Sieben-Tage-Inzidenzen im hohen dreistelligen Bereich. Überfüllte Clubs, Bars und Restaurants. Eine fallende Maskenpflicht, wie etwa an Schulen in Mecklenburg-Vorpommern. Wie passt das zusammen? Junge Menschen mussten in den vergangenen Jahren auf vieles verzichten. Sie wollten die Älteren in der Corona-Pandemie bestmöglich schützen, blieben zu Hause, vermieden Kontakte.
Mit den steigenden Temperaturen steigt auch die Veranstaltungsdichte und die Lust vieler – vor allem junger – Menschen, sich zu verabreden und wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Wenn es nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gegangen wäre, wäre jetzt die ältere Generation dran gewesen, Solidarität zu zeigen. Mit der Impfpflicht ab 60 Jahren. Doch die ist vorerst gescheitert.
Vor einigen Wochen warnte Lauterbach bereits davor, dass dieser Sommer nicht so unbeschwert werden könnte, wie die letzten beiden Jahre. Und auch auf dem "Ludwig-Erhard-Gipfel" in Gmund am Tegernsee betonte Lauterbach vergangene Woche, dass wir keinen "coronafreien" Sommer haben werden. Spätestens im Herbst werde man mit einer neuen, noch aggressiveren Variante des Corona-Virus rechnen müssen.
In diesem Fall müsse über neue Maßnahmen gesprochen werden. Doch es wird schwer werden, die jungen Menschen zu motivieren, diese noch mitzutragen, wie Lauterbach Mitte April bei einem "taz"-Talk sagte.
Darüber, wie junge Menschen zum Mittragen einer neuen Runde von Corona-Maßnahmen motiviert werden sollen, wird nicht diskutiert. Noch nicht.
watson hat Bundestagsabgeordnete, etwa aus dem Gesundheitsausschuss, und Jugendforscher Klaus Hurrelmann gefragt, wie sie junge Menschen dazu bewegen wollen, sich wegen Corona wieder mehr einzuschränken – wenn denn neue Regeln kämen. Sind Entschädigungen eine Option?
Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, rät gegenüber watson, "die Lage genauestens zu beobachten".
"Junge Menschen gehören zu den Verlierern dieser Pandemie. Es ist nachvollziehbar, wenn sie der Corona-Maßnahmen überdrüssig sind", sagt sie. Allerdings hätte sich die Krankenhaus- und intensivmedizinische Belastung von den Infektionszahlen aufgrund der milden Omikron-Verläufe entkoppelt. Man befände sich auf dem Weg in eine Endemie, sagt Aschenberg-Dugnus. Und man müsste "lernen, mit dem Virus zu leben".
Sie sagt:
Anders sieht es der Sozial- und Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann, der als Professor of Public Health and Education an der Hertie School in Berlin lehrt.
In seiner Studie "Jugend in Deutschland", die er gemeinsam mit Jugendforscher Simon Schnetzer im Oktober 2021 durchgeführt hat, belegt er, dass die Mehrheit der unter 30-Jährigen in Deutschland nach wie vor vorsichtig und kontrolliert mit der Corona-Pandemie umgeht. Auf Anfrage von watson sagt Hurrelmann: "Es fallen natürlich diejenigen auf, die alle Vorsichtsmaßnahmen fallen lassen und in die Clubs gehen, aber das ist nicht die Mehrheit."
Weiter sagt er:
Die junge Generation hätte sich, wie auch Hurrelmanns Studie belegt, bisher umsichtig verhalten. Das werde auch weiterhin so bleiben, sagt er.
Johannes Wagner, Abgeordneter der Grünen und Mitglied im Gesundheitsausschuss, ist ebenfalls der Meinung, dass sich die junge Generation während der Pandemie mehrheitlich vorbildlich verhalten hat.
Nach zwei Jahren Entbehrungen sei es verständlich, dass viele Menschen nun wieder an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnehmen wollen. Allerdings betreffe das nicht nur die Jugend. "Ich finde, wir sollten aufhören, hier zwischen den Generationen aufeinander zu zeigen", sagt Wagner gegenüber watson.
Vielmehr sei es wichtig, dass alle verantwortungsvoll mit der Situation umgingen. Dazu gehöre "ganz zentral auch, sich impfen zu lassen", um die nächste Welle und deren Folgen für das Gesundheitssystem möglichst kleinzuhalten. "Als Bundesregierung werden wir daher auch weiter für die Impfung werben."
Von einer Entschädigung nur für die junge Generation würde Wagner absehen. "Schließlich können die Entbehrungen jedes Einzelnen während der Pandemie nicht allein am Alter festgemacht werden", sagt er.
Auch Erwin Rüddel, CDU-Politiker und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, ist der Meinung, dass Entschädigungen nur für eine bestimmte Gruppe zu Ungerechtigkeiten führen könnten.
Die gesamte Gesellschaft habe in der Corona-Pandemie viele Einschränkungen hinnehmen müssen, sagt er auf Anfrage von watson. "Ich denke nicht, dass wir jede Gruppe anhand ihrer persönlichen Einschränkungen angemessen entschädigen können."
Rüddel schlägt stattdessen ein Soziales Jahr für alle vor. Dies könnte für mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft sorgen, sagt er.
Anderer Meinung ist Kathrin Vogler, Linken-Politikerin und Mitglied des Gesundheitsausschusses. Sie sieht Entschädigungen für junge Menschen als Anreiz, neue Maßnahmen im Herbst mitzutragen.
Doch zunächst sei es die Aufgabe der Politik, vorausschauend zu handeln, sodass neue Einschränkungen im Herbst erst gar nicht notwendig werden, sagt sie gegenüber watson. Dafür sei es notwendig, die Impflücke vor allem bei den Älteren zu schließen und entsprechende technische Vorbereitungen zu treffen.
Vogler denke dabei an Luftfilter in Bildungseinrichtungen und Hygienekonzepte für Freizeit- und Sportveranstaltungen sowie ausreichende PCR-Testkapazitäten, um weitere Einschränkungen zu vermeiden.
Sie sagt:
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Dirk Wiese, sieht einen großen Teil der Solidarität für die Mitmenschen bei der jungen Generation. Sie hätten die Einschränkungen mitgetragen, sagt Wiese auf watson-Anfrage.
Trotzdem hätten man sie nicht aus den Augen verloren in dieser Zeit, sondern Ausnahmen bei Kontaktbeschränkungen geschaffen.
Wiese sagt:
Dabei denke er vor allem an die Impfstoffverteilung. Man solle nicht länger auf "den letzten 60-Jährigen warten, der sich impfen lässt", bevor man impfwillige 17-Jährige berücksichtige.
Der Verzicht während der Corona-Maßnahmen sei für viele junge Menschen schmerzlich gewesen. "Der Freiheit eines jungen Menschen kann kein Geldwert beigemessen werden", sagt Wiese. Was der Staat aber machen könne, sei Jugendlichen dabei zu helfen, fit für die Zukunft zu sein.
Wiese schlägt konkret Nachhilfe für junge Kinder vor und befürwortet das Wahlrecht ab 16 Jahren. "Ich würde junge Menschen auch gerne zum Teil der Lösung machen, damit sie da helfen können, wo es anderen schlecht geht", sagt er.
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