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Energiekrise: Das kommt auf Studierende in diesem Wintersemester zu

HOUSTON, TEXAS - AUGUST 29: A student studies in the Rice University Library on August 29, 2022 in Houston, Texas. U.S. President Joe Biden has announced a three-part plan that will forgive hundreds o ...
In den vergangenen Wintersemestern haben Studierende ihre Universitäten eher selten von innen gesehen – bringt die Energiekrise das Homeschooling zurück?Bild: Getty Images North America / Brandon Bell
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Energiekrise im Hörsaal? Was in diesem Wintersemester auf Studierende zukommt

19.10.2022, 08:0420.10.2022, 19:05
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Zwei Wintersemester lang war die Lehre für Studierende nur unter Auflagen möglich – online beispielsweise, in den eigenen vier Wänden. Hörsäle und Bibliotheken konnten zum Teil nicht betreten werden. Der Grund: Corona. Nun steht Deutschland vor einer neuen Herausforderung: die Energiekrise.

Steigende Preise für Strom und Gas treffen natürlich auch die Universitäten. Hohe Decken, große Hörsäle: Das Heizen der Gebäude ist teuer. Die TU Berlin hat angekündigt, aus diesem Grund das Audimax zu schließen.

Stehen erneut Schließungen bevor? Kommt auf die Studierenden ein weiterer Online-Herbst zu?

Präsenzlehre hat Priorität – auch Pandemie beobachten

"Die steigenden Energiekosten sind für die HU mit ihren vielen Altbauten eine große Herausforderung", erklärt die Sprecherin der Humboldt-Universität Berlin. Um Energie zu sparen, werde die Temperatur auf 19 Grad herunterreguliert und die Flurbeleuchtung reduziert. Die Sprecherin stellt klar: "Die Präsenzlehre behält aber für die Humboldt-Universität eine hohe Priorität."

BERLIN - FEBRUARY 3: Students attend a lecture in the Humboldt university on February 3, 2005 in Berlin, Germany. More then 12000 students took to the streets of several German cities to protest again ...
In diesem Wintersemester werden die Studierenden der Humboldt-Universität in ihren Hörsälen unterrichtet. Bild: Getty Images Europe / Carsten Koall

Was die Sprecherin nicht ausschließt: Dass es bei manchen Gebäudeteilen zu einer Einschränkung der Nutzung kommen kann. Eine Taskforce entwickele aktuell einen Stufenplan – und auch die pandemische Entwicklung werde dabei berücksichtigt. Die Uni hoffe außerdem auf konkrete Zusagen vom Land und vom Bund, die Mehrausgaben mitzufinanzieren – anders seien die Kosten nicht zu stemmen.

Ähnlich sieht es an der Ludwig-Maximilians-Universität in München aus. Sie ist eine der größten Unis in Deutschland – und auch hier ist die Sorge vor hohen Kosten groß. Eine Sprecherin erklärt auf watson-Anfrage: "Wie gravierend die Mehrkosten im Bereich der Energieversorgung ausfallen werden, können wir momentan noch nicht sagen."

Die LMU in München möchte an der Präsenzlehre festhalten.

Eine wichtige Rolle beim Thema Energiesparen wird auch in München die Absenkung der Raumtemperatur auf maximal 19 Grad spielen. So unsicher die Situation sei, so sehr sei die Uni bemüht, Präsenzunterricht beizubehalten.

Auch die Studierenden in Dresden dürfen aufatmen: Die Technische Uni hat der Aufrechterhaltung der Präsenzlehre die oberste Priorität eingeräumt. Das erklärt eine Sprecherin gegenüber watson. Sie fügt an: "Das schließt natürlich nicht aus, dass digitale Lehrformate, die sich in der Coronapandemie bewährt und etabliert haben, auch weiterhin angeboten werden."

Ein Glücksfall der TU: Da die Gebäude dem Freistaat Sachsen gehören, sind die Energiepreise Teil des sächsischen Landeshaushaltes.

Die Sprecherin sagt außerdem:

"Wir gehen zudem davon aus, dass wir eine höhere Energieeffizienz erzielen, wenn die Studierenden Lehrveranstaltungen auf dem Campus besuchen, als dies bei digitaler Lehre der Fall wäre, wenn die Studierenden allein zu Hause sind."
An der TU Dresden soll der Campus in diesem Winter voll bleiben.

Für die Unis ist die Sache also klar: Solange es möglich ist und sie Unterstützung in puncto Finanzierung bekommen, so lange sollen die Hörsäle, Seminarräume und Bibliotheken geöffnet bleiben. Diese Unterstützung durch die Bundesländer ist eine politische Entscheidung. Auf Anfrage von watson haben die bildungspolitischen Sprecher:innen der Parteien die Situation bewertet.

Oliver Kaczmarek (SPD): "Gefühl der Normalität bieten"

Der bildungspolitische Sprecher der SPD, Oliver Kaczmarek, kann die Sorgen der Studierenden vor einem weiteren Krisen-Winter gut nachvollziehen. Für Kaczmarek steht fest:

"Die Hochschulen müssen weiterhin an der Präsenzlehre festhalten, um Studierenden neben einem Gefühl der Normalität auch optimale Lernbedingungen zu bieten."

Durch das Entlastungspaket habe die Regierung auch an die Studierenden gedacht: Bafög-Empfänger:innen haben einen Heizkostenzuschuss erhalten. Es sei auch ein zweiter geplant.

