Die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat nach langanhaltender Kritik ihren Dienst quittiert – sie ist nicht die erste, die den Bendlerblock frühzeitig wieder verlässt.Bild: dpa / Michael Kappeler
Analyse
17.01.2023, 07:5017.01.2023, 08:01
Nach Monaten der anhaltenden Kritik hat Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Reißleine gezogen. Sie will nicht mehr, hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) um ihre Entlassung gebeten. Der Grund, den Lambrecht für den Schritt nennt:
"Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu."
Statt ihr sollte aber die Arbeit der Soldat:innen im Vordergrund stehen, findet sie. Die Ex-Ministerin hat also Konsequenzen gezogen – um die Truppe, um sich und um die Koalition und ihre Partei zu schützen.
Nach Grünen-Ministerin Anne Spiegel ist Christine Lambrecht das zweite Kabinettsmitglied, das Kanzler Scholz entlässt.Bild: AP / Markus Schreiber
Die Sozialdemokratin ist aber nicht die Erste, die das Amt im Bendlerblock, dem Dienstsitz des Verteidigungsministeriums, vorzeitig aufgibt – und danach womöglich in der Versenkung verschwindet. Vielmehr ist das Verteidigungsministerium eine Art Schleudersitz. So zumindest macht es den Anschein.
Doch von vorne: Was ist mit Lambrechts Vorgänger:innen passiert?
Eine skeptische Truppe trifft auf häufig wechselnde Minister
Insgesamt acht Verteidigungsminister:innen hatte die Bundesrepublik in diesem Jahrtausend – und gerade in den Merkel-Jahren (2005-2021) hielten sich nicht alle an die regulären vier Jahre einer Legislaturperiode. Auch das Wirken hielt sich in Grenzen. Einer der Gründe, weshalb der Bundestag ein 100-Milliarden-Sondervermögen locker machen musste, war schließlich der desolate Zustand der Armee.
Annegret Kramp-Karrenbauer und Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr, am Volkstrauertag.Bild: imago images / Christian Spicker
Da war zum Beispiel Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die Vorgängerin Lambrechts. Sie übernahm den Posten 2019 von Ursula von der Leyen (CDU), als diese in die Europapolitik wechselte. Kramp-Karrenbauer übernahm den Laden bereits in einer angespannten Lage.
Von der Leyen (2013-2019) hatte der Truppe ein Haltungsproblem vorgeworfen. Als Reaktion auf die Enttarnung des Terroristen Franco A. hatte die damalige Verteidigungsministerin Probleme innerhalb der Bundeswehr adressiert. Und dieser Generalverdacht hatte die Soldat:innen vom Bendlerblock entfremdet.
Kramp-Karrenbauer hat also ein Wespennest übernommen. Und dann selbst hineingestochen. Wie der Bundeswehrverband kritisiert, war die CDU-Frau nämlich vor allem eins: unberechenbar. Trotzdem, stellt der Verband klar, hätte Kramp-Karrenbauer die richtigen Themen gesetzt. Der größte Verdienst: Kramp-Karrenbauer habe die Bundeswehr wieder sichtbar gemacht.
Nach ihrer Zeit als Verteidigungsministerin hat Kramp-Karrenbauer der Bundespolitik den Rücken gekehrt. Nach der verpatzten Bundestagswahl 2021 gab sie ihr Mandat freiwillig an eine jüngere Politikerin ab. Ursula von der Leyen hingegen verabschiedete sich mitten in der Legislaturperiode nach Brüssel. Sie wurde dort zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt.
Der Ton macht die Musik – doch die Politik trifft ihn nicht
Neben der Entfremdung hat von der Leyen vor allem die Finanzierung der Truppe angepackt. Die Ausgaben des Wehretats stiegen unter der CDU-Frau um knapp ein Drittel. Und ihr sicherheitspolitisches Engagement auf europäischer Ebene hat ihr nicht zuletzt bei der Wahl zur Kommissionspräsidentin nicht geschadet.
Ursula von der Leyen war die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums.Bild: dpa pool / Michael Kappeler
Auch von der Leyens Vorgänger, Thomas de Maizière (CDU, 2011-2013), hatte es sich mit der Truppe verscherzt. Zwar stellt er die Soldat:innen nicht unter Generalverdacht, dafür warf er ihnen öffentlich vor, zu sehr nach Anerkennung zu gieren. Das kam nicht gut an. Die Truppe warf dem Minister daher vor, sich nicht hinter sie zu stellen. Nach nur zwei Jahren wechselte de Maizière, in dessen Amtszeit die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, an die Spitze des Innenministeriums.
Weniger sanft ist de Maizières Vorgänger gelandet. Nach nur zwei Jahren auf dem Posten des Verteidigungsministers flog der CSU-Politiker Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg erst auf und dann raus. Er hatte bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Die Plagiatsaffäre war es, die ihm Ministerposten und Bundestagsmandat kostete. Ganz raus ist der Schummel-Minister aber trotzdem nicht, seit 2011 berät der CSU-Mann die EU-Kommission.
Zwei Jahre war Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Verteidigungsminister.Bild: imago stock&people / Sammy Minkoff
Aber nicht, ohne vorher die Bundeswehr "zu zerstören". So drückt es zumindest der frühere CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe (1992-1998) aus. In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" erklärte der Ex-Minister 2019, die CSU habe in puncto Bundeswehr einiges gut zu machen. Zu Guttenberg habe zu viel Geld eingespart, statt es in die Truppe zu investieren. Gleichzeitig habe er zwar das Ende der Wehrpflicht vorbereitet, aber nicht darüber nachgedacht, wie in Zukunft Personal zur Truppe kommen soll, lautet das vernichtende Urteil.
Auch zu Guttenbergs Vorgänger stolperte, allerdings nicht über das geistige Eigentum von anderen, sondern über die eigene Unehrlichkeit. Ganze vier Jahre war Franz Josef Jung (CDU, 2005-2009) Verteidigungsminister – so weit, so normal. Nach der Wahl 2009 wechselte er an die Spitze des Arbeitsministeriums. 33 Tage später musste er zurücktreten. Der Grund: Er hat die Auswüchse eines Desasters beim Bundeswehreinsatz in Afghanistan verschwiegen.
Konkret ging es um den Luftangriff bei Kundus, bei dem durch die deutsche Bundeswehr neben Taliban auch zahlreiche Zivilisten starben. Jung wurde damals vorgeworfen, Parlament und Öffentlichkeit unvollständig und zu spät über die Tötung von Zivilisten informiert zu haben.
Lambrecht reiht sich also ein in die Liste der Politiker:innen, die über das Amt an der Spitze der Bundeswehr gestolpert sind. Wie es für die SPD-Frau weitergehen wird, wird sich zeigen. Klar ist aber, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) nun unter Druck steht – denn gerade jetzt, wo Krieg in Europa herrscht, rückt das Verteidigungsministerium in den Fokus. Da wäre es wünschenswert, wenn die Lambrecht-Nachfolge nicht auch vom Sitz geschleudert wird.
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