Thomas Middelhoff hat in seinem Leben Höhen und Tiefen erlebt, wie nur wenig andere Firmenbosse. Er war einer der einflussreichsten Manager Deutschlands, erst als Chef des Medienriesen Bertelsmann, später als Vorstandsvorsitzender des Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor. Er lebte ein Leben im Luxus, samt Villa im südfranzösischen Nobelort St. Tropez und einer millionenteuren Luxusjacht.
Middelhoff erlebte nach der Pleite von Arcandor einen Absturz von epischer Dimension: Die Verurteilung zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen Untreue zu Lasten des Handelskonzerns, den Verlust seines Vermögens durch eine Privatinsolvenz, die Scheidung nach 45 Jahren Ehe und eine schwere Krankheit.
Mittlerweile hat er die absolute Krisenzeit hinter sich gelassen – und gibt sich geläutert. Middelhoff hat ein neues Buch mit dem Titel "Schuldig" geschrieben und sprach am Mittwochabend bei "Markus Lanz" über die fatalen Folgen von Gier und Hochmut.
Im Konzern habe er schon früh gedacht, er sei etwas Besonderes. Das habe zu Arroganz und zu teils bizarrem Verhalten geführt, wie er im Nachgang schildert. Wenn er im Flugzeug nicht in der ersten Reihe saß, "konnte ich das nicht ertragen", schildert Middelhoff. Was Reihe zwei oder drei im Flugzeug in ihm auslöste? "Völliges Unverständnis. Den Impuls, ich rufe jetzt sofort Herrn Mayrhuber an, den damaligen Chef der Lufthansa, wie denn bitte sowas passieren kann." Für dieses Verhalten schäme er sich im Nachgang. Das sei auch daran gelegen, dass er "unkritisch vor sich hinwerkeln" durfte.
Dann spricht er über seinen großen Deal aus vergangenen Zeiten: Middelhoff kaufte damals Anteile am Internetkonzern AOL für Bertelsmann. Für 50 Millionen D-Mark habe er die Anteile gekauft, für acht Milliarden Dollar später wieder verkauft, schildert er bei Markus Lanz. Dafür habe er einen Bonus von 100 Millionen Euro bekommen.
Middelhoff erinnert sich: "Dann kam das Geld. Ich saß in New York – diese Szene werde ich nie vergessen – an der Four-Seasons-Bar und sage zu einem Kollegen: Ich hab das nachgerechnet, ich glaube ich krieg den Maximum-Bonus." Dann habe er sich gedacht:
Sein Bankberater habe ihm vorgeschlagen: "Das Ganze können wir auch steuerfrei machen." Middelhoff blickt zurück: "Und ich Idiot sage: 100 Millionen ist besser als 50. Das machen wir." Als sein Geld dann dank Bankberater in den geschlossenen Fonds gelaufen sei, sei das sein Todesurteil gewesen, so Middelhoff. "Da kam ich nicht mehr raus."
Und mittlerweile? "Ich war nahe dran, dass ich mich komplett aufgegeben habe. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich komplett in der Gosse gelandet wäre, wäre auch nicht so gering gewesen." Doch er sei zu der Erkenntnis gelangt, dass er Talente habe, die ihm niemand nehmen könne: kommunizieren, Vorträge halten, Menschen erreichen – und schreiben. Deswegen habe er ein Buch geschrieben.
"Es gibt nur einen Schuldigen für diese Situation, in der du dich heute befindest: und das bist du selber", habe Middelhoff längst zu sich selbst gesagt.
Auch in der Spitzenpolitik wolle sich es jedoch kaum jemand eingestehen, selbst Fehler verursacht zu haben – und in der Konsequenz für sie eintreten müsste. Middelhoff wünscht sich den Mut, Fehler einzugestehen und die Bereitschaft der Öffentlichkeit, Fehler auch zu akzeptieren.
Er spielt auf Angela Merkel an: "Wenn eine Politikerin vielleicht auch mal sagen würde, ich habe da in einer Sekunde eine Entscheidung getroffen, die zu einer Kettenreaktion geführt hat, das habe ich damals gar nicht so vorausgesehen. Und mit diesem einen Foto, das hab ich doch gar nicht böse gemeint, sondern ich habe das eigentlich nur aus menschlichen Gefühlen gemacht." Das würde viel "Menschlichkeit in die Kälte der Politik bringen", glaubt Middelhoff.
Die Fehler, die er selbst gemacht hat, spricht Middelhoff in der Sendung in beeindruckender Deutlichkeit aus. Es ist faszinierend, jemandem dabei zuzusehen, der derart mit seinem eigenen Ich abrechnet und dabei auch peinliche wie erschütternde Flugzeug-Anekdoten nicht auslässt.
Diese Geschichten hört man gerne. Middelhoff, der vollständig Geläuterte? Nicht vergessen werden darf man dabei, dass der einstige Topmanager sehr genau darauf achtet, wie er in der Öffentlichkeit wirkt. Das hat sich zuletzt 2017 gezeigt, als der WDR die Ausstrahlung einer Doku stoppte. Der Sender hatte da gerade erfahren, dass Middelhoff und der Produzent eine Absprache getroffen hatten, wonach Middelhoff Einfluss auf das Drehbuch erhalten sollte. Middelhoff weiß also nach wie vor ganz genau, welche medialen Bilder er erzeugen will.
(hau)