Bund das Sagen hat (Az. 2 BvF
1/20 u.a.). Das Mietrecht sei seit 1900 ein zentraler Bestandteil des
Bürgerlichen Gesetzbuchs. Und spätestens durch die 2015 erlassene
Mietpreisbremse für besonders begehrte und teure Wohngegenden sei
deutschlandweit alles abschließend geregelt. Ein Landesgesetz mit
eigenen, schärferen Verboten hat daneben keinen Platz. Der Zweite
Senat erklärte es daher komplett für nichtig.
Wie funktionierte der Mietendeckel?
Seit Februar 2020 waren die Mieten für rund 1.5 Millionen vor 2014
fertiggestellte Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren.
Wurde eine Wohnung wieder vermietet, musste sich der Vermieter an
Obergrenzen halten, die sich an Alter, Ausstattung und Lage bemaßen
sowie an die zuletzt verlangte Miete. Seit 23. November 2020 waren
Mieten, die mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen lagen und damit
als überhöht galten, gesetzlich verboten. Sie mussten vom Vermieter
bei Androhung hoher Bußgelder gesenkt werden. Schätzungen zufolge
betrifft das zwischen 340.000 und 512.000 Wohnungen. Mieter konnten
mitunter mehrere Hundert Euro monatlich sparen.
Und wie geht es für die Mieter jetzt weiter?
Auf diejenigen, deren Miete gesenkt war, kommen Nachzahlungen
und eine Rückkehr zur früheren Miete zu. Denn sie müssen rückwirkend
ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Deckels wieder die Miete
zahlen, die sie mit ihren Vermietern auf Grundlage des Bürgerlichen
Gesetzbuches vereinbart haben, so Berlins Senatsverwaltung für
Wohnen. Wurde die Miete also gesenkt, wird der Differenzbetrag zur
ursprünglich vereinbarten Miete nun schnell fällig. Der
Wohnungskonzern Vonovia kündigte an, auf Rückzahlungen zu verzichten,
der Konzern Deutsche Wohnen SE will das nicht. Mit Kündigung müssen
Mieter, die sich an das Mietendeckel-Gesetz hielten, nicht rechnen.
Und was ist mit neu abgeschlossenen Mietverträgen?
Wer im Bestand seit Ende Februar 2020 eine Wohnung bezog, profitierte
von den Obergrenzen und zahlte oft weniger Miete. Allerdings
vereinbarten viele Vermieter mit ihren neuen Mietern sogenannte
Schattenmieten für den Fall, dass das Gesetz gekippt wird. Diese
lagen teils deutlich höher als die offizielle Miete und dürften nun
zum Tragen kommen. Rechtlich umstritten ist nach Angaben des Berliner
Mietervereins aber, ob Differenzbeträge ähnlich wie bei den
Mietsenkungen für Bestandsmieter auch rückwirkend nachgezahlt werden
müssen. "Hier gibt es keinen Automatismus", meint Geschäftsführer
Reiner Wild. Es gebe durchaus Annahmen, dass es sich bei
Schattenmieten unabhängig vom Mietendeckel um rechtswidrige
Vereinbarungen handele. Am Ende könnten das also Gerichte
entscheiden.
Warum hatte der Berliner Senat den Mietendeckel überhaupt eingeführt?
Aus Sicht der rot-rot-grünen Landesregierung sollte das Gesetz den
Mieterinnen und Mietern eine "Atempause" verschaffen. Berlin gilt als
Tummelplatz für Immobilieninvestoren, die auf hohe Renditen setzen.
Die Mieten stiegen hier über viele Jahre überdurchschnittlich stark.
Nach Berechnungen des Dachverbands Zentraler Immobilien-Ausschuss
(ZIA) kletterten Neuvertragsmieten allein zwischen 2013 und 2019 um
27 Prozent.
Reichte die Mietenbremse nicht?
Die bundesweite Mietpreisbremse erlaubt Vermietern seit Mitte 2015 in
"Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten", beim Einzug neuer Mieter
höchstens zehn Prozent auf die örtliche Vergleichsmiete
aufzuschlagen. Aus Sicht von Kritikern wie dem Berliner
Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) hat sie den
deutlichen Anstieg der Mieten in Berlin aber nicht verhindert.
Welche Bedeutung hat die Entscheidung der Verfassungsrichter über Berlin hinaus?
Da der Landesgesetzgeber nicht zuständig ist, richtet sich der Fokus
auf den Bund. SPD, Linke, Grüne oder Sozialverbände forderten
bereits, dass nun Bundesregierung und Bundestag tätig werden. Der
Deutsche Mieterbund sprach von einem "Weckruf an den
Bundesgesetzgeber, endlich zu handeln und die Mietenexplosion in
vielen deutschen Städten zu stoppen". In der Tat ist mit dem
Beschluss aus Karlsruhe das Problem stark steigender Mieten in vielen
Städten nicht weniger drängend. Als Alternative zu neuen Regelungen
auf Bundesebene schlugen Berlins Grüne vor, den Ländern eigene
Maßnahmen gesetzlich zu erlauben. Ohne eine solche Möglichkeit sind
regionale Mietendeckel, wie sie zuletzt auch in Bremen, Bayern oder
Hamburg diskutiert wurden, aber erst einmal vom Tisch.
(vdv/dpa)