Ein Traktor in Mecklenburg-Vorpommern beackert ein Feld. Wegen der starken Trockenheit staubt es.Bild: dpa / Jens Büttner
Analyse
Bis zum Jahr 2030 möchte die Ampel-Regierung 30 Prozent Öko-Landwirtschaft in Deutschland erreicht haben. Eine Agrarwende hin zu mehr Biodiversität und weniger Pestiziden. Eine Agrarwende fürs Klima. Gleichzeitig bedeutet das aber auch: Eine Wende hin zu teureren Lebensmitteln.
Um im Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe auf Öko-Landwirtschaft umgestellt zu haben, muss damit spätestens jetzt begonnen werden. Im Jahr 2020 haben lediglich 13,5 Prozent der Betriebe ökologisch gewirtschaftet. Es ist also noch einiges zu tun in den kommenden acht Jahren. Gleichzeitig werden Lebensmittel durch die Inflation aktuell immer teurer, viele Armutsbetroffene stehen auch in Deutschland an der Grenze zum Hunger.
Wie realistisch also ist die Agrarwende? Wie sinnvoll ist sie für die Umwelt? Und wie lässt sich das alles sozial gestalten? Darüber hat watson mit dem Agrarwissenschaftler Stephan Cramon-Taubadel und dem Armutsforscher René Böhme gesprochen.
Heuernte in Baden-Württemberg.Bild: www.imago-images.de / imago images
Neue Konsumgewohnheiten könnten helfen
Der Agrarwissenschaftler Stephan Cramon-Taubadel von der Uni Göttingen sagt, 30 Prozent Öko-Landwirtschaft würden die Intensität der deutschen Agrarproduktion sicherlich reduzieren. Will heißen: Es würden weniger schwere Maschinen sowie Dünge- und Pflanzenschutzmittel produziert. Das hätte positive Effekte auf die Biodiversität in Deutschland.
Cramon-Taubadel zweifelt allerdings an der Umsetzung des Planes der Regierung. Er sagt:
"Ich erkenne keinen konkreten Plan, wie entsprechende – und voraussichtlich sehr teure – Anreize für die vielen Landwirte, die umstellen müssten, geschaffen werden sollen."
Aktuell klagten viele Ökobauern, dass ihre Preise in den vergangenen Monaten nicht im Verhältnis zu den Preisen für konventionell erzeugten Lebensmittel angestiegen seien. Die Konsumentinnen und Konsumenten reagierten auf die Inflation: Statt teure Ökoprodukte zu kaufen, wechseln sie zurück zu Lebensmitteln aus konventioneller Landwirtschaft, sagt Cramon-Taubadel.
"Der Markt für Ökoprodukte ist derzeit eher gesättigt und könnte kaum nennenswerte Produktionssteigerungen aufnehmen", fasst der Agrarwissenschaftler zusammen.
Auch frisches Obst ist aktuell sehr teuer.Bild: www.imago-images.de / imago images
Was die Standards für Ökolandwirtschaft sind, hat die Europäische Union festgelegt. Dazu gehört zum Beispiel der Verzicht auf chemische Pflanzendünger oder Antibiotika bei Tieren – außer aus medizinischen Zwecken. Ökolandwirtschaft muss also auf Booster verzichten. Dadurch ist sie aber auch weniger ertragreich als die konventionelle.
Auch diesen Fakt kritisiert Cramon-Taubadel.
Er merkt an:
"Wenn wir die Ökofläche ausdehnen und daher weniger produzieren, unsere Nachfrage aber nicht im gleichen Umfang einschränken, dann muss woanders auf der Erde mehr produziert werden."
So würden die Umwelteffekte der Produktion global betrachtet nicht reduziert, sondern lediglich räumlich verlagert. "Dem Klima ist es letztlich egal, wo eine Tonne CO2 ausgestoßen wird", stellt Cramon-Taubadel klar.
Was hingegen einen nennenswerten Beitrag leisten würde: eine Anpassung der Konsumgewohnheiten. Weniger Fleisch, weniger Tierprodukte. Der Agrarwissenschaftler sagt aber auch: "Das ist kein Plädoyer für eine vegetarische oder gar vegane Ernährung."
Zwei Schweine auf einem Biohof in Niedersachsen.Bild: www.imago-images.de / imago images
Trotzdem: Die Reduktion auf 30 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr könnte schon ausreichen, damit niemand auf Fleisch verzichten, die Umwelt aber trotzdem entlastet würde. Aktuell betrage der jährliche Pro-Kopf-Konsum über 60 Kilogramm Fleisch.
Und nicht nur der Umwelt wäre so geholfen, meint Cramon-Taubadel. Auch die globale Versorgungslage mit Lebensmitteln könnte verbessert werden, während der eigenen Gesundheit etwas Gutes getan würde.
Was aus Sicht des Agrarwissenschaftlers darüber hinaus wichtig ist:
"Wir müssen in Forschung und Innovationen investieren, die jenseits von überholten 'Öko versus Konventionell'-Erzählungen Nachhaltigkeit und Produktivität gleichzeitig fördern."
Agrarwende für viele Haushalte nicht bezahlbar
Viele Menschen in Deutschland können sich eine Ernährung nach Biostandards nicht leisten – vor allem in Zeiten der starken Inflation. Auch das müsse bei einer Agrarwende bedacht werden: Wie sollen sich die 13,4 Milliarden Armutsbetroffenen ernähren? Eine Zahl, die bis 2030 möglicherweise sogar noch ansteigt.
