Schüler bei ihrer Abiturprüfung in der Aula ihrer Schule.Bild: dpa / Bernd Wüstneck
Analyse
In Bayern ist das Abitur besonders schwer, in Bremen besonders leicht, und wer das Abi in Baden-Württemberg nicht schafft, muss nur nach Hessen wechseln, um Klassenprimus zu werden: Es gibt viele Vorurteile über die Schulsysteme der einzelnen Bundesländer – und über das Abitur.
Mancher Schüler entschuldigt seine Leistung mit den Umständen im eigenen Bundesland. Manche Schülerin ist überzeugt, dass ihr Abitur mehr zählt, weil sie es eben nicht im Nachbarland gemacht hat, wo es vermeintlich leichter ist.
Ist der akademische Abschluss der Kinder also nicht nur vom Bildungsgrad der Eltern, sondern auch vom Wohnort abhängig? Haben es die Schülerinnen in Sachsen schwerer als die Schüler in Nordrhein-Westfalen? Und was soll das überhaupt mit diesem Flickenteppich?
Abitur: Das Problem der Chancengleichheit
Der Grund für das vermeintliche Durcheinander im Schulsystem ist der Bildungsföderalismus: Die Länder sind für das Schulwesen zuständig. Auch wenn der Bund in der Vergangenheit schon häufiger versucht hat, die Kompetenzen im Bildungsbereich zu verschieben. Diese Zuständigkeit wollen die Länder nicht aufgeben. Bei Landtagswahlen ist die Schulpolitik immer wieder Thema, denn noch immer knabbert Deutschland am Pisa-Debakel von 2000.
Ein klassischer Anblick zu Abiturzeiten: Viele Plakate und Transparente mit Glückwünschen für die Hochschulreife.Bild: Eibner-Pressefoto / Weber/ Eibner-Pressefoto
Der Pisa-Test ist ein internationaler Schulvergleich, der seit dem Jahr 2000 im dreijährigen Turnus stattfindet. Im ersten Jahr schnitten die deutschen Schülerinnen und Schüler schlechter als der Durchschnitt der Pisa-Länder ab – auffällig war damals der abzuleitende Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischem Erfolg. Seit dieser Erhebung ist der Kampfbegriff Chancengleichheit nahezu omnipräsent, wenn es um Bildungspolitik geht.
Chancengleichheit. Das bedeutet, dass jedes Kind die gleiche Chance bekommen soll, etwas aus seinem Leben zu machen. Bildungschancen. Karrierechancen. Völlig egal, welchen sozialen Background die Kinder mitbringen. Erreicht wurde diese Utopie bis heute nicht. Das zeigt ein Bericht der OECD aus dem Jahr 2018.
Eine an die Pisa-Studie 2000 angekoppelte Inlandsauswertung zeigte aber, dass es – zumindest damals – auch ein Gefälle unter den Bundesländern gab. Vorreiter: Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen. Nachzügler: Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bremen.
Chancengleichheit kann also auf zwei Ebenen gedacht werden: Gleiche Chancen für alle Kinder, egal aus welchem sozialen Milieu sie stammen. Und: Gleiche Chancen für alle Kinder, egal aus welchem Bundesland sie stammen.
Schließlich ist es auch unfair, wenn ein junger Mensch kein Abitur machen kann, weil er den Anforderungen in Bayern nicht gerecht wird – in Brandenburg aber bessere Chancen hätte.
Hochschulreife: Wie trotzdem Vergleichbarkeit geschaffen werden soll
Auf dem Weg zur Vergleichbarkeit hat die Kultusministerkonferenz (KMK) bereits 1972 den Grundstein gelegt. Damals wurde beschlossen, wie die gymnasiale Oberstufe gestaltet werden muss, um eine Hochschulzugangsberechtigung zu erhalten. Und wie das Notensystem auf das Punktesystem umgerechnet wird. Kurz: Es wurden erste gemeinsame Grundsätze geschaffen. Diese Vereinbarung wurde mittlerweile einige Male reformiert (beispielsweise mit der Einführung von G8 – also Abitur nach 12 Jahren).
Der Abiturjahrgang 2022 hat seine komplette Oberstufenzeit unter Coronabedingungen verbracht.Bild: dpa-Zentralbild / Robert Michael
G8 ist heute ein weiterer Faktor, der die Vergleichbarkeit erschweren könnte. Die meisten West-Bundesländer haben das verkürzte Schulsystem in den 2000er Jahren eingeführt – außer Rheinland-Pfalz (dort gibt es bisher nur Modellversuche). Viele Bundesländer sind mittlerweile allerdings wieder von G8 als alleinige Alternative abgerückt. Auch im Saarland wurde die Reform jüngst re-reformiert. Dort dauert der Weg zum Abi nun wieder regulär dreizehn Jahre. In den Ost-Bundesländern gibt es das Abitur schon seit der DDR nach zwölf Schuljahren.
