Der chinesische Präsident Xi Jinping im März in Peking bei einem Videogipfel mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Olaf Scholz.Bild: www.imago-images.de / imago images
Meinung
Wir können unsere Werte nur global diskutieren und durchsetzen, wenn Deutschland mit am Verhandlungstisch sitzt. Und das geht nur, wenn wir mit China handeln. Ein Kommentar.
Das Sondervermögen für die Bundeswehr kommt. "Für die Sicherheit Deutschlands und Europas", wie Bundeskanzler Scholz am Montag auf Twitter schreibt. Ein Energie-Embargo wird seit Wochen heiß diskutiert. Für die Unabhängigkeit Deutschlands von Russland. Was auch höchste Zeit wird.
Damit wird eine Zeitenwende in der Beziehung zu Russland eingeläutet. Brauchen wir auch eine Zeitenwende in der China-Politik?
Immerhin werden die Rufe nach einer Loslösung von der chinesischen Wirtschaft nach dem Datenleak, den "Xinjiang Police Files", auch in Deutschland lauter.
Kritik übt unter anderem die Opposition. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte dem "Spiegel": "Die deutsche Bundesregierung sollte die Xinjiang Police Files als Warnung begreifen und damit beginnen, die eigenen Abhängigkeiten von China zu reduzieren." Die Datenleaks würden eine neue Dimension der Brutalität gegenüber Uiguren dokumentieren.
Diese Aussage der Union kann nur ein schlechter Scherz sein. Schließlich war es ausgerechnet die jahrelange Außenpolitik der ehemaligen CDU-Kanzlerin Angela Merkel, die es jetzt nahezu unmöglich macht, sich von der Volksrepublik (VR) China zu distanzieren. Wohl kaum ein anderes westliches Land hat in den vergangenen Jahren so stark vom chinesischen ökonomischen Aufstieg profitiert, wie Deutschland. Chinapolitik hieß: Handelspolitik. Ein selbst geschaffenes Dilemma. Wie so oft.
Wenn Deutschland eine Distanz zu Russland schaffen will und kann, warum dann nicht zu China?
Aus ökonomischer Sicht ist die Beantwortung dieser Frage einfach: die russischen rund drei Prozent Anteil an der Weltwirtschaft stehen 18 Prozent chinesischem Anteil gegenüber. Wirtschaftlich profitieren kann Deutschland faktisch also nicht ohne China.
"Jeans für 300 Euro? Nein, danke."
Aus moralischer Sicht ist die Antwort allerdings nicht ganz so einfach. Denn eine Unabhängigkeit im Handel von der VR China wäre eine Chance für die Nachhaltigkeit. Für Produktionen in Europa. Und für faire Arbeitsbedingungen – das steht außer Frage.
Doch eine Gesellschaft, die sich jahrzehntelang Jeanshosen für 30 Euro gekauft hat, lässt sich nicht so einfach umgewöhnen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Die aktuellen Preissteigerungen durch die Inflation zeigen deutlich, wie wenig die Menschen bereit sind, mehr für ihren Alltag zu bezahlen. Und wie viele es sich schlicht nicht leisten können.
Die Inflationsrate liegt im Mai bei 7,9 Prozent. Lebensmittel sind so teuer wie schon lange nicht mehr. Und dann auch noch Unsummen für Kleidung bezahlen? Nein, danke.
Menschen in Deutschland wollen weiterhin ihre Shirts für 10 Euro kaufen können. Was die grundsätzliche Frage aufwirft: Warum legen wir als Gesellschaft einen größeren Wert auf günstige Preise als auf faire Arbeitsbedingungen? Es muss doch möglich sein, weiterhin Handel mit China zu betreiben und dennoch faire Produktionsbedingungen zu gewährleisten.
Denn das größte Argument ist weiterhin: Wenn wir unsere Standards und Werte, wie faire Arbeitsbedingungen – auch in fernen Ländern, wie China – weltweit diskutieren und durchzusetzen wollen, muss Deutschland weiterhin an der Weltwirtschaft teilnehmen. Weiter am Verhandlungstisch sitzen. Und das geht nur mithilfe des fortbestehenden Handels mit China.
Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem digitalen Treffen mit dem Präsidenten der VR China, Xi Jinping, im Mai.Bild: XinHua / Yue Yuewei
Wir müssen uns also nicht zwingend entscheiden zwischen Werten oder Wirtschaft. Mit einem starken Dialog und strikten Verträgen zwischen Deutschland und China können unsere westlichen Werte zumindest diskutiert werden. Aber nur, wenn Deutschland weiter an der Weltwirtschaft und vor allem am Handel mit China teilnimmt.
Würde sich Deutschland hingegen von China unabhängig machen, würden wir uns nur ins eigene Fleisch schneiden. Denn dann gäbe es nur noch verschwindend geringe Chancen, uns weltweit zu einer nachhaltigeren und faireren Gesellschaft zu entwickeln.
Und ganz konkret: Ohne China wird es nicht möglich sein, den Klimawandel zu verlangsamen.
Nach der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten herrscht viel Ungewissheit darüber, wie es jetzt mit der Ukraine weitergeht. Es gibt nicht unbegründete Ängste davor, Trump könne dem Land bald den Geldhahn zudrehen.