Analyse
Deutschland

Zwei Jahre und noch immer nichts gelernt? Die Dauerbrenner der Pandemiebekämpfung

Coronavirus is finish. The end of quarantine and Corona Virus pandemic. Woman taking off and throw away medical protective mask. Enjoying life and fresh air after coronavirus pandemic.
Ein treuer Begleiter durch die Wellen der Pandemie: Masken.Bild: iStockphoto / triocean
Analyse

Die Dauerbrenner der Pandemiebekämpfung – und wie sie sich verändert haben

16.12.2021, 16:4817.12.2021, 11:15
Mehr «Analyse»

"Leute haben Schiss vor irgend 'nem bescheuerten Virus. Die Wahrheit ist: Dabei sterben nur alte, weiße Männer!", haben die Rapper von K.I.Z am Frauentag 2020 in die Mikrofone gebrüllt. Wie viele in Deutschland haben auch sie die dramatische Lage damals verkannt. Wie die Skiurlauber zum Beispiel oder die Karnevalisten.

Wenige Tage später, am 22. März 2020, begann der erste Lockdown. Auch damals gingen viele noch davon aus, dass die Pandemie dadurch eingedämmt werden könnte. Dass Konzerte, Veranstaltungen und das Leben, wie wir es kannten, im Sommer 2020 wieder losgehen würde.

Wie wir nun nach knapp zwei Jahren Pandemie wissen: Wunschdenken.

Die vierte Coronawelle scheint aktuell abzuflachen, zumindest die Zahlen geben Grund zur Hoffnung. Auch wenn Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder bei einer Pressekonferenz am Dienstag in der dritten Adventswoche diese direkt wieder schmälerte mit dem Hinweis, dass sich die Omikron-Variante mittlerweile stärker ausbreite. Der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung geht ebenfalls davon aus, dass Omikron sich bald verbreiten könnte. Gegenüber der dpa sagt er:

"Ich befürchte, dass Omikron in spätestens zwei bis drei Wochen wieder zu einem Anstieg bei den Infektionszahlen führt, vermutlich auch bei den Klinikeinweisungen."

Möglicherweise ist die fünfte Welle also schon im Anmarsch. Um Deutschland gegen Omikron zu wappnen, sollten sich so viele Menschen wie möglich impfen und boostern lassen, sagt Krause. Und auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach verweist via Twitter auf eine Studie, die aufzeigt, dass Boosterimpfungen gegen Omikron helfen könnten. Bei seiner ersten Corona-Pressekonferenz mit RKI-Chef Lothar Wieler erklärt er folgerichtig am Donnerstag, dass dies die zentrale Strategie des Gesundheitsministeriums sei: So schnell wie möglich Boostern, damit Omikron in Deutschland gar nicht erst große werde. "Das höchste Impftempo Europas" hätten wir hier gerade, betont Lauterbach.

Aber wie hat sich eigentlich der Umgang mit der Pandemie verändert? Auf den ersten Blick: nur unwesentlich. Wir haben uns trotzdem die Maßnahmen im Umgang mit der Pandemie im Wandel der Zeit angeschaut.

Lockdown versus Lockdown für Ungeimpfte

Zweimal haben die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands mittlerweile einen Lockdown erlebt: Restaurants geschlossen, Konzerte abgesagt, shoppen nur mit Vorbestellung – durch die Ladentüre. Gesperrte Spielplätze, gesperrte Parkbänke und Kontaktverbot. Homeoffice, geschlossene Schulen und geschlossene Universitäten. Maskenpflicht und Ausgangsbeschränkungen.

Der erste Lockdown begann im März 2020 und dauerte bis zum Mai. Der zweite wurde im Dezember 2020 verhängt und er schien nie enden zu wollen: Der "Lockdown light", der bis Weihnachten dauern sollte, wurde zu einem harten zweiten Lockdown und mehrfach verlängert. Nach einem halben Jahr endeten die strengen Maßnahmen dann im Mai 2021.

Die Hygienemaßnahmen, bestehend aus "Abstandhalten – Händewaschen – Alltagsmaske tragen" sind geblieben. Und auch der Lockdown ist zurück: Zumindest für Menschen, die noch immer ungeimpft sind. In Freizeiteinrichtungen und Geschäften gelten die 2G-Regeln – eine Vokabel der vierten Coronawelle.

Eine Tafel mit der Aufschrift "2G-Regel - Bitte Nachweis bereit halten" steht vor einem Wirtshaus. Angesichts der steigenden Corona-Zahlen gelten in Bayern ab dem 16.11.2021 noch einmal vers ...
In Restaurants, Bars und Cafes darf nur noch, wer geimpft oder genesen ist.Bild: dpa / Sven Hoppe

Für Gastronomie und Handel ist die aktuelle Situation allerdings auch nicht einfach: "Ein kurzer, harter Lockdown wäre für viele Unternehmen besser zu verkraften als ein langer, weicher Lockdown", antwortete Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) auf eine frühere watson-Anfrage. Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Gastro-Interessenverbands Dehoga hingegen, sieht sich bereits durch Einführung der 2G-Regelungen mit vielen Ängsten der Gastronomen konfrontiert.

Kanzler Olaf Scholz sprach in seiner Regierungserklärung, die er am Mittwoch abgegeben hat, davon, dass es keine roten Linien bei der Pandemiebekämpfung gebe. Der Lockdown, nicht nur für Ungeimpfte, bleibt also möglicherweise ein Dauerbrenner bei der Pandemiebekämpfung.

Bunte Accessoires versus FFP2-Masken

Es war Ende April im ersten Coronajahr, als der Trend aufkam, sich Alltagsmasken oder auch Community-Masken selbst zu nähen – denn medizinische Masken waren plötzlich Mangelware. Zu dieser Zeit wurde das Tragen einer solchen Maske im öffentlichen Bereich verpflichtend. Also beim Einkaufen, in der Bahn, auf der Arbeit – sofern der Betrieb seine Mitarbeitenden nicht ins Homeoffice verfrachten konnte. Und auch in den Klassenräumen – ab Anfang Mai öffneten die Schulen nach und nach wieder ihre Türen.

Selbst genähte Masken hängen während der Coronapandemie in einem Schaufenster in Bonn.
Stoffmasken hängen im Schaufenster eines Geschäftes.bild: picture alliance / | R4223

Was folgte, war ein Sommer mit Stoffmasken und Picknick-Konzerten. Der erste Schreck war überstanden. Das Leben kehrte, wenn auch anders als gewohnt, zurück.

Bis die Infektionszahlen im Herbst wieder stiegen. Mit dem zweiten Lockdown und seiner Verlängerung kam im Januar 2021 eine neue Regel dazu, die die Alltagsmasken unnötig machte. Sie genügten nicht mehr: Stattdessen werden medizinische Masken und FF2-Masken zur Pflicht. Diese begleiten uns bis heute durch unseren Alltag.

Die Stoffmasken hingegen warten in Stauboxen darauf, dass wir sie – wegen leichter Erkältungen – nach dem Ende der Pandemie aus Rücksicht wieder auspacken.

Bundesnotbremse versus Instrumentenkasten

Weil der zweite Lockdown drohte, nie enden zu wollen, nahm der Bundestag im April 2021 die Bundesnotbremse in das Infektionsschutzgesetz auf. Diese regelte die geltenden Maßnahmen, bei einer 7-Tage-Inzidenz über 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen – beispielsweise Kontaktbeschränkungen, geschlossene Schulen, Restaurants und Geschäfte.

Die Notbremse trat Ende Juni dieses Jahres außer Kraft. Im November hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Maßnahmen der Bundesnotbremse rechtmäßig waren.

Eine Frau hält während einer Demonstration unter dem Motto „Homeschooling-Streik“ von Eltern und Kindern vor der bayerischen Staatskanzlei ein Schild mit der Aufschrift „Sofort Schulen aufmachen“ in d ...
Auch die Schulen waren geschlossen.Bild: dpa / Matthias Balk

Seit Einführung und Ende der Bundesnotbremse ist allerdings viel geschehen: Unter anderem ist mittlerweile eine neue Regierung an der Macht. Und die Ampel-Koalitionäre haben bereits vor der Unterzeichnung ihres Vertrages ein neues Gesetz für den Umgang mit der Pandemie auf den Weg gebracht.

"Instrumentenkasten" nennt die Regierung dieses Gesetz.

Seitdem die "epidemische Notlage nationaler Tragweite" ausgelaufen ist, haben dadurch die Länder wieder die Möglichkeit, je nach Infektionslage eigene Maßnahmen zu ergreifen: In den Freistaaten Bayern und Sachsen bedeutet das seit einigen Wochen enorme Einschränkungen, da die Infektionszahlen dort weiterhin sehr hoch sind. Das Bundesland Bremen wiederum hat aufgrund geringer Infektionszahlen und einer hohen Impfquote nur geringe Einschränkungen für seine Bürgerinnen und Bürger verhängt.

Der Flickenteppich, der zu Beginn der Pandemie herrschte, ist also zurück und die Entscheidung über Maßnahmen liegt nicht mehr bei der Bundesregierung, sondern in den Landtagen. Worüber aber Bundestag, Bundesrat und Regierung weiterhin entscheiden: die Maßnahmen, die den Ländern zu Verfügung stehen.

Impfdrängeln versus Impfpflicht

Kurz nach Weihnachten 2020 startete die Impfkampagne – allerdings noch mit begrenzten Impfstoff-Mengen. Es gab einen Run auf die Termine und eine Einteilung der Impfwilligen in Priorisierungsgruppen: Zuerst Senioren- und Heimbewohnerinnen, medizinisches Personal und Pflegekräfte, Lehrerinnen, Erzieher – dann alle anderen.

Bis zum Sommer, so das Versprechen dieser Tage, würde allen ein Impfangebot gemacht worden sein.

Die Hoffnung: Die Wunderwaffe Impfung war da und im Sommer könnte der Spuk vorbei sein.

Doch es kam, wie wir nun in Welle vier wissen, anders. Zwar war das Impfangebot da – Menschen brauchten irgendwann nicht länger die Ellenbogen auspacken oder ihre Hausärzte mit Telefonanrufen bedrängen, um an einen Termin zu kommen. Allerdings wollten zu viele das Impfangebot gar nicht annehmen.

Eine Helferin tupft den Arm einer Frau bei der Corona-Schutzimpfung in einer Kölner Tanzschule mit Desinfektionsmittel ab. Die Tanzschule wird an mehreren Tagen zum Impfzentrum umfunktioniert, inklusi ...
Eine Helferin impft eine Frau in einer Tanzschule.Bild: dpa / Mona Wenisch

Und damit begann sie, die Diskussion darüber, wie mit den Impfunwilligen, den Zögerern umzugehen sei. Aus dem Impfgedrängel und dem Impfangebot wurde zuletzt die Debatte über die Impfpflicht. Eine Maßnahme, die zu Beginn ausgeschlossen worden war. Die frühere Justiz- und heutige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht etwa hatte dies noch im Juli in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk" betont. Und sie war nicht die einzige Politikerin.

In Anbetracht der steigenden Infektions- und Hospitalisierungszahlen und der stagnierenden Impfquote haben mittlerweile etliche Politikerinnen und Politiker ihre Meinung geändert, wie sie auf watson-Nachfrage mitteilten: Mehr als 150 sprachen sich für die Impfpflicht aus. Und auch Kanzler Scholz kündigte bereits an, dass der Bundestag darüber abstimmen wird, ob es zu einer allgemeinen Impfpflicht kommen soll.

Was bereits sicher beschlossen ist, ist die Impfpflicht im Gesundheitswesen.

Balkonkonzerte versus Kulturkrise

Sie sollten Hoffnung spenden. Sollten Freude schenken in den Monaten des ersten Lockdown: Balkonkonzerte. Menschen – ob professionelle Musikerinnen, Blaskapellenmitglieder oder Hobby-Gitarristen – standen auf ihren Balkonen und musizierten.

Die Euphorie der Gemeinsamkeit, die Hoffnung ist gewichen. Längst wird nicht mehr im großen Stil auf Balkonen musiziert, stattdessen konnten die ersten Konzerte und Festivals im kleineren Rahmen wieder stattfinden. Auch die Türen der Theater und Clubs durften wieder öffnen. Bis sie wegen der vierten Coronawelle zum Teil erneut schließen mussten.

Die Kulturbranche leidet noch immer unter der Coronapandemie.

Viele Clubs in Deutschland haben mittlerweile wieder geschlossen. Entweder, weil es die Coronalage vor Ort erfordert, wie beispielsweise in Bayern und Sachsen, oder weil sich eine Öffnung mit den bestehenden Regeln nicht rentiert. Wie Enrico Uhlmann, vom Chemnitzer Club "Atomino" im Gespräch mit watson erklärte, sei nicht nur die Finanzierung ein Problem für die Clubs. Vielmehr könnte es nach der Pandemie auch zu einem Personalmangel kommen, weil Tontechnikerinnen oder Beleuchter sich andere Jobs gesucht hätten.

Diese Befürchtung teilt Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Kulturrats – dem Spitzenverband der Kultur-Branche. Im Gespräch mit watson sagte Zimmermann, dass die Branche darüber hinaus in eine künstlerische Krise zu stürzen drohe: Vor allem freischaffende Künstler hätten extrem gelitten. Insgesamt gebe es wegen der Pandemie auch einen Verlust von Talenten – weil diese sich ebenfalls umorientierten.

Fernstudium versus Präsenzunterricht

Drei Semester lang haben die Studierenden ihre Universitäten nur über den Laptop gesehen. Für viele war diese Zeit vor allem eines: belastend. Nicht viel besser erging es den Schülerinnen und Schülern, die ihre Lehrerinnen und ihre Klassenkameraden ebenfalls lange Zeit nur über das Tablet oder den Laptop gesehen haben.

Young woman holding an open book in hands and looking at the camera || Modellfreigabe vorhanden
Für viele Studierende waren die Pandemiesemester vor allem eine Belastung.Bild: Zoonar.com/Oleksii Hrecheniuk / Oleksii Hrecheniuk

Gerade psychisch hat die Pandemie jungen Menschen bisher extrem zugesetzt, das ist das Ergebnis der neuen Jugendtrendstudie. Die Schulen sind aktuell geöffnet, trotz der vierten Coronawelle. Von einer erneuten Schließung wollen die Kultusministerinnen und -minister der Länder auch nach wie vor nicht sprechen – höchstens von vorgezogenen Weihnachtsferien, wie es sie zum Beispiel in Brandenburg geben wird.

Anders ist die Lage an den Universitäten.

Hier haben einige mittlerweile wieder dichtgemacht, ihre Studierenden nach einem halben Semester in Präsenz zurück in die eigenen vier Wände verbannt – oder versuchen die Veranstaltungen zumindest hybrid anzubieten. Präsenzstudium mit all seinen Facetten bleibt für viele Studierende also vor allem eines: ein frommer Wunsch.

Singende Esoteriker versus radikalisierte Querdenker

Mit dem ersten Lockdown starteten auch die ersten Demonstrationen gegen die Maßnahmen. "Hygienedemos" hießen diese Versammlungen im Frühjahr 2020 noch. Demonstriert hat damals eine krude Mischung aus Linken, Esoterikern, Verschwörungstheoretikern und Rechten.

Angemeldet wurden viele Demos laut der Konfliktsoziologin Verena Stern von rechten Akteuren. In einem Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung sagte Stern:

"Der Einfluss der extremen Rechten war meines Erachtens von Beginn an groß. Besonders Verschwörungen, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus waren wiederkehrende Motive in Protestaufrufen, Reden und Plakaten."

Wie radikal die Sprengkraft der Bewegung werden würde, die sich schließlich unter anderem zu den selbsternannten "Querdenkern" formierte, war damals für Laien nur zu erahnen.

Eine karnevalistisch verkleidete Teilnehmerin einer Kundgebung gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie trägt einen Aluhut und steht dabei vor einer Polizeikette.
Ein Coronaleugner mit Aluhut auf einer Demonstration.Bild: dpa / Henning Kaiser

Mittlerweile, zahlreiche Anti-Corona-Demos und Holocaustvergleiche später, beobachtet der Verfassungsschutz bundesweit Mitglieder der Bewegung. Die Demonstrationen wurden nach und nach immer gewalttätiger, Drohungen gegen politische Akteure konkreter.

Ein junger Mann im hessischen Idar-Oberstein wurde von einem Coronaleugner erschossen, nachdem er diesen auf die Maskenpflicht im Verkaufsraum der Tankstelle hingewiesen hatte. In Königs Wusterhausen ermordete nach aktuellen Erkenntnissen ein Familienvater seine Frau und seine Kinder und tötete anschließend sich selbst. Er soll im Dunstfeld von Corona-Gegnern und Querdenkern agiert haben, als Grund für die Tat soll er das Auffliegen eines gefälschten Impfzertifikats angegeben haben.

In Sachsen nehmen die Bedrohungen gegen hochrangige Politiker zu. Das LKA des Freistaats führte am Mittwoch Razzien bei Menschen durch, die im Verdacht standen, dem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer etwas antun zu wollen. Die Beamten stellten unter anderem Waffen sicher, die Vernehmungen haben begonnen.

Das Haus der Innenministerin Petra Köpping wurde das Ziel eines Fackelmarsches als Drohgebärde von "Querdenkern". Einen ähnlichen Aufmarsch hatten Coronaleugner in Mecklenburg-Vorpommern zu dem Haus von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig versucht, wurden aber gestoppt.

Im watson-Interview warnte der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume bereits vor einer Terrorgefahr durch die "Querdenker" – die aktuellen Entwicklungen geben ihm recht.