Christian Drosten musste sich in den vergangenen Tagen mit Kritik der "Bild"-Zeitung herumschlagen. Bild: www.imago-images.de / Janine Schmitz/photothek.net
Analyse
Forscher über "Bild"-Berichterstattung gegen Drosten: "Skandalisiert üblichen Prozess"
Dominik Liebl war einer der vermeintlichen "Kronzeugen" für die Kritik der "Bild"-Zeitung an einer Studie des Teams des Berliner Virologen Christian Drosten. Die Arbeit sei "grob falsch", hatte das Boulevardblatt am Montag getitelt.
Bei dieser Behauptung stützte sich die Zeitung auch auf Liebl, Juniorprofessor im wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich Statistische Abteilung der Universität Bonn.
Liebl distanzierte sich prompt auf Twitter von der Art der "Bild"-Berichterstattung. Der Reporter der Zeitung hatte Drosten zur Beantwortung seiner Fragen per Email eine Frist von nur einer Stunde gesetzt. Die Email wiederum veröffentlichte Drosten.
"Bild" skandalisiere einen üblichen Prozess in der Wissenschaft
Am Mittwoch erklärt Liebl in einer Email gegenüber watson noch einmal seine Sicht auf den Angriff der "Bild" auf Drosten. "Auf keinen Fall möchte ich Herrn Drosten und sein Team in der öffentlichen Wahrnehmung diffamieren oder die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft gefährden", schreibt der Statistiker. Daher habe er sich klar von der Art der Berichterstattung distanziert.
"Die 'Bild'-Berichterstattung skandalisiert einen in der Wissenschaft üblichen Begutachtungsprozess, der dem Wissensgewinn dient und hier von zentraler Bedeutung ist", erklärt er, was da in den vergangenen Tagen passiert ist.
Im Zuge dieses Begutachtungsprozesses hat Liebl ein Gutachten erstellt, das die statistische Analyse der Charité-Studie unter die Lupe nimmt. "Diesem habe ich zu diesem Zeitpunkt nichts hinzuzufügen", schreibt er. In diesem Gutachten berichtet Liebl von Fehlern bei der statistischen Analyse der Charité-Studie.
Was bemängelte er genau?
Darum geht es bei der Kritik an der Drosten-Studie
Die Forscher der Charité hatten untersucht, ob mit dem Coronavirus infizierte Kinder genauso ansteckend sein könnten wie Erwachsene. Dazu verglichen sie die Menge an Viren im Rachen von Infizierten mehrerer Altersgruppen.
Das Ergebnis: Es könnte durchaus sein, dass Kinder genauso infektiös wie Erwachsene sind. Die Viruslast unterscheide sich nicht signifikant. Das Ergebnis veröffentlichten die Forscher als sogenannten Preprint. Das heißt, die Studie wurde noch nicht von anderen Forschern unabhängig überprüft. Normalerweise bekommen solche Preprints keine große Öffentlichkeit, in der Corona-Krise ist das anders, auch weil die Wissenschaft so bemüht ist, schnell Erkenntnisse über das neue und daher noch relativ unbekannte Coronavirus Sars-CoV-2 zu sammeln. Die Überprüfung geschieht jetzt auch mal sehr öffentlich.
Genauso wie im Fall von Liebl und anderen Statistikern, die sich die Charité-Studie angeschaut haben.
Liebl fiel wie seinen Kollegen bei der statistischen Auswertung Fehler auf. Denn die Analyse der Daten der Forscher zeigten, dass es durchaus signifikante Unterschiede bei der Viruslast zwischen Kindern und Erwachsenen gebe, schrieb Liebl in seinem Gutachten.
In gefetteter Schrift warnte der Statistiker in seinem Gutachten aber auch: Er könne die medizinischen Aussagen der Studie nicht beurteilen, "ich kann auch die medizinischen Implikationen meiner öffentlichen Überprüfung nicht beurteilen". Und dann folgt ein Satz, den die "Bild" wohl überlesen hat: "Die Viruslast in den Altersgruppen kann sehr hoch sein und Infektionen verursachen."
Auch Chef-Virologe Drosten erklärte in seinem NDR-Podcast am Dienstag, bei der Studie seien relativ grobe statistische Methoden eingesetzt worden. Nun wird die Studie für ihre endgültige Veröffentlichung überarbeitet, die statistische Analyse wird dabei verbessert werden.
"Herr Drosten und sein Team überarbeiten aktuell ihren Beitrag unter Berücksichtigung meiner und vieler anderer Anmerkungen aus der Wissenschaft", schreibt auch Liebl watson.