Autobahnen mitten durch Naturschutzgebiete oder abgeholzte Wälder für den Ausbau von Straßen: Immer wieder kommt es zu fragwürdigen Aktionen zugunsten des Autos.
Die Antwort darauf, wie es dazu kommen konnte, ist nicht selten: Wurde so mal in einem Verkehrskonzept der Stadt oder der Kommune geplant – vor circa 20 Jahren.
Verständlicherweise hat sich innerhalb dieser langen Zeit etwas in der Gesellschaft verändert. Viele Aktivist:innen und Politiker:innen wollen schon lange weg von der autozentrierten Stadt. Doch es scheint, als würden Gemeinden und Städte eben diesen Fokus aufs Auto sogar unbewusst weiter befeuern: mit veralteten Mobilitätskonzepten.
Wieso werden diese alten Konzepte häufig trotzdem umgesetzt – und so selten überarbeitet?
Eine Gruppe, die etwas gegen dieses Phänomen tun möchte, sind Studierende der Hochschule Darmstadt, unter der Leitung von Jürgen Follmann. Er ist Verkehrswissenschaftler und Professor an der Hochschule Darmstadt. Bei der Forschungsgruppe können Kleinstädte und Gemeinden in Hessen ihre Mobilitätskonzepte freiwillig einsenden und auf Zukunftsfähigkeit prüfen lassen.
"Häufig werden Verkehrskonzepte aus der Schublade geholt, die vor vielen Jahren geplant und somit logischerweise auf das Auto optimiert wurden", erklärt Follmann im Gespräch mit watson.
Dabei würde selten bedacht werden, dass sich die Ansprüche an die heutige Mobilität verändert haben – dass Rad und der Fußverkehr beispielsweise in den Vordergrund gestellt werden sollten.
Weshalb so wenig Gemeinden und Städte ihre Mobilitätskonzepte überprüfen, erklärt sich Follmann so: "Das ist durchaus mit Aufwand verbunden. Es wird darauf verzichtet, wenn damit keine Vorteile verknüpft sind." Zudem hätte die Politik in den ländlicheren Gegenden und Kleinstädten häufig Sorge vor Veränderungen, da die Bürger:innen sich meist nicht so offensiv für Mobilitätsalternativen zum Auto einsetzen, wie in den Großstädten. Letztere seien deshalb in Deutschland nicht das größte Problem.
Was es bräuchte, wäre ein konkreter Anreiz für die Gemeinden und Kleinstädte, ihre Verkehrskonzepte überprüfen zu lassen. Etwa eine Kopplung an Fördergelder, sagt der Verkehrsplaner.
Eigentlich sollte der Trend zur sogenannten Road Diet gehen. Also eine Verschlankung der Straßen zugunsten von Fuß- und Radverkehr sowie den öffentlichen Verkehrsmitteln. Dagegen stemmen sich oftmals vor allem Gemeinden und Städte, die etwa von der Union oder der FDP (mit-) regiert werden. Wie die Stadt Berlin unter Christdemokrat Kai Wegner. Hier will Verkehrssenatorin Manja Schreiner (ebenfalls CDU) bereits geplante Radverkehrsprojekte stoppen und sogar zurückbauen lassen – sollte darunter auch nur ein einziger Parkplatz leiden müssen.
Doch nicht nur bewusst arbeiten Politiker:innen gegen den Ansatz Smart City, sondern auch unbewusst. Nämlich indem sie ihre Mobilitätskonzepte nach Jahren nicht noch einmal überdenken und prüfen lassen, sondern sie einfach umsetzen.
Wie das passieren kann, erklärt Follmann so:
Bis dahin seien solche Konzepte bereits mehrfach von der Realität und neuen Verkehrsmitteln überholt, die zu dem Zeitpunkt noch gar nicht vorhanden waren und somit nicht mitbedacht wurden.
Da stellt sich erst recht die Frage: Warum werden die Konzepte nicht nochmal neu geplant, wenn sich die Begebenheiten ändern? "Weil das typisch Deutsch ist", kommentiert der Verkehrsplaner. Alles sei rechtlich geregelt, daran werde sich gehalten.
Dabei bestehe bei der Umsetzung durchaus Spielraum in den genehmigten Grenzen. Die konkrete Ausgestaltung, wie etwa die Aufteilung der Fahrbahn durch Markierung, sei immer anpassbar. Abweichungen vom Plan seien zumindest in der Theorie jederzeit möglich, betont Follmann. In seinen Augen fehlen oft Pragmatismus und Mut für Veränderungen.
Zudem werde alles mit dem Straßenverkehrsgesetz begründet – das übrigens selbst aus den 50er Jahren stammt.
Laut dem Trendforschungsunternehmen Zukunftsinstitut erhöht der Rückbau von autozentrierten Städten die urbane Lebensqualität. Sprich: Lebens-, Wohn- und Arbeitsräume werden attraktiver und verschmelzen miteinander. Sie werden zur Smart City.
Als Blaupause können Paris und Mailand angesehen werden. Sie haben proaktiv und radikal die menschenzentrierte Stadt vorangetrieben. Paris wird auch die "15-Minuten-Stadt" genannt – das, was deutsche Städte, wie Hamburg, gerne wären. Dort versucht der Senat schon jahrelang, eine solche Stadt der 15 Minuten zu errichten. Eine Stadt, in der alle Dienstleistungen, Arbeitsmöglichkeiten oder Grünanlagen innerhalb von einer Viertelstunde zu Fuß oder per Rad zu erreichen sind.
Was ebenfalls für eine Modernisierung der Verkehrskonzepte spricht: Veraltete Infrastrukturen sind oftmals der Grund für Unfälle.
Nach und nach würden laut Follmann die Themen aus den Großstädten auch in den Kleinstädten ankommen – dann könnten endlich auch veraltete Verkehrskonzepte angepasst werden. Einen kleinen Wermutstropfen hätte das Verkehrsministerium vor einigen Jahren jedoch bereits auf den Weg gebracht: Die Verkehrssicherheit konnte früher nur bei einer neuen Straßenplanung geprüft werden. Seit 2019 ist dies auch für die Bestands-Infrastruktur möglich.
Von der Politik müssten dennoch mehr Freiheiten kommen, fordert der Verkehrsexperte. Es gebe keinerlei Fehlertoleranz für neu gedachte Konzepte.
Vor allem aber müsste es eine solche Stelle, wie sie die Hochschule Darmstadt ins Leben gerufen hat, um Verkehrskonzepte zu optimieren, in der Bundesregierung geben, betont Follmann.
Follmann vermutet jedoch auch: Aktuell würden die letzten veralteten Verkehrskonzepte umgesetzt. "Aus unserer heutigen Gesellschaft heraus wird so etwas wie vor 20 Jahren nicht mehr geplant und umgesetzt werden."