Ende Oktober wurde die Deutsche Jennifer W. für ihre Mitgliedschaft in der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu zehn Jahren Haft verurteilt. Es war das erste Verfahren gegen eine IS-Rückkehrerin in der deutschen Geschichte. Dass weitere Fälle folgen können, ist wahrscheinlich: Zahlreiche Menschen haben sich in der Vergangenheit von Deutschland aus auf den Weg gemacht, um sich islamistischen Gruppen anzuschließen.
In einer am Montag ausgestrahlten TV-Dokumentation für ProSieben hat Journalist Thilo Mischke einen deutschen IS-Terroristen porträtiert, der in einem Gefängnis in Syrien sitzt – und der keinerlei Reue zeigt.
Wie groß ist das Problem? Welche Gefahr geht von den Menschen aus, die sich dem IS verpflichtet haben, teils für ihn gekämpft haben – und die jetzt nach Deutschland zurückkehren? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Nach Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus dem vergangenen Jahr sind seit 2012 1070 Personen aus islamistischen Motiven heraus von Deutschland aus in den Irak oder nach Syrien gereist. Mehr als ein Viertel davon sind demnach Frauen. Auch um sie haben die Propagandisten des IS geworben, damit sie als Ehefrauen von Kämpfern und Mütter einen Beitrag zum Sieg des IS zu leisten.
Etwa ein Drittel der Ausgereisten ist inzwischen wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Im vergangenen Jahr waren dies vor allem Frauen und Kinder. Zehntausende IS-Angehörige sitzen in Lagern im Irak oder in Syrien in Haft, etwa im von kurdischen Kräften betriebenen Al Hol Lager in Syrien.
In den großen Camps für IS-Angehörige im Nordosten Syriens saßen im vergangenen Jahr noch immer etwa 1250 Europäer fest. Laut Bundesinnenministerium sind 250 deutsche Staatsbürger darunter, davon über 100 Erwachsene und 150 Kinder.
Der Verfassungsschutz spricht von einem "erheblichen Sicherheitsrisiko" für Deutschland, das von Rückkehrern ausgehen könne, die eine Terror-Ausbildung absolviert oder an Kampfhandlungen teilgenommen haben.
"Ihre in den Kampfgebieten erworbenen Fähigkeiten sowie eine mögliche Brutalisierung durch exzessiv erlebte Gewalt, können als Motivationsgrundlage für die Planung und Durchführung von Anschlägen dienen", schreibt die Behörde. Allerdings müsse man jeden Fall einzeln bewerten.
Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, schreibt in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung, ein besonderes Sicherheitsrisiko stellten Personen dar, die während ihres Aufenthaltes in den Konfliktregionen Weiter ideologisch indoktriniert, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen geschult wurden oder Kampferfahrung gesammelt haben". Und die darüber hinaus im Verdacht stehen, mit dem Auftrag, Anschläge zu begehen, nach Europa zurückgeschickt worden zu sein.
Darunter seien nicht nur deutsche Staatsbürger, sondern auch "Dschihad-Reisende" aus anderen Ländern. "Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland wird somit absehbar größer, komplexer und internationaler", schreibt Holger Münch.
Viele der Zurückgekehrten sind Frauen, die nicht in aktive Kampfhandlungen verwickelt waren. Zwei Beispiele:
Die aus dem Irak wieder nach Deutschland eingereiste Jennifer W. etwa wurde vom Oberlandesgericht München wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, wegen Beihilfe zum versuchten Mord sowie zum versuchten Kriegsverbrechen und wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilt. Sie und ihr Ehemann hielten eine Jesidin und ihre Tochter als Sklavin gefangen. Sie ließen das Kind verdursten.
Der jesidischen Organisation Yazda zufolge war der Prozess die weltweit erste Anklage wegen Straftaten von IS-Anhängern gegen die religiöse Minderheit der Jesiden.
Die aus Konstanz stammende IS-Sarah O. ist in diesem Jahr zu sechseinhalb Jahren Haft für Taten in Syrien verurteilt worden: für die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Menschenhandel, Freiheitsberaubung und Beihilfe zum Totschlag. Mit 15 war sie nach Syrien ausgereist, heiratete dort einen Salafisten aus Köln und gebar drei Kinder.
In sozialen Medien machte sie Propaganda für den IS und unterstützte neu in das Terroristengebiet eingereiste Ausländer. Sie und ihr Ehemann hielten fünf jesidische Frauen und zwei Mädchen als Sklavinnen, mindestens zwei von ihnen wurden vergewaltigt, ein Mädchen starb.
Vor allem der Umgang mit den zurückkehrenden Frauen ist für die Justiz oft schwierig. Ohne eine Beteiligung an Kämpfen sind strafbare Handlungen oft nur schwer nachzuweisen.
Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Juraprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg, sagte im Deutschlandfunk dazu:
Die Zahl der bisher in Deutschland rechtskräftig verurteilten Rückkehrer bewegt sich laut Verfassungsschutz "im mittleren zweistelligen Bereich".
Der Verfassungsschutz verzeichnet eine steigende Zahl islamistischer Gefährder. Die Ermittler sprechen dabei von einem "islamistischen Personenpotenzial". Dieses setzt sich zusammen aus den Mitgliedern und Anhängern der von ihnen beobachteten Objekte im Bereich "Islamismus und islamistischer Terrorismus". 2020 stieg dieses Potenzial im Vergleich zum Vorjahr um rund 2,5 Prozent, was einer Zahl von 28.715 Personen entspricht.
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche islamistische Organisationen in Deutschland verboten worden. Die Gründe dafür sind etwa "Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung" oder "Vereinszweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet". Dazu zählen etwa "Ansaar International e. V" oder "Millatu Ibrahim", dem der ehemalige Berliner Rapper Denis Cuspert angehörte, welcher sich später dem IS in Syrien anschloss.
Die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen anderer Länder erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Dies kann etwa zwischen zwei Ländern geschehen.
Auf europäischer Ebene arbeiten Gruppen wie die Police Working Group on Terrorism zusammen. Dort tauschen sich die Staatsschutzbehörden der verschiedenen Staaten aus. Dazu kommen Organisationen wie die Polizeibehörde der Europäischen Union Europol oder ihre internationale Vorgängerin Interpol.
In Deutschland wurde im Jahr 2004 das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum GTAZ gegründet. Dort laufen Informationen von 40 Behörden aus Bund und Ländern zusammen. Zudem werden Erkenntnisse ausgetauscht, Gefährdungsbewertungen erstellt und Maßnahmen abgestimmt.
Weltweit sind Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes an über 50 Standorten vertreten. Sie sollen einen engeren polizeilichen Austausch mit den dortigen Behörden fördern und Informationen über die Kriminalitätsentwicklung vor Ort liefern.