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Fünf Erkenntnisse aus dem Sondierungspapier

Des einen Freud, des anderen Leid: In vielen Punkten hat die FDP ihre roten Linien nicht überschritten.
Des einen Freud, des anderen Leid: In vielen Punkten hat die FDP ihre roten Linien nicht überschritten.Bild: dpa / Kay Nietfeld
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Welche Kompromisse besonders schmerzen dürften und welche nicht: Fünf Erkenntnisse aus dem Sondierungspapier

15.10.2021, 18:19
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Das ging schnell. Nur drei Wochen nach der Wahl wollen SPD, Grüne und FDP in Koalitionsverhandlungen treten. Dafür haben sie ein zwölfseitiges Sondierungspapier zusammengestellt, dass die wichtigsten Punkte der Sondierungen zusammenfasst.

Im Vorwort steht direkt der Disclaimer:

"Es (das Sondierungspapier Anm. d. Red.) umfasst nur die Themen, über die die Verhandlungspartner vor Eintritt in Koalitionsverhandlungen eine Vorfestlegung erreichen wollten. Nicht alle Themen wurden besprochen, nicht jedes Thema bis in die Einzelheiten diskutiert."

Die Einzelheiten werden also in den Koalitionsverhandlungen diskutiert: Da könnten dann die Fetzen fliegen. Und zwar nicht nur, wenn es um die Verteilung der Ministerposten geht.

Zwar zeigen die gesellschaftspolitischen Punkte des Papiers, dass sich Sozialdemokraten, Grüne und Liberale tatsächlich einigen können, ohne sich mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufriedenzugeben. Trotzdem gibt es auch für alle drei Parteien sicherlich Punkte im Papier, für die sie extrem kämpfen werden.

Wir haben uns das Papier angeschaut und herausgesucht, wo sich die Parteien schnell einigen könnten, und wo nicht. Insgesamt sind fünf Erkenntnisse hängen geblieben.

Ohne Tempolimit zur Klimaneutralität

Das Tempolimit, das Grüne und SPD angestrebt haben, hat die FDP zwar kassiert, trotzdem gibt der Unterpunkt zum Thema "Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft" Grund zur Hoffnung.

So soll beispielsweise ein Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg gebracht, erneuerbare Energien enorm ausgebaut und Solardächer für Neubauten verpflichtend werden.

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Die Grünen konnten viele Punkte ihrer Klimapolitik durchsetzen.Bild: www.imago-images.de / Christoph Hardt

Zwei Prozent der Landflächen sollen außerdem für Windräder zur Verfügung stehen – auch Offshore-Windparks sollen weiter ausgebaut werden. Außerdem wird ganz vorsichtig ein Ausstieg aus der Kohle bis 2030 angedeutet – aber nur dann, wenn es gelingt, den Strombedarf durch erneuerbare Energien bezahlbar sicherzustellen.

Auch den Verbrennerausstieg haben die Grünen – zumindest in den Sondierungen – durchsetzen können: Ab 2035 könnten laut dem Papier nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge neu zugelassen werden.

Eine Umverteilung des Kapitals wird es nicht geben

Wie zu erwarten: Die FDP lehnt Steuererhöhungen jeglicher Art ab. Das bedeutet, weder die angestrebte Vermögenssteuer noch eine mögliche Erbschaftssteuer sind im Sondierungspapier festgeschrieben.

Auch die Schuldenbremse soll weiterhin im Grundgesetz festgeschrieben sein – zumindest nach dem aktuellen Stand der Gespräche.

Der SPD dürfte das gar nicht passen und auch die Grünen dürften damit unzufrieden sein. Beide Parteien hatten angestrebt, vermögende und reiche Menschen mehr an der Solidargemeinschaft zu beteiligen. Die Schuldenbremse wollten die Grünen dahingehend aufweichen, dass auch Investitionen als "Haushaltskapital" angesehen würden – das Geld also nicht weg, sondern nur anders angelegt wäre.

Stattdessen sollen "Haushaltsspielräume" – also finanzielle Möglichkeiten, all die geplanten Verbesserungen in Sachen Klima oder Gesellschaft zu bezahlen – durch Umverteilung der Gelder geschaffen werden. So sollen die Ausgaben unter anderem auf Überflüssigkeit und Umweltverträglichkeit geprüft werden.

Bauen, Bauen, Bauen

Nach Mietendeckel oder Mietenmoratorium (wie es die SPD in angespannten Wohnungsmärkten angestrebt hat) klingt das Sondierungspapier nicht. Vielmehr soll die angespannte Wohnsituation durch das Bauen neuer Wohnungen gelöst werden.

Wie auch bei der Steuerpolitik klingt hier die FDP mit ihrer Programmatik durch. Ein kleiner Hoffnungsschimmer für jene, die kein Geld haben, um noch zwei, drei oder vier Jahre auf die neue Wohnung zu warten: Die aktuellen Mieterschutzregelungen sollen evaluiert und verlängert werden.

Der soziale Wohnungsbau soll außerdem weiterhin finanziert werden – durch mehr Freiheiten soll das schneller gehen.

Mehr Demokratie, mehr Vielfalt

Leicht einigen dürften sich die Parteien auf gesellschaftspolitische Punkte: das Wahlrecht ab 16 Jahren, das Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität und die Ersetzung des Begriffes "Rasse" im Grundgesetz.

Aufgrund seiner sexuellen Identität soll bald niemand mehr diskriminiert werden dürfen.
Aufgrund seiner sexuellen Identität soll bald niemand mehr diskriminiert werden dürfen.Bild: Geisler-Fotopress / Jean MW/Geisler-Fotopress

Auch die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, sowie die Inklusion von Menschen mit Behinderung wollen die Parteien vorantreiben. Reformiert werden sollen auch Gesetze, in denen es um das Zusammenleben von Familien oder deren Gründung geht – Stichwort Fortpflanzung und künstliche Befruchtung. Das alles soll unabhängig vom klassischen Familienbild gemacht werden.

Auch das Transsexuellenrecht soll reformiert werden.

Einigkeit dürfte auch bei der Einwanderungspolitik geherrscht haben: Es soll ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht geschaffen werden. Grüne und FDP konnten außerdem das von ihnen angestrebte Punktesystem zur Gewinnung qualifizierter Fachkräfte durchsetzen.

Kompromisse bei der sozialen Absicherung

Bei der sozialen Absicherung wurden auf allen Seiten Kompromisse gemacht: So wird es zwar höchstwahrscheinlich nicht zur Bürgerversicherung kommen, die sich SPD und Grüne gewünscht haben, dafür dürfte der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht werden, was die FDP eigentlich gerne vermieden hätte.

Auch das BAföG soll reformiert werden – das hatten die drei Parteien ohnehin vor. Allerdings mit verschiedenen Ausführungen. Das Sondierungspapier trägt in diesem Punkt die Handschrift der SPD: Das Bafög soll elternunabhängig werden.

Alles in allem lässt sich aus dem aktuellen Papier herauslesen, dass FDP und Grüne, die beiden Kanzlermacherparteien, hart verhandelt und viele ihrer Themen durchgesetzt haben. Gerade im Bereich von Sozialpolitik und Steuern könnte aber die SPD noch einen Streit anfangen.

Kriminalstatistik: Zahl der Straftaten in Deutschland gestiegen – was das bedeutet

Die Zahl der Straftaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent auf 5,94 Millionen gestiegen. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2023 hervor, aus der die "Welt am Sonntag" am Samstag vorab zitierte und die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag vorgestellt hat. Die Gewaltkriminalität erreichte demnach mit rund 215.000 Fällen den Höchststand seit 15 Jahren.

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