Janine Wissler soll Hinweise auf genzüberschreitendes Verhalten ignoriert haben – sie bestreitet dies. Bild: dpa / Christoph Soeder
Analyse
Der MeToo-Skandal in der Linken zieht immer weitere Kreise. Mittlerweile haben sich nach Angaben der Bundessprecherin der parteinahen Linksjugend, Sarah Dubiel, zahlreiche Betroffene gemeldet.
Die Vorwürfe grenzüberschreitenden Verhaltens betreffen laut der Beauftragten für Awareness auch mehrere Bundespolitiker und verschiedene Landes- und Stadtverbände.
Die Linke Bayern
Dazu zählt auch die bayerische Linke. Die dortige Linksjugend fordert den Landessprecher Ates Gürpinar und die Landessprecherin Kathrin Flach Gomez auf, "Konsequenzen zu ziehen".
Der bayerische Jugendverband schreibt:
"Auch in Bayern existiert ein System von Täterschutz in der Linkspartei. Öffentlich darüber geredet werden kann durch den Druck von Parteifunktionäre auf Betroffene und ihre Unterstützer:innen aber kaum."
Mit Verweis auf mögliche rechtliche Konsequenzen werden keine Details genannt.
Die Linke Hessen
Vorwürfe gegen Janine Wissler. Bild: imago images / imago images
In der vergangenen Woche hatte der "Spiegel" über Vorwürfe von Machtmissbrauch und sexueller Belästigung in der hessischen Landespartei berichtet. Konkret geht es dabei unter anderem um das Verhältnis des Linken-Kreisvorstandsmitgliedes Adrian G. zu einer damals minderjährigen Parteigenossin.
Die langjährige Fraktionsvorsitzende der Linken und heutige Bundesvorsitzende Janine Wissler war zu dem Zeitpunkt mit Adrian G. liiert. Die betroffene junge Frau wirft Wissler vor, ihre Hilfegesuche ignoriert zu haben.
Wissler bestreitet die Vorwürfe, sie hätte schon früh von den Vorfällen gewusst und sei nicht tätig geworden. "Es gibt nichts, was das belegt, weil es nicht so war. Hätte ich Kenntnis von derartigen Vorwürfen gehabt, wäre ich tätig geworden. Und ich bin sofort tätig geworden, als ich davon erfahren habe", heißt es in einer Stellungnahme.
Mittlerweile kursieren Screenshots, die ein internes Schreiben der hessischen Linken-Funktionärin Gabi Faulhaber an die Mitglieder zeigen soll. Die ehemalige Landtagsabgeordnete schreibt darin, die Vorwürfe beruhten "vor allem auf Gerüchten, Weitersagen und unkonkreten Aussagen".
Vorwürfe sexueller Übergriffe seien immer ein ernstes Problem. Die Beweiskraft sei "ebenfalls immer schwierig". Eine "Hetzjagd" auf Genossen aufgrund von Gerüchten dürfe es nicht geben.
Die Linke Hessen hat mittlerweile erklärt, man weise den Vorwurf des Täterschutzes zurück. "Es sind Gesprächsangebote an Betroffene unterbreitet und ein umfangreicher Verhaltenskodex beschlossen worden." Man werde einen Workshop zum Thema Sexismus-Sensibilisierung organisieren.
Die Linke Wiesbaden
Bereits Anfang März gab es Berichte über Metoo-Fälle in der Linken Wiesbaden. Zwei junge Frauen behaupten, von Parteimitgliedern sexuell belästigt worden zu sein, berichtete die "Frankfurter Rundschau".
Später kam es vor dem Büro des Landesvorstands der Linken Hessen im Gewerkschaftshaus in Frankfurt zu einer Demonstration, um den Parteivorstand zu einer Aufarbeitung der Vorfälle zu bewegen.
Die örtliche Linksjugend stellte sich dem Bericht zufolge allerdings vor die Beschuldigten: "Es gibt keine Beweise und wir haben nichts dergleichen mitbekommen", werden zwei Mitglieder zitiert.
Vorwürfe gegen Bundespolitiker
Zu den Namen, die im Zusammenhang mit #Linkemetoo aus internen Kreisen genannt werden, gehört auch der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm. Details wurden vorerst nicht genannt. Dehm ging kürzlich auf Facebook in die Offensive.
Es werde "fieberhaft daran gearbeitet, wie man die Schuld an den sexuellen Übergriffsberichten den alten weißen Männern, Oskar Lafontaine, Hans Modrow etc. zuschieben" könne.
Ohne einen konkreten Namen zu nennen, schildert ein junges Parteimitglied seine Erfahrungen mit einem Bundestagsabgeordneten der Linken:
"Auch ich wurde 2018 von einem Bundestagsabgeordneten der Linken sexuell belästigt. Mitglieder der Partei sagten mir damals, ich solle das niemanden erzählen. Inzwischen ist die Antragsfrist abgelaufen, wenn ich den Namen nenne, gehe ich Gefahr ein, ebenfalls verklagt zu werden."
Unterstützung aus der Parteispitze
Währenddessen sorgen auch Aussagen des Leiters Öffentlichkeitsarbeit der Linken, Thomas Lohmeier, für Irritation.
Lohmeier spricht von einer "Kampagne gegen Janine Wissler".
Auch Daphne Weber, Mitglied im Parteivorstand der Linken, verteidigt Janine Wissler vor Vorwürfen des Täterschutzes:
"Erschrocken sehe ich, wie manche den Fokus komplett weg von den Tätern auf Janine Wissler lenken, die sich immer für Aufarbeitung im PV & Hessen eingesetzt hat. Dafür, dass statt der Täter nun eine Frau büßen soll, habe ich nicht gekämpft. Es ist Teil des Problems: Sexismus."
In einem offenen Brief fordert der Bundesverband der Linksjugend den Rücktritt aller beteiligten Personen und derjenigen, die parteiintern Täterschutz betrieben hätten. In dem Schreiben heißt es:
"Die Geschehnisse reichen von Sexismus und verbaler Übergriffigkeit bis hin zu sexualisierter Gewalt und der Deckung dieser Taten durch Mitarbeiter:innen, Mandatsträger:innen und Vorstände durch die unterschiedlichen Ebenen sowie Strukturen der Partei DIE LINKE. Diese Zustände konnten nur durch Klüngel und Männerbünde aufgebaut und erhalten werden. Verbündete werden bei Vorwürfen geschützt, um die eigene Machtposition zu erhalten."
Weitere Landesverbände
In den kommenden Wochen dürfte das Thema die Linke weiter beschäftigen. Die Awareness-Beauftragte der Linksjugend, Sahra Dubiel, erwähnt noch weitere Landesverbände, ohne konkrete Details zu nennen:
Für die Partei kommt die Debatte zu einer Zeit schlechter Umfragewerte und interner politischer Querelen. In zwei Monaten dürften die Vorwürfe auf großer Bühne ausgetragen werden: Ende Juni findet der Bundesparteitag in Erfurt statt.
Zum Weiterlesen: #linkemetoo: Vorwürfe sexualisierter Gewalt bei Linke in Hessen – Vorsitzende reagiert
Vor Parteitag in Erfurt: Die außenpolitische Sinnkrise der Linken
Der ewige Wunsch nach Frieden: Was sollen eigentlich Ostermärsche und was hat das mit heute zu tun?
Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) muss letzte Woche im Bundestag wohl eine große Enttäuschung gewesen sein. Er hatte sich auf eine Debatte mit seinem Erzfeind und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingestellt. Dieser fehlte aber spontan aufgrund eines Defekts an einem Regierungsflugzeug und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) musste für ihn einspringen.