Gerade Rentnern und Rentnerinnen, aber auch allen anderen Armutsbetroffenen macht die Inflation das Einkaufen aktuell schwer.Bild: www.imago-images.de / imago images
Schon die aktuelle Situation bedeutet für Menschen in Armut eine Verschärfung der Situation, sagt René Böhme. Er arbeitet am Institut für Arbeit und Wirtschaft an der Uni Bremen. Sein Schwerpunkt: Armutsforschung. Dass der Regelsatz von fünf Euro pro Tag für Hartz-IV-Empfangende nicht zum Lebensmitteleinkauf reicht, sehe man schon in Jahren ohne Inflation. Jetzt mit der Teuerung würden ihnen im Monat mindestens 17 Euro fehlen.
Böhme sagt:
"Schon 2018 haben 1,5 Millionen Menschen regelmäßig die Tafel besucht. 2019 waren es schon 1,6 Millionen – eine Steigerung von fast zehn Prozent. Aus der Coronakrise gibt es noch keine aktuellen Zahlen, aber es gibt eine Tafel-Umfrage, die ergeben hat, dass 90 Prozent der Tafeln während der Coronapandemie einen erheblichen Anstieg festgestellt haben."
Nun kämen noch Geflüchtete aus der Ukraine dazu – und die Inflation. Aber: Auch die Kapazitäten der Tafel sind begrenzt. Wichtig sei es, meint der Armutsforscher, anzuerkennen, dass Menschen in Armut nicht nur Hartz-IV-Empfangende sind: Studierende, Rentnerinnen und Rentner, Geringverdienende. Natürlich profitierten alle diese Gruppen von den aktuellen Entlastungspaketen der Regierung – manche mehr, andere weniger. Allerdings sei es notwendig, nicht nur ad hoc etwas gegen die Situation zu unternehmen, wie Böhme betont.
Viele Menschen müssen sich ihre Lebensmittel bei der Tafel holen.Bild: dpa / Christophe Gateau
Denn das Problem dahinter sei viel grundlegender: "Das vom Gesetz begründete Absicherungsniveau soll Armut verhindern – de facto ist das aber nicht so." Das alles werde noch einmal schwieriger, wenn die Frage nicht mehr lautet: Ist der Anspruch des Sozialstaates, dass trotzdem zwei Millionen Menschen zur Tafel müssen? Sondern: Wie Sozialpolitik und Klimapolitik miteinander verbinden?
In Deutschland sei das Problem noch einmal gravierender:
"Wir haben einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Dazu kommt vielfach verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bei Menschen, die Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beziehen und das mit einem Absicherungsniveau, das im europäischen Vergleich relativ betrachtet sehr niedrig ist."
Kurz gesagt: In Deutschland sind viele Menschen zu arm für die Klimawende. Mit der anstehenden Agrar- und Energiewende müssten auch Antworten darauf erfolgen, wie das für Menschen ablaufen soll, die sich in Einkommensarmut befinden, meint Böhme.
Die Konzepte, wie eine solche sozial-ökologische Wende ablaufen könnte, seien in den Schubladen, sagt Böhme. Stichwort Klimageld. Ein Vorschlag der Grünen.
Aber: "Die Frage ist, ob das am Ende umgesetzt wird." Ein Problem sei nämlich, dass Deutschland und die Welt aktuell von einer Krise in die nächste stolperten. Die Phase, in der es einfacher gewesen wäre, die Klimawende sozial zu gestalten, sei vorbei. Die sei nämlich zwischen den Jahren 2010 und 2019 gewesen. Jahre des Wachstums, der Stabilität.
Böhme sagt:
"Diese stabile Phase wäre natürlich wie gemacht gewesen, um auch in solchen Feldern voranzukommen. Aber die Politik hat diese Phase verstreichen lassen und für andere Dinge genutzt. Jetzt haben wir mit Corona, dem Ukraine-Krieg und dem Klimawandel alle Krisen gleichzeitig. Und es fehlt an den finanziellen Möglichkeiten, alles gleichzeitig zu bewältigen."
Auch die Tafeln kommen an ihre Kapazitätsgrenzen.Bild: dpa / Felix Kästle
Regierung will Mehrwertsteuer auf Lebensmittel nicht senken
Der Bundestag debattierte Ende Juni darüber, in der aktuellen Lage die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auszusetzen. So könnten Bürgerinnen und Bürger an der Supermarktkasse entlastet werden – ein Antrag der Linksfraktion. Der Antrag wurde an den Finanzausschuss zur weiteren Beratung Überwiesen.
Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte bereits diese Forderung vorgebracht. Im April sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa:
"Wenn wir Obst und Gemüse billiger machen, entlasten wir die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur vergleichsweise kostengünstig, sondern fördern dazu auch noch eine gesunde Ernährung durch die gewonnene Lenkungswirkung."
Allerdings habe das Finanzministerium in Sachen Mehrwertsteuer den Hut auf. In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" machte Finanzminister Christian Lindner (FDP) klar, dass er von der Idee einer Lenksteuer oder einer ausgesetzten Mehrwertsteuer nichts halte. Stattdessen hat Lindner nun die Bevölkerung im ZDF auf eine "Phase der Entbehrung" eingeschworen.
Mit Blick auf Klimakrise, Agrar- und Energiewende dürfte diese Phase vor allem für Menschen in Armut lange andauern – es sei denn, die Politik nimmt sich der Thematik sozial-ökologische Wende tatsächlich an.