Oliver Kaczmarek in der 237. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 25.06.2021
Oliver Kaczmarek ist der bildungspolitische Sprecher der SPD.Bild: Geisler-Fotopress / Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Im Jahr 2021 haben 468.000 Studierende in Deutschland Bafög bezogen – insgesamt gab es im Wintersemester 2021/22 laut dem Bundesamt für Statistik 2.947.500 Studierende in Deutschland. Gefördert und entlastet wird also nur ein Bruchteil der Menschen.

Kaczmarek fährt fort: "Studierenden mit Mini- oder Nebenjob wird die Energiepreispauschale von 200 Euro ausgezahlt." Nun gehe es aber darum, das Problem an der Wurzel zu packen. Das heißt: Energiepreise senken, um alle Bürger:innen zu entlasten.

Kai Gehring (Grüne): "Offene Hochschulen entlasten finanziell"

Ähnlich blickt Kai Gehring von den Grünen auf die aktuellen Herausforderungen. Der Vorsitzende des Bildungsausschusses sagt:

"Soziale Interaktionen in Vorlesungen und Seminaren sind ein extrem wichtiger Teil des Studiums. Offene Hochschulen entlasten Studierende auch finanziell. Schickt man Studierende in dieser Lage nach Hause in die Online-Lehre, verlagern sich die Kosten nur ins Private."
Der Abgeordnete Kai Gehring (Bündnis90/Grüne) spricht am 04.12.2014 während der Debatte um Forschungs- und Innovationspolitik im Deutschen Bundestag in Berlin. Foto: Wolfgang Kumm/dpa +++ dpa-Bildfunk ...
Kai Gehring (Grüne) ist der Vorsitzende des Bildungsausschusses.Bild: dpa / Wolfgang Kumm

Angesichts der steigenden Kosten sei es gut, dass die Studierenden bei staatlicher Unterstützung mitbedacht werden. Und auch die Bafög-Reform aus dem Sommer werde dabei helfen, Studierende zu entlasten, meint Gehring. Der nächste Schritt müsse nun eine Studienstarthilfe sein: Kinder aus Familien, die Arbeitslosengeld-II beziehen, sollen so unterstützt werden. Konkret geht es um die Finanzierung einer Erstausstattung fürs Studium.

Ria Schröder (FDP): "Raus aus der Lockdown Spirale"

Für die FDP-Politikerin Ria Schröder ist klar: Die Länder müssen die Universitäten unterstützen, damit diese trotz hoher Energiekosten das Präsenzstudium anbieten können. Die bildungspolitische Sprecherin ihrer Partei sagt: "Hörsäle und Bibliotheken müssen raus aus der Lockdown-Spirale."

Der Bund habe dafür gesorgt, dass Schulen und Hochschulen als geschützte Kundinnen gelten. Das bedeutet: Im Fall einer Gasmangellage werden sie priorisiert. Eine Umstellung auf die digitale Lehre, um Kosten zu sparen, würde das Problem auf die Studierenden ablegen, meint Schröder.

Sie führt aus:

"Womöglich würde es sogar mehr Energie kosten, die Wohnungen und Zimmer der Studierenden tagsüber dezentral zu heizen, statt Räumlichkeiten an den Hochschulen, die von vielen Menschen genutzt werden können."
27.04.2019, Berlin: Ria Schröder, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, spricht auf dem 70. FDP-Bundesparteitag. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Die FDP-Politikerin Ria Schröder nennt digitale Lehre eine Problemverlagerung auf die Studierenden. Bild: picture alliance/dpa

Online-Lehre und hybride Angebote sollten kein Notnagel sein, sondern nur dann genutzt werden, wenn sie didaktisch sinnvoll sind. Schröder stellt klar:

"Nach zwei Corona-Wintern sind viele frustriert und hadern mit dem Studium insgesamt. Die Hochschulen sollten ihnen Sicherheit über die Situation im Winter geben und ausreichend Beratungsmöglichkeiten anbieten."

Neben den Heizkostenzuschüssen und der Einmalzahlung könne den Studierenden auch die Bafög-Änderungen über den Winter helfen. Der Kreis derer, die für die Unterstützung berechtigt sind, wurde vergrößert.

Nicole Gohlke (Linke): "Regierung muss zielgenau nachlegen"

Trotz Bafög-Reform und Einmalzahlungen ist für die Linken-Politikerin Nicole Gohlke klar: "Die Bundesregierung hat bisher viel zu wenig für Studierende getan." Ein Drittel der Nachwuchs-Akademiker:innen habe bereits vor der Inflation unter der Armutsschwelle gelebt.

Die bildungspolitische Sprecherin führt aus:

"Wenn wir nicht wollen, dass sich bald nur noch junge Menschen aus reichem Elternhaus ein Studium leisten können, muss die Bundesregierung hier zielgenau nachlegen. Es braucht Bafög-Sätze, die zum Leben reichen und automatisch mit der Inflation mitwachsen."

Die Linken-Politikerin warnt davor, Onlineveranstaltungen als Allheilmittel zu sehen. Solange es die Coronalage erlaube, müsse den Studierenden Präsenzunterricht zugestanden werden. Gohlke nimmt die Regierung in die Pflicht, alles dafür zu tun, dass der dritte Krisenwinter nicht "auf dem Rücken des Bildungssystems ausgetragen wird".

Insgesamt, so macht es den Eindruck, sind sich also Politik und Universitäten einig: So lange wie möglich sollten die Studierenden die Möglichkeit bekommen, ein normales Semester zu erleben.

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