Der UN-Sicherheitsrat hat die Verlängerung der Blauhelm-Mission in Mali beschlossen.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Analyse
Die Staaten der Vereinten Nationen haben ihre Friedensmission in Mali um ein Jahr, bis Ende Juni 2023, verlängert. Das hat der UN-Sicherheitsrat am Mittwochabend beschlossen. 13 der 15 Mitgliedsländer des mächtigsten UN-Rates haben für das neue Mandat in der afrikanischen Sahel-Region gestimmt. China und Russland enthielten sich.
Seit 2013 sind in Nordmali im Rahmen der UN-Mission MINUSMA rund 13.000 Blauhelmsoldatinnen und -soldaten stationiert, die das Land an der westafrikanischen Wüste Sahara stabilisieren sollen. Auch die deutsche Bundeswehr beteiligt sich an dieser Hilfsmission. Der Einsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung in Mali gilt als der derzeit gefährlichste Auslandseinsatz der Bundeswehr.
Bereits Ende Mai hat der Bundestag für eine Aufstockung der Truppen in Mali gestimmt. Gleichzeitig sollen die für die UN-EUTM-Mission eingesetzten Soldatinnen und Soldaten aufgrund der aktuellen politischen Lage im Land weitestgehend abgezogen und zum Teil in das benachbarte Niger verlegt werden.
UN-MINUSMA und -EUTM
Seit 2012 herrscht in Nordmali ein bewaffneter Konflikt. Er ist geprägt von ethnischen Auseinandersetzungen und terroristischen Bewegungen von Milizen der Tuareg (zu den Berbern zählendes Volk in Afrika) und des Islamischen Staat (IS). Zur Stabilisierung der Region sind seit 2013 UN-Soldatinnen und -Soldaten im Rahmen der UN-Missionen MINUSMA (Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali – also auf Deutsch: Multidimensionale Stabilisierungsmission) und EUTM (Multinationale Ausbildungsmission der EU) in Mali und in Niger stationiert.
Das Land Mali, das mehr als dreimal so groß ist wie Deutschland, ist ungefähr zu Zweidrittel in der Hand des Militärs. Nachdem die Regierung seit 2020 zweimal durch das Militär gestürzt wurde, ist seit Juni 2021 der malische Militäroffizier Assimi Goïta als Übergangspräsident im Amt. Eine Neuwahl wurde bisher verschleppt.
Daraufhin kündigte Frankreich, das sich als ehemalige Kolonialmacht unter anderem auch an der UN-MINUSMA beteiligt hat, den Abzug seiner Truppen an. Die französischen Truppen hinterlassen eine große Lücke in den Reihen der Vereinten Nationen in Mali – die Russland sofort für sich genutzt hat. Mittlerweile hat der Kreml im Rahmen einer Militärmission rund 1000 Streitkräfte nach Mali geschickt. Offiziell, um zu helfen. Unklar ist allerdings, ob sich darunter ebenfalls Mitglieder der berüchtigten Söldnertruppe Wagner befinden.
Wie ist die Lage aktuell in Mali, was will Russland dort und welche Rolle spielt die Bundeswehr dabei? Darüber hat watson mit Ulf Laessing, Experte für die Sahel-Region an der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali, gesprochen.
Verunsicherung der Bundeswehr durch ansteigendes Sicherheitsrisiko in Mali
"Die Lage in Mali ist sehr pessimistisch", sagt Laessing im Gespräch mit watson. Die französischen Truppen sind noch bis Mitte August in Mali. Es herrsche große Aufbruchstimmung. Und die Unsicherheit im Land nehme zu. Denn Frankreich besitzt als einziges Land, das sich in Mali engagiert, offensive Waffen, wie Kampfhubschrauber. Auch die sind zusammen mit den Franzosen bald weg.
Drei Standorte hat die UN in Mali: Gao, die Hauptstadt Bamako und den Flughafen. Davon übrig ist nur noch Gao. Die anderen beiden hat Frankreich geräumt. Frisch eingezogen sind dort die Russen.
"Die Bundeswehr ist durch den Rückzug der französischen Truppen verunsichert."
Ulf Laessing, Experte für die Sahel-Region an der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali
Frankreich hinterlasse dort nun eine quasi nicht schließbare Lücke, sagt der Sahel-Experte. Eine Lücke, die Deutschland vermutlich nicht adäquat schließen werden kann. Trotz der beschlossenen Aufstockung der deutschen Truppen von rund 1000 Soldatinnen und Soldaten auf rund 1400. Denn es fehlt schlicht an offensiven Waffen.
Das Sicherheitsrisiko nehme durch den Abzug der Franzosen stark zu, erklärt Laessing. Sowohl für die malische Bevölkerung als auch für die deutschen Soldatinnen und Soldaten. "Die Bundeswehr ist durch den Rückzug der französischen Truppen verunsichert", sagt der Experte. Auf Nachfrage von watson hat sich das Verteidigungsministerium dazu nicht geäußert.
