Michael Biel (SPD) ist seit 2021 Staatssekretär für Wirtschaft in der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.Bild: watson / laura czypull
Interview
24.03.2024, 14:1824.03.2024, 15:11
watson: Herr Biel, was verstehen Sie unter nachhaltigem Leben?
Michael Biel: Das hat viele Dimensionen. Es geht darum, ökologische und soziale Standards einzuhalten und zum anderen, dass man das nicht allein angeht, sondern branchenübergreifend voneinander Dinge lernt und zusammen bewegt.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn man den Mittelstand und Start-ups miteinander vernetzt, merkt man, wie viel Wissen bereits vorhanden ist. Und wenn dort Kooperationen entstehen, kann auch beispielsweise das Thema Kreislaufwirtschaft viel effektiver angegangen werden.
Also sehen Sie sich als Netzwerker?
Neben klassischer Wirtschaftspolitik ist genau das unser Job: ein Scharnier zu sein, Türen zu öffnen und Menschen zusammenzubringen.
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Beim Besuch des Impact Hub Berlin vergangenes Jahr haben Sie gesagt, Sie wollen Berlin zur Hauptstadt für nachhaltiges Wirtschaften machen und damit auch bundesweit ein Vorbild sein. Wie wollen Sie das erreichen?
Wir haben vier Leitsätze dafür erarbeitet. Einer davon ist: Wir machen Berlin klimaneutral. Darunter sammeln wir alle Förder- und Beratungsstrukturen, die wir haben – und die in Planung sind. Wir fördern zum Beispiel mit einem Investitionsbonus Unternehmen zusätzlich, die in Klimaschutzmaßnahmen investieren. Berlin hat das Potenzial, zur Blaupause für Deutschland und Metropolen auf der ganzen Welt zu werden.
Aber in Berlin läuft auch vieles schlecht.
Wir sind in vielem Vorreiter: einen Forschungs- und Wissenschaftsstandort, um den uns viele beneiden, mit einer starken Verzahnung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft und ein Startup-Ökosystem, das deutschlandweit einzigartig ist, wenn nicht europaweit. Wir haben in Verbindung mit dem Mittelstand und denen, die sich auf den Weg machen, Industrie 4.0 neu anzugehen, gute Chancen.
Wirklich Menschen- und Start-up-freundlich ist Berlin trotzdem nicht. Wie soll denn eine Stadt, die in Verkehr erstickt, einen der schlechtesten Luftwerte Deutschlands und ein Flächenproblem an allen Ecken hat, neue Menschen anziehen?
Berlin ist in den letzten Jahren weiter gewachsen, die Stadt zieht Menschen von überall an. Den Ruf Berlins empfinde ich nicht so kritisch wie Sie.
Ach ja?
Ja. Was nicht bedeutet, dass wir keine Aufgaben haben. Klar, die Probleme, die Sie ansprechen, gibt es. Aber die Stadt ist gebaut, wie sie ist, und sie muss an vielen Stellen weiterentwickelt werden. Da spreche ich vom laufenden Ausbau von Fahrradwegen und des Öffentlichen Nahverkehrs, der Elektrifizierung von Fahrzeugen und vom Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. Wir sind auf einem guten Weg. Dabei bringt es aber nichts, nur zu beklagen, dass alles schlecht ist. Wir müssen noch mehr ins Umsetzen kommen.
Reagiert die Berliner Politik dabei nicht zu spät?
So ein Wandel braucht Zeit und erfährt ja auch viel Gegenwind, auch aus der Zivilgesellschaft, zum Beispiel bei der Frage Fahrradwege gegen Parkplätze. Dazu kommt ein enormer Finanzierungsbedarf. Es sind viele Stellschrauben zu drehen und die Akteure, wir und die Bezirke, wollen daran auch drehen. Mut ist in der Politik sehr wichtig. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass das nicht in unserer Legislatur abgeschlossen wird.
Wir haben in Deutschland, insbesondere Berlin, ein Jahr der Großereignisse. Anfang des Jahres fand zum Beispiel die Berliner Fashion Week statt. Inwiefern tragen solche Events zur Nachhaltigkeitsentwicklung bei?
Die Berliner Fashion Week hat sich vor zwei Jahren auf einen neuen Weg gemacht. Sustainable Fashion, junge Talente und Diversität stehen jetzt im Mittelpunkt. Das unterscheidet uns auch von allen anderen Modestandorten der Welt. Das Land Berlin unterstützt die Fashion Week auch mit vier Millionen Euro im Jahr, wobei wir uns auf die Förderung von Nachwuchs konzentrieren. Die Welt wird aufgrund des nachhaltigen Fokus gerade auf die Berliner Fashion Week aufmerksam.
