Keine neuen Radwege mehr für Berlin. Es ist eine Nachricht, die nicht nur die Radlobby sauer macht, sondern auch die Grünen und die SPD auf die Barrikaden treibt.
Denn mit diesem Vorhaben macht sich Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) nicht besonders beliebt. Vergangene Woche ließ sie in einer E-Mail an die Bezirke mitteilen, dass nahezu alle Radprojekte gestoppt werden sollen.
"Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen", hieß es darin. Das CDU-geführte Verkehrsministerium bekundete die Sorge, es könnten Parkplätze wegfallen.
Indes rühmte sich Berlins Bürgermeister und CDU-Mann Kai Wegner vor Kurzem auf der Re:publica-Messe in Berlin noch als "Hochtechnologiestandort" und "Smart City" Berlin.
Man muss ihm zwar ehrlich zugestehen, dass er auch zugegeben hat, dass die Politik – seine Politik – noch ordentlich was anzupacken hat, Schuld sei allerdings die Vorgängerregierung.
Entscheidungen seines Senats, wie der Stopp der Radweg-Projekte, senden allerdings gegensätzliche Signale. Wie passt das zu Berlins Strategie, eine Smart City werden zu wollen?
Berlin liegt im bundesweiten Vergleich auf Platz 13. International sogar weit abgeschlagen nur auf Platz 33. Dass sich das so schnell ändern wird, daran glaubt Zukunfts- und Mobilitätsforscher Stefan Carsten vom Zukunftsinstitut in Berlin nicht. "Im internationalen Vergleich wird Berlin weiterhin abgehängt, weil die Politik nicht versteht, wie man die Stadt in die Zukunft entwickeln kann", sagt er im Gespräch mit watson.
Das Konzept der Smart City verfolge den Ansatz, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Kurz gesagt: Eine Stadt soll effizienter werden. Das werde dann kombiniert mit den Menschen, der gebauten Umwelt und Technologie.
Was die Regierung in Berlin jedoch falsch verstanden habe, betont Carsten, sei das Thema Digitalisierung. Das habe nämlich erst im zweiten Schritt etwas mit Smart City zu tun. "Das kann mit Technologie als Instrument verbessert werden, aber viele Ziele haben nichts mit Technologie zu tun."
Bisher hätten das allerdings nur die wenigsten Menschen verstanden. Deshalb auch der traurige Rückschluss von Carsten: "In Deutschland gibt es keine Smart Citys."
Viele Entscheidungsträger:innen in Deutschland würden immer noch glauben:
Beispiele für eine echte Smart City Berlin wären: der Ausbau der Radwege und des öffentlichen Nahverkehrs, Bäume pflanzen gegen die steigenden Temperaturen im Sommer, Wasserrichtlinien gegen die drohende Wasserarmut bilden oder bezahlbaren Wohnraum für Bedürftige schaffen.
All diese Themen haben nur wenig mit Digitalisierung einer Stadt zu tun. Der Stopp der Radprojekte in Berlin kann auch als deutliche Absage einer solchen Smart City verstanden werden.
Denn was schon lange nicht mehr nur Klimaaktivist:innen klar ist: Um die Verkehrswende zu schaffen, müssen einige Parkplätze den Radwegen weichen. Das Besondere in Berlin: Die Stadt hat 2018 als erste deutsche Stadt ein Mobilitätsgesetz verabschiedet.
Darin steht: Fahrräder und öffentliche Verkehrsmittel müssen fortan in der Verkehrsplanung Berlins vorrangig behandelt werden. Der Vorstoß der Verkehrssenatorin Schreiner ist nun aber gänzlich das Gegenteil.
Ein Blick in die Smart-City-Strategie Berlins zeigt: Digitalisierung wird großgeschrieben – von konkreten Projekten fehlt jedoch jede Spur. 73 Modellprojekte fördert die Bundesregierung aktuell im Feld Smart Citys. 820 Millionen Euro werden dafür locker gemacht. Welche Projekte das jedoch genau sind, wird nur schwammig umschrieben.
Worauf Kai Wegner aktuell herum denkt, ist eine digitale Parkraumüberwachung. Das hat er sich von Polen bei einem Besuch in Warschau abgeschaut. Doch Mobilitätsforscher Carsten betont: "Wenn man mit dem Fahrrad von A nach B fährt, ist das viel smarter und nachhaltiger, als Parkplätze digital zu überwachen."
Von dieser Einsicht ist bei Wegner keine Spur. Auf der Re:publica-Messe sprach er eine knappe Stunde über die fehlende Digitalisierung in Berlin in Verbindung mit dem Thema Smart City. Doch nicht etwa das Bedürfnis nach einer digitalen Parkraumüberwachung drängt sich vielen Bürger:innen Berlins auf, sondern die Frage: Wann werden die Autos reduziert und Parkplätze eingestampft?
Kai Wegner hatte darauf im Gespräch mit watson eine klare Antwort:
Mobilitätsforscher Carsten stellt Berlin dennoch ein negatives Zeugnis für die Zukunft aus:
Welche Städte aber tatsächliche Vorbilder in Sachen Smart City seien: Zürich, Kopenhagen, Amsterdam oder Oslo. "Denn die haben für viele Jahre verstanden, was ihre Ziele sind", erklärt Carsten.
International liegt Zürich aktuell auf dem ersten Platz als Smart City. Die Stadt ist bekannt als Hochschulstandort, hat einen ausgezeichneten Personennahverkehr und gilt als Stadt in der Schweiz mit ebenjenen lokalen Werten. Davon könne sich Berlin nur eine Scheibe abschneiden, meint Carsten.
Der Stopp der Radausbauprojekte sieht der Zukunftsforscher ebenso kritisch, wie die Digitalisierungsstrategie, die beim Thema Smart City fehl am Platz ist.
Er betont: "Wenn Kai Wegner und Manja Schreiner die einzigen Maßnahmen, die überhaupt in Richtung Smart City gehen, blockieren wollen, ist das genau das Gegenteil von strategischer Intelligenz."