Auch die malische Zivilbevölkerung im Norden des Landes ist laut Laessing verunsichert. Denn an den Orten, an denen Frankreich und Deutschland Truppen stationiert hatten oder haben, ist die Sicherheitslage deutlich besser als im Rest Nordmalis. Die Märkte seien geöffnet und die Behörden besetzt. Das sei eine Ausnahme im Norden des Landes, führt der Experte aus. Überall dort, wo die Franzosen abgezogen wurden, habe sich die Lage bereits verschlechtert.
Ein Bundeswehr-Soldat der Ausbildungsmission der UN in Mali.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Und sie könnte sich weiter verschlechtern, falls Deutschland seine Truppen auch abzieht. Der Bundestag hat im Zuge der Verlängerung des Engagements in Mali auch eine sogenannte Exitklausel beschlossen. Das bedeutet, dass die Bundeswehr sofort abgezogen werden kann, sollte sich die Sicherheitslage im Land weiter verschlechtern. Ähnlich wie es die Franzosen getan haben.
Die zweite Mission der UN, die EUTM, hat die Bundeswehr in Mali aufgrund der Militärputsche und den zunehmenden Verflechtungen mit Russland bereits fast vollständig beendet. Lediglich maximal 15 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sollen in diesem Rahmen in Mali bleiben, wie eine Sprecherin des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr auf watson-Anfrage mitteilte. Mit einem Teil der Truppen sollen die im Niger stationierten Streitkräfte verstärkt werden.
Russische Soldaten breiten sich in Nordmali aus
Frankreich hat bisher den UNO-Standort am Flughafen Malis geleitet. Das bedeutet, dass er außerhalb des Wirkungsbereichs des malischen Militärs und der Übergangsregierung lag. Dadurch konnten jederzeit Evakuierungsflüge vorgenommen werden. Die UNO hatte jederzeit Zugriff auf den Flughafen. Jetzt ist unklar, wer den Standort übernehmen wird. Klar ist allerdings, dass die Russen sich im Norden Malis ausbreiten, erklärt Laessing. Eine mögliche Folge dessen: Flugverbotszonen. Und somit kein durchgehender Zugriff mehr auf den Flughafen.
Durch die Sanktionen, die Russland aufgrund seines Angriffskrieges gegen die Ukraine auferlegt wurden, ist eine Sache in Mali besonders interessant für den Kreml: Gold. Russland ist wirtschaftlich durch die Sanktionen momentan stark eingeschränkt. Und das afrikanische Land ist reich an den begehrten mineralischen Rohstoffen, wie Erdöl und Gold.
"Der Abzug der französischen Truppen treibt die malische Zivilbevölkerung in die Arme der Russen", sagt Laessing. Die russischen Militärs nutzen die sich verschlechternde Sicherheitslage in Mali aus und leisten Hilfe. Zumindest sporadisch.
Mali ist, wie viele andere afrikanische Staaten, vor allem durch den Krieg in der Ukraine von Nahrungsmittelknappheit und Hunger bedroht. Etwa durch russische Getreidelieferungen, entstehe bei der Zivilbevölkerung deshalb der Eindruck, Russland würde Mali helfen, führt der Experte aus. Das sei aber nicht der Fall. Denn es handelt sich bei den russischen Soldaten keineswegs um eine Supermacht. Sondern momentan lediglich um rund 1000 Personen.
Abzug der Bundeswehr keine Option
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock war Mitte April zu Besuch bei der Bundeswehr in Mali. Ihr Bericht im Anschluss war düster: Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren trotz des Bundeswehrengagements weiter verschlechtert.
Annalena Baerbock bei der Bundeswehr in Mali.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Trotzdem sei ein Abzug der deutschen Truppen keine Option, sagt Laessing. Die anderen stationierten Streitkräfte der westlichen Nationen, wie Kanada oder Großbritannien, würden die Entscheidungen der Bundesregierung genau beobachten. Deutschland ist nun mit Abstand der größte westliche Truppensteller in Mali. Würden die deutschen Truppen abgezogen, würde das die Einsatzfähigkeit der gesamten UN-MINUSMA infrage stellen, betont Laessing.
Und weiter:
"Es gibt keine Alternative zum Engagement in der Sahel Region. Die Lage ist sehr instabil und wir wären direkt von den Problemen dort betroffen, wenn Deutschland seine Truppen abziehen würde. Zum Beispiel von Terrorismus und vor allem von Migration. Insofern sollte man versuchen, noch ein Jahr zu bleiben und die Lage im nächsten Jahr neu zu bewerten."
Was nach dem Abzug der französischen Soldatinnen und Soldaten bleibe, sei Hoffnung. Hoffnung, dass Russland seine Truppen wieder abzieht. Wegen seines brutalen Angriffskrieges in der Ukraine.
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