Aus dem Bildungsministerium des Saarlandes heißt es auf watson-Nachfrage:
"Das Saarland war das erste Bundesland, in dem G8 am Gymnasium eingeführt wurde. Nun ist das Saarland eines der letzten westdeutschen Bundesländer, das G9 am Gymnasium wieder einführt. G8 am Gymnasium einzuführen, hat sich als Fehler erwiesen, den wir mit der neuen Regierung jetzt zügig korrigieren werden."
Mit dem Schritt zurück zu G9 solle den Schülerinnen und Schülern der Druck genommen und Zeit verschafft werden. Um die Wiedereinführung umzusetzen, werde es laut Ministerium, einen Beteiligungsprozess zu verschiedenen Aspekten geben – dabei soll auch die Landesschülervertretung mit einbezogen werden.
"Unser Ziel ist es, im Zuge der Reform ein gutes Gesamtpaket für die jeweiligen Schulformen zu schnüren", versichert das Ministerium. Klar sei aber auch, dass sich alle Schulabschlüsse im Saarland – auch das Abitur nach zwölf und 13 Jahren – im vereinbarten Rahmen der KMK lägen. Dadurch sei die Vergleichbarkeit gewährleistet.
Iryna Tybinka (M, l, hinten), Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg spricht auf der Kultusministerkonferenz.Bild: dpa / Christian Charisius
Mit gemeinsamen Standards zu gleichen Chancen
"So unterschiedlich, wie es immer heraufbeschworen wird, ist das Abitur in den 16 Ländern gar nicht", erklärt eine Sprecherin der KMK auf watson-Nachfrage. Wichtig für die Vergleichbarkeit sei, dass sich alle Bundesländer an die Rahmenvorgaben der Oberstufen und Abiturvereinbarung hielten. Inhaltlich müssten sie sich an den einheitlichen Prüfungsanforderungen (EPA) orientierten.
Um diese Fächer noch besser vergleichen zu können, sei 2017 ein gemeinsamer Abituraufgabenpool eingerichtet worden, sagt die Sprecherin. Aus diesem könnten sich alle Bundesländer bedienen, um die Abiturklausuren zusammenzustellen. Ab 2025 soll es den einheitlichen Aufgabenpool für weitere Fächer geben.
Die Frage, ob das Abitur in einem Bundesland schwieriger sei als in einem anderen, sei schwer zu beantworten. Das Vergleichen von Durchschnittsnoten helfe ebenfalls wenig, so die Sprecherin.
Und auch G8 und G9 hätten praktisch keine Auswirkungen auf die Abiturientinnen und Abiturienten – denn die Verkürzung der Schulzeit fände vor der gymnasialen Oberstufe statt. "Zudem muss in acht oder neun Jahren dieselbe Anzahl an Wochenstunden unterrichtet worden sein und es gelten dieselben Standards", fasst die Sprecherin der KMK zusammen.
Die Abituraufgaben kommen an allen Schulen in einem Umschlag.Bild: dpa / Sebastian Gollnow
Bildung: Hoheitsrecht der Länder
Der Bildungsföderalismus wird auch in Zukunft erhalten bleiben, dafür werden die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer mit Sicherheit sorgen. Auf watson-Nachfrage, was der Vorteil am föderalistischen Schulsystem sei, heißt es aus dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus:
"Der Föderalismus fördert den Ideenwettbewerb und die Ideenvielfalt in der Bildung. Es gilt, das hohe bayerische Bildungsniveau zu sichern, zu erhalten und auszubauen. "
Der Bildungsföderalismus trage dazu bei, den regional unterschiedlich gestaltenden Herausforderungen im Bildungsbereich zu begegnen. Gleichzeitig gehe man davon aus, dass Bildungszentralismus – also unter der Federführung der Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) – "fast zwangsläufig zum Qualitätsverlust führen" würde.
Eine komplette Zentralisierung sei mit allen Konsequenzen auch aus Sicht der KMK nicht erstrebenswert. Als Grund führt die Sprecherin die Zusammensetzung der Abiturnote an: Denn nicht nur die Prüfungen am Ende der Schulzeit zählen dort mit, sondern die letzten beiden Schuljahre. Die Abiprüfungen selbst machten nur ein Drittel der Note aus. Diese Komplexität schließe eine absolute Gleichheit unter den Bundesländern aus.
Die Sprecherin nennt ein mögliches Szenario für eine komplette Zentralisierung: Ein einheitliches Abitur, das möglicherweise auf einer Multiple-Choice-Prüfung basiert. Anonymisiert und zentral bewertet.
Sie fügt an:
"Dem liegt aber ein ganz anderes Bildungsverständnis zugrunde, das hierzulande keiner wirklich will."
Am Ende haben nicht Abtreibungen, der Klimawandel oder die Außenpolitik die US-Präsidentschaftswahl entschieden. Wichtigstes Thema waren die Inflation und die Preise. Für 34 Prozent der republikanischen Wähler:innen war es laut einer Umfrage von YouGov ausschlaggebend für die Wahlentscheidung.