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CDU-Politikerin über Sexismus im Wahlkampf – Politisch, weiblich, degradiert

Leipzig. Jessica Heller kandidiert für die CDU in Leipzig für den Bundestag
Jessica Heller setzt sich in der CDU für feministische Themen ein. Sie kandidiert in Leipzig für den Bundestag. Bild: Julien Reiter
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Politisch, weiblich, herabgesetzt – wie Frauen in der Politik Sexismus erleben

Sexismus gibt es in allen Gesellschaftsschichten. Wie tief diese Vorurteile oder gar Frauenhass in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger verankert sind, hat dieser Bundestagswahlkampf mehr als deutlich gezeigt:
27.09.2021, 08:21
Annalena Baerbock wurde zum Hassobjekt von anonymen Internet-Trollen, Grünen-Vize Ricarda Lang wurde nach einem Talkshow-Auftritt massiv mit Kommentaren zu ihrem Körper überhäuft. Auch SPD-Politikerin Franziska Giffey hatte schwer mit Anfeindungen zu kämpfen, nachdem ihr der Doktortitel aberkannt wurde. Frauen werden deutlich kritischer beurteilt als Männer, das zeigt auch wieder einmal eine neue Studie der US-Sozialwissenschaftler Joseph Grenny und David Maxfield.
In dieser watson-Reihe berichten junge Politikerinnen von ihren Erfahrungen.
Jessica Heller von der CDU:
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Jessica Heller: "Ich finde es spannend, dass jemand, der sich Sexismus selbst definitiv nicht attestieren würde, unbewusst trotzdem diese Denkweise hat"

Sie musste lange überlegen. Sie sprach mit ihren Teammitgliedern, recherchierte noch einmal – bevor sie mit watson in das Gespräch geht. Doch dann fiel ihr der eine Moment ein, bei dem ihr erst jetzt auffällt, wie sexistisch diese Äußerung tatsächlich war. Jessica Heller sagt, innerhalb ihres Wahlkampfes ist sie selten bis nie mit Sexismus konfrontiert.

Doch diese eine Situation gab es: Die CDU-Politikerin aus Leipzig erzählt davon, wie sie bei einer Wahlkampf-Veranstaltung angesprochen wurde. "Da kam ein Mann auf mich zu, den ich zumindest vom Aussehen her als eher alternativ bis politisch links eingeschätzt hätte." Und sie findet es interessant, dass sie gerade von der vermeintlich "woken" Bubble angegangen wurde. Woke ist ein englischer Ausdruck, der ein Bewusstsein für etwa mangelnde soziale Gerechtigkeit oder auch Rassismus beschreibt.

Frauen sprechen lassen
Das Thema Gleichberechtigung ist der watson-Redaktion ein sehr wichtiges. Viele Politikerinnen waren und sind während des Wahlkampfes vor allem in sozialen Medien mit Hass und Hetze konfrontiert.

watson lässt sie nun sprechen. Haben sie Sexismus in ihrer politischen Laufbahn erlebt? Wenn ja, in welcher Form? Und wie werden sie von Ihrer Partei unterstützt oder gar geschützt?

In dieser Reihe erläutern 11 Politikerinnen ihre teils sehr unterschiedlichen Erfahrungen.

Heller erzählt, dass einige Stadtteile ihres Wahlkreises im Leipziger Süden, eher links gerichtet seien. "Der Mann sagte zu mir, die CDU habe mich strategisch aufgestellt, weil ich eine Frau bin – um so die Chancen für ein Direktmandat zu erhöhen."

"Auch in der alternativen
Szene wird zum Teil nur das Geschlecht gesehen"
Jessica Heller, CDU

Sie sei mit dem Mann ins Gespräch gekommen, habe ihm erklärt, dass sie sich ganz normal, ganz demokratisch gegen einen Mitbewerber durchgesetzt habe. "Daraufhin meinte er, na ja, dann hätte ich ja aber sicherlich Hilfe von weiter oben gehabt, also von Funktionsträgern im Parteivorstand." Was der Mann allerdings nicht wusste: Hellers Gegner war Thomas Feist, der Kreisvorsitzende der des Leipziger Verbands und ehemaliger Bundestagsabgeordneter.

"Ich finde es spannend, dass jemand, der sich Sexismus selbst definitiv nicht attestieren würde, unbewusst trotzdem diese Denkweise hat", sagt die 31-Jährige. "Das ist einfach degradierend. Auch in der alternativen Szene wird zum Teil nur das Geschlecht gesehen. Wenn aus der linken Szene regelmäßig Sexismusvorwürfe gegen Konservative kommen, kann man doch mehr Sensibilität im eigenen Umgang erwarten."

Auch von Frauen bekomme sie manchmal Fragen gestellt, die sie teilweise zwar verstehen kann, aber trotzdem zum Nachdenken bringen. Heller ist schwanger. "Aktuell werde ich vor allem von Frauen auf die Schwangerschaft angesprochen und gefragt, wie gut sich die Arbeit im Bundestag mit dem Familienleben vereinbaren lassen."

"In meiner Partei gibt es sehr viele Männer, die mich unterstützen und mir zusprechen"
Jessica Heller, CDU

Berechtigt findet sich die Frage irgendwie ja schon, sagt sie. Auch wenn sie selbst weiß, dass sie das schaffen wird und sie diese Stigmatisierung von Frauen in der Mutterrolle ablehnt. "Ich verstehe, dass die Bürger wissen wollen, wie lange diejenige, die sie vielleicht wählen, vielleicht ausfallen könnte. Das ist kein Sexismus, aber es zeigt auf, wo wir Hürden abbauen müssen."

Männer würden sich im Übrigen gar nicht trauen, ihre Schwangerschaft überhaupt nur anzusprechen. "Sie trauen sich oft nicht einmal, mir zu gratulieren, aus Angst, etwas Falsches zu sagen und in die Sexismusfalle zu tappen. Das ist schade und unnötig."

Heller kommt beruflich ursprünglich aus der Pflege. Und in diesem Bereich, sagt sie, hat sie deutlich mehr Sexismus-Erfahrungen gemacht als in der Politik. "In meiner Partei gibt es sehr viele Männer, die mich unterstützen und mir zusprechen." Sie spricht von dem "alten, weißen Männer-Bild der CDU", als wäre es eine altbekannte Legende. Sie möchte mit diesem Bild abschließen. "Bei uns gibt es viele engagierte Frauen und mehr werden es nur, wenn die CDU nicht länger als Männerpartei wahrgenommen wird."

Im Bundestag will sich Heller für Frauenförderung starkmachen. Aber auch für die Förderung von Männern in sozialen Berufen, "ohne die keine Gleichbehandlung der Geschlechter gelingen kann".

"Mittlerweile gibt es mehr Ärztinnen als Ärzte. Aber trotzdem wird die Frau im weißen Kittel oft als 'Schwester' angesprochen und der Praktikant als 'Herr Doktor'"
Jessica Heller, CDU

"Mittlerweile gibt es mehr Ärztinnen als Ärzte", sagt Heller. "Aber trotzdem wird die Frau im weißen Kittel oft als 'Schwester' angesprochen und der Praktikant als 'Herr Doktor'." Das ändere sich nur, wenn es normalisiert werde, dass Männer in sozialen Berufen tätig sind. Sie will das nicht durch Quoten regeln. Sondern durch Vorbilder.

Heller ist noch immer Mitglied der Jungen Union, der Jugendorganisation der CDU. Sie sagt, bundesweit habe die Organisation bei Veranstaltungen immer Vertrauenspersonen dabei. Menschen, die man ansprechen könne, wenn man in unangenehme Situationen gerate. "Außerdem gibt es ein Patenprogramm für Neumitglieder. Diese Paten fungieren auch als vertraulicher Ansprechpartner."

Nachdem Heller das Gespräch mit watson geführt hatte, meldet sich eine Sprecherin der CDU-Politikerin bei der Redaktion. Sie schreibt: "Im Interview hatte Frau Heller angegeben, noch keinen Sexismus auf Ihren Social Media Kanälen erlebt zu haben, das hat sich leider geändert." Die Sprecherin schickt Screenshots der Beleidigungen auf Facebook, in denen eine Frau die Figur und den Beruf der Bundestagskandidatin sexistisch kommentiert.

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