Ab 2024 sollen Menschen legal Gras kaufen können – zumindest dann, wenn sie Mitglied in einem sogenannten "Social Club" sind. Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Drogenpolitik – und ein großes Versprechen aus dem Koalitionsvertrag.
Klar ist aber auch: Cannabiskonsum ist – wie auch der Konsum von Alkohol und Tabak – nicht ungefährlich. Im Interview erklärt die Psychologin Eva Hoch von der Ludwigs-Maximilian-Universität in München, welche Auswirkungen Cannabis auf das Gehirn von Konsument:innen haben kann. Hoch leitet die Forschungsgruppe Cannabis des Instituts für Therapieforschung.
Im Rahmen ihrer Forschung hat sie vor allem mit Menschen zu tun, die von Cannabis abhängig geworden sind. Etwa neun Prozent der Konsument:innen entwickeln eine Abhängigkeit. Ein problematisches Konsumverhalten lasse sich bei allen Substanzen – ob illegal oder legal – auf dieselbe Art und Weise erkennen. Kriterien, die auf ein Abhängigkeitsverhalten hindeuten:
Watson: Frau Hoch, häufig wird angenommen, dass vor allem das Nikotin im Joint abhängig macht, und Cannabis selbst gar nicht so wild ist. Stimmt das?
Eva Hoch: THC, also der rauschbewirkende Stoff der Hanfpflanze, kann bei langem und intensivem Gebrauch sehr wohl abhängig machen. Wir haben ein körpereigenes Cannabinoid-System, dessen Rezeptoren in allen Bereichen unseres Gehirns wirken. Genau dort setzt das THC an. Wenn wir zu viel davon konsumieren, muss sich das Gehirn schützen, indem es die Aktivität minimiert. Wenn man einen Rausch haben will, muss man mehr konsumieren. Diese Dosissteigerung ist schon ein Symptom der Abhängigkeit.
Inwiefern?
Wenn man nicht konsumieren kann, fehlt die Substanz. Die Cannabisrezeptoren im Gehirn "protestieren". Sie wollen "Nachschub". Das sind dann die Entzugsbeschwerden, die man körperlich und psychisch spüren kann. Das Cannabinoid-System wurde erst in den 1990er Jahren entdeckt. Deshalb ist die Cannabisforschung noch recht jung.
Sie sprechen von psychischen Auswirkungen, die Cannabis-Konsum haben kann. Meinen Sie damit Psychosen?
Nicht nur. Psychosen sind natürlich am prominentesten, weil das eine sehr schwere psychische Erkrankung ist. Aber Cannabis kann der Auslöser für eine ganze Reihe von Störungen sein, wie etwa Depressionen, Bipolarität oder auch Angststörungen.
Kann das Jede:n treffen?
Es sind vor allem Menschen davon betroffen, die eine Empfindlichkeit für psychische Störungen haben. Die Droge kann dann ein Stressor sein.
Also quasi der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das heißt, ohne den Konsum wären die psychischen Störungen womöglich gar nicht ausgebrochen?
Generell hat rund ein Drittel der Bevölkerung das genetische Risiko, an einer Psychose zu erkranken. Ob ich selbst in der Risikogruppe für eine psychische Störung bin, kann ich herausfinden, indem ich mir meine Familie anschaue und dort herumfrage: Gibt es dort Bipolarität, Depressionen oder Psychosen? Wenn ja, kann ich davon ausgehen, dass ich auch selbst das Risiko in mir trage. Das genetische Risiko wird dann durch äußeren Stress noch verstärkt.
Für einen sicheren Konsum, müssten Kiffer:innen also sowohl die Familiengeschichte betrachten, als auch auf das Setting achten, in dem sie konsumieren?
Vor dem Konsum sollte die Frage gestellt werden, warum jetzt konsumiert wird. Ist es, weil es mir schlecht geht und ich etwas brauche, dass mich besser fühlen lässt, oder weil ich einen lockeren Abend mit meinen Freunden verbringen will? Wenn ich regelmäßