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#MuteRKelly und wie Spotify in die Scheinheiligkeit rutscht

ARCHIV - ILLUSTRATION - Die Spotify-App läuft am 17.03.2014 auf einem Tablet in Berlin. Foto: Ole Spata/dpa (zu dpa "Spotify wirft Apple unfairen Wettbewerb im App Store vor" vom 01.06.2016) ...
Bild: dpa/collage
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Spotify schmeißt R. Kelly aus den Playlisten und rutscht in die Scheinheiligkeit 

11.05.2018, 17:1811.05.2018, 17:29
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Eigentlich sollte man Spotify keinen Vorwurf machen. Die Musik-Plattform will Künstler aus seinen Playlisten schmeißen, weil deren Songs "besonders schädliche oder hasserfüllte" Botschaften transportieren – das ist erst einmal eine gute Sache. Wer diesen Gedanken aber weiterführt, stößt auf schwer lösbare Probleme. Auch Spotify rutscht jetzt in ein Dilemma, an dem schon andere gescheitert sind.

Was ist passiert?

Konkret geht es um die Musik des Sängers R. Kelly und des Rappers XXXTentacion. Beide will Spotify nicht länger abspielen.

  • XXXTentacion muss sich gerade wegen des Vorwurfs der schweren Gewalt gegen eine schwangere Frau verantworten.
  • R. Kelly soll mehrere Frauen in einer sektenähnlichen Struktur gehalten haben. Buzzfeed hatte im vergangenen Juli berichtet, er sei wie ein "Meister mit totaler mentaler Kontrolle aufgetreten". Zudem klagte eine weitere Frau gegen den US-Popstar, dieser habe sie mit einer Geschlechtskrankheit infiziert - obwohl er von der Krankheit gewusst habe.

R. Kelly wies die Anschuldigungen zurück. Dennoch löschte ihn Spotify und bekennt sich zu einer gerade in den USA laufenden Social-Media-Kampagne: #MuteRKelly will Musik und Konzerte des Popstars boykottieren.

Gewalt gegen Kinder oder sexuelle Gewalt, könne die Art der Zusammenarbeit "verändern", erklärte dann auch Spotify. Das sei keine Zensur, man lege allerdings Wert darauf, dass die Musikangebote in dem Streamingdienst "unsere Werte spiegeln". Das Problem mit dieser Sicht der Dinge lässt sich schnell erklären:

1. Wann soll ein Anbieter denn löschen?

Seit die #metoo-Debatte unmögliche Zustände in Hollywood zu Tage gebracht hat, muss zum Beispiel auch Netflix überlegen, ob es etwa den neuen Woody Allen-Film eigentlich noch zeigen möchte oder nicht. Auch gegen Allen stehen zahlreiche Missbrauchsvorwürfe im Raum.

Aber es geht nicht nur um #metoo. Es geht auch um politische Debatten, etwa die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Rapper Farid Band und Kollegah und den deutschen Echo. Es geht auch um die Inhalte von Songs und Filmen. 

Die beiden Rapper haben eine Antisemitismus-Debatte ausgelöst:

All diese Debatten sind emotional aufgeladen, die Fälle höchst kontext abhängig. Nicht immer ist so klar wie in den #metoo-Fällen, wo die Wahrheit liegt und wer der Schuldige ist.

In diesem Gewirr können die Streaming-Anbieter gar nicht wirklich beantworten, wie hoch ihre "Lösch-Schwelle" liegen soll. Welche Filme und Songs sie also stehen lassen und welche fliegen:

  • Muss es ein Gerichtsurteil gegen einen Regisseur oder Künstler geben, um ihn von der Plattform zu werfen?
  • Reichen ausführliche Zeugenaussagen und Zeitungsberichte gegen ihn?
  • Gerüchte?

2. Abrutschen in die Scheinheiligkeit

Wenn die Unternehmen immer nur löschen, was gerade öffentlich diskutiert wird, dann:

  • handeln sie mit Doppelmoral, denn viele ähnliche Fälle bleiben bestehen.
  • dann treffen sie Entscheidungen über Meinungs- und Kunstfreiheit, die kein privates Unternehmen treffen sollte.
  • dann (das zeigen die Probleme von Facebook) trifft es vermutlich auch Unschuldige. Die Grenzen etwa von Satire sind schwer zu erkennen.

Wenn Spotify und Co. auf der anderen Seite aber konsequent sein wollen, dann müsste ein Großteil des Musikangebots von den Plattformen verschwinden. Man denke etwa an die oft sexistischen, homophoben und rassistischen Inhalte vieler internationaler Rap-Songs.

Der jüdische Rapper Ben Salomo spricht etwa von einem massiven Antisemitismus-Problem im Deutsch-Rap:

Das würde das Geschäftsmodell von Spotify aber schwer beschädigen. Es bleibt zu vermuten, dass genau deshalb am Schluss alles beim alten bleiben wird und das schwedische Unternehmeh hin und wieder Lippenbekenntnisse geben wird. So ähnlich ist das auch im Falle von R. Kelly. Spotify meint es bestimmt gut, aber das war es dann auch schon.

(mit afp)