Geballte Prominenz in der Front Row bei Marc Cain: Jana Ina (v.l.) und Giovanni Zarrella mit Frauke Ludowig und Tochter Nele.Bild: imago images / Future Image
Derzeit gibt es aber auch eine Debatte über die Bewerbung Berlins für die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2036.
Auch das ist eine Chance für uns als Großstadt. Es ist alles eine Frage der Ausgestaltung. Zum Beispiel können Gebäude, die wir haben, genutzt werden. Es müssten keine neuen gebaut werden, auch unser Verkehrsnetz ist bestens ausgebaut. Im Anschluss profitieren langfristig auch Sportvereine in Berlin von diesem Großevent, wenn dadurch ein Gebäude saniert oder auf einem anderen eine Solar-Anlage installiert wurde. Sport verbindet Menschen. Wenn so viele in Berlin im Sinne der Nachhaltigkeit zusammenkommen, wäre das ein tolles Bild.
In Berlin regiert die GroKo aus CDU und SPD. Wäre ein Bündnis mit den Grünen und Linken nicht förderlicher gewesen für das Klima?
Wir hatten beides in der Praxis. Sieben Jahre Rot-Grün-Rot, jetzt Schwarz-Rot. Ich sage es am Beispiel des Bezirks Schöneberg in Berlin: In sieben Jahren grüner Führung ist ein Radweg gebaut worden. Eine grüne Philosophie zu haben, reicht nicht, man muss es auch umsetzen. Mit Schwarz-Rot sind wir eine relativ junge Regierung. 2026 können wir Bilanz ziehen: Sind Radwege gebaut worden oder nicht?
Und, sind Sie zuversichtlich?
Ja. Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart. Es wäre abwegig zu glauben, dass eine Metropole wie Berlin mit fast vier Millionen Menschen dieses Thema ausklammern kann.
Sie meinten beim Sommer der Staatssekretäre, dass "Made in Berlin" der neue Goldstaub werden soll. Was ist Ihr Traum für diese Stadt?
Ich versuche es am Beispiel der Mode, anknüpfend an die Berlin Fashion Week – das lässt sich aber auf alle Industriezweige übertragen: Die Modeindustrie ist noch eine der klimaschädlichsten Industrien der Welt. Wir setzen hier in Berlin aber sehr stark auf Nachhaltigkeit bei Material und Lieferketten. Wenn Berlin es also schafft, zur Blaupause zu werden, damit Mode nachhaltig produziert werden kann, dann ist das mein Goldstaub.
Mode könnte also der Hebel sein, damit Menschen nicht immer so schlecht von Berlin denken?
Das ist ein Beispiel, und derer gibt es mehr. Wir alle können dazu beitragen, indem wir auch aussprechen, wenn etwas gut läuft.
Aber wieso schafft es Berlin denn nicht, dass das auch in den Köpfen der Menschen im Rest von Deutschland ankommt?
Weil wir es gewohnt sind, selbst von Berlin immer nur schlecht zu reden. Wir denken immer alle nur an die fehlenden Termine beim Bürgeramt, dabei geht das viele Gute aber unter.
Zum Beispiel?
Berlin und Brandenburg als Metropolregion heben das durchschnittliche Wachstum der Bundesrepublik. Vor zehn Jahren hätte man sich das nicht vorstellen können. Wir müssen unser Potenzial weiter nutzen. In zehn Jahren wird Berlin Innovationsstandort Nummer eins in Europa sein, da bin ich mir sicher. Wenn wir es schaffen, so mutig zu sein wie in der Mode hier in Berlin und diesen Geist auf andere Wirtschaftszweige übertragen, können wir noch viel mehr schaffen.
Berlin wurde in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum prognostiziert, dem Rest der Republik allerdings eine Schrumpfung. Warum wird diese Entwicklung nicht besser genutzt?
Auf den Wirtschaftsstandort Berlin wird mittlerweile ganz anders geschaut. Allein in den vergangenen zwei Jahren konnten wir 140 neue Unternehmen in Berlin ansiedeln. Zeitgleich sind hier 85.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Beim BIP pro Kopf liegen wir im ersten Drittel der Bundesländer. Berlin ist ein Zugpferd, das benennen wir auch deutlich. Es wird gesehen, dass wir das Wachstum mit Brandenburg zusammen antreiben. Nicht nur durch die Tesla-Ansiedlung ist Brandenburg einen Riesen-Schritt nach vorne gegangen.
Was nachhaltig natürlich ein Riesen-Schritt zurück war.
Wobei hier keine Verbrennermotoren verbaut werden.
Der Elektro-Auto-Bauer Tesla bekommt für seine Fabrik in Brandenburg viel Kritik ab.Bild: imago images / Rainer Weisflog