"Man muss sie halt nur machen", schreibt der "Welt"-Journalist Deniz Yücel.
Wenn es eines Anlasses bedurft hätte, sie mit Leben zu erfüllen, meint der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt – "dann jetzt".
Und die "Taz"-Autorin Gilda Sahebi schreibt, wenn die Frauenrechtsproteste im Iran kein Fall für sie seien – dann gebe es sie nicht.
Ja, wo ist sie jetzt? Die feministische Außenpolitik, die die deutsche Chefdiplomatin Annalena Baerbock angekündigt hatte?
Seit dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini sind im Iran Proteste ins Rollen gekommen. Die junge Frau war festgenommen worden, weil die dortige Sittenpolizei der Ansicht war, sie habe ihr Kopftuch "nicht richtig" getragen. Die Demonstrationen haben sich seither im ganzen Land ausgebreitet.
"Frau. Leben. Freiheit"
"زن، زندگی، آزادی" – auf Persisch.
Das rufen und singen die Frauen im Iran. Und nicht nur dort: Weltweit regen sich Stimmen und verlangen die Freiheit des iranischen Volkes. Dass es längst nicht mehr nur um die Kopftuchthematik geht, sondern um die Freiheit des iranischen Volkes – vor allem der Frauen –, wird schnell offensichtlich.
Die Proteste richten sich gegen die systematische Entrechtung von Frauen in dem autokratischen Land. Die Protestierenden im Iran riskieren dabei ihr Leben.
Nun werden die Rufe in Deutschland nach Annalena Baerbocks feministischer Außenpolitik immer lauter. Zu Beginn der Demonstrationen hatte sich die deutsche Außenministerin komplett zurückgezogen. Tagelang gab es keine Reaktion – weder auf den Tod Jina Aminis, noch auf die brutale Art, wie iranische Sicherheitskräfte die Proteste niederzuprügeln versuchen.
Dann, irgendwann, kamen die Worte. Doch die waren vielen nicht genug. Baerbock verkündete zwar, sie wolle den Fall vor den UN-Menschenrechtsrat bringen. Doch dazu sollte man wissen: Dieses Gremium besitzt kaum Autorität. Sanktionen kann es keine auf den Weg bringen.
Man müsse auch Taten sehen, hieß es von Kritiker:innen. Und: Deutschland sei wegen der Hoffnung auf eine Einigung im Atomabkommen besonders zurückhaltend. Auch wirtschaftliche Interessen, so die Kritik, versperrten den Weg zu deutlicheren Worten – und Taten. Iran hat große Gas- und Erdölvorkommen – in der jetzigen Energiekrise höchst begehrte Rohstoffe.
Gegen Kritik wehrte sich Annalena Baerbock am Donnerstag im Bundestag. Sie habe bereits den iranischen Botschafter einbestellt, sie arbeite daran, die europäischen Partner von Sanktionen gegen das iranische Regime zu überzeugen.
Und die Stille? "Eine wertegeleitete, feministische Außenpolitik", sagte sie am Donnerstag, "bemisst sich für mich als Politikerin nicht daran, wie laut oder oft man twittert". Eine wertegeleitete Außenpolitik sei mühevolle, harte Arbeit hinter den Kulissen.
Auf Anfrage von watson hieß es aus dem Außenministerium, feministische Außenpolitik konzentriere sich besonders auf die Bedürfnisse von Frauen und marginalisierten Gruppen. Man verurteile die Geschehnisse im Iran. Die Unterdrückung der Frauen und auch der Tod von Jina Amini zeigten noch einmal, dass Frauenrechte als grundlegende Menschenrechte im Iran systematisch missachtet würden.
Man habe Iran dazu aufgefordert, elementare Frauenrechte zu gewähren, keine weitere Gewalt gegen Demonstrant:innen anzuwenden und das Recht auf Versammlungsfreiheit zu achten. Außerdem fordere man die Aufklärung des Todes der 22-Jährigen und der Dutzenden, die bei den Protesten sterben mussten. Doch kann man von einer Diktatur eine ehrliche Aufklärung erwarten?
Wohl eher nicht, meint "Taz"-Kommentatorin Sahebi. Das zu erwarten, "erfordert entweder ein gehöriges Maß an Naivität oder schlicht Unwissen".
Die Feministin und Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy, Krisitina Lunz, sagte einmal in einem Interview mit watson, feministische Außenpolitik bedeute, sich alle Bereiche von Außen- und Sicherheitspolitik vorzunehmen. Man müsse schauen: In welchen Bereichen liegt die Macht, wer profitiert davon und wessen Bedürfnisse werden nicht beachtet?
Wurden die nötigen Schritte dafür bereits gegangen?
Nicht ganz, meint die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal im Gespräch mit watson.
Feministische Außenpolitik müsse jetzt dringend umgesetzt werden, sagt sie. Zwar habe sie das Gefühl, "dass wir jetzt eine Außenministerin haben, die hinsieht und hinhört". Ein Kulturwandel sei hör- und sichtbar geworden, Frauen bekämen einen neuen Raum. "Aber es muss jetzt weitergehen."
Die Politik müsse weitere Gesprächsrunden einberufen. Damit es weitergeht. Zielgerichtet. Frei von weißen Privilegien gedacht. "Feministische Außenpolitik, die nicht intersektional gedacht wird, ist überflüssig." Intersektionaler Feminismus also. Das bedeutet, dass hierbei eben nicht bloß weiße, privilegierte Frauen bedacht werden. People of Color, Menschen mit Behinderungen, trans* Personen, queere Menschen. "Wir müssen die Menschen mit einbinden und ihnen zuhören", sagt Tekkal.
Gerade jetzt, wo vor allem junge Frauen im Iran durch ihre eigentlich friedlichen Protest besonders gefährdet sind. Die Rechte dieser Frauen seien jetzt akut schützenswert, meint sie. "Und das bedeutet auch Sicherheitskonzepte, safe spaces. Da haben wir noch einen langen Weg vor uns."
Doch gerade dieser Weg ist eine Gratwanderung. Baerbock riss diesen Balanceakt am Donnerstag im Bundestag an: "Ich sage hier ganz deutlich, dass es keine Einmischung in die Belange eines anderen Landes geben wird." Nicht in die Innenpolitik eingreifen, nicht die eigenen westlichen Werte aufzwingen, aber gleichzeitig Frauen schützen. Auch Tekkal verweist darauf, dass die Debatte um feministische Außenpolitik eben nicht eurozentrisch geführt werden dürfe.
Sie sagt:
Baerbock sagt aber ganz klar: Zum Einhalten der Menschenrechte hat sich der Iran wie jedes Land auf der Welt verpflichtet. Unter anderem im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. "Und bei allem Respekt vor kulturellen und religiösen Unterschieden: Wenn die Polizei, wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwächter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts mit Religion oder Kultur zu tun."
Aber was müsste nun konkret getan werden? Dass der Botschafter einbestellt wurde, bewertet Tekkal als positiv. "Dass auch bei der Führung ankommt: so nicht." Feministische Außenpolitik habe den Auftrag, den Fokus der Frauen in den Mittelpunkt zu stellen und klarzumachen: Menschenrechte sind nicht verhandelbar. "Es geht hier nicht um das Atomabkommen oder geopolitische Interessen. Es geht um das Volk." Ein Volk, das befreit werden müsse, auch von der eigenen Führung.
Die Befreiung selbst sei allerdings nicht unsere Aufgabe. "Das wäre west-claiming", sagt Tekkal. "Das machen die Menschen selbst." Doch im Weg stehen sollten wir ihnen dabei eben nicht. "Genau deswegen muss dieses Momentum jetzt genutzt werden für die Menschen. Dieses Zeitfenster wird auch leider wieder weggehen."
Noch zu Beginn dieses Jahres musste Baerbock ihren Fokus auf feministische Außenpolitik gegen die Unionsfraktion im Bundestag verteidigen. "Das ist kein Gedöns", sagte sie damals.
Jetzt steht Baerbock vor einer Prüfung: Gedöns – ja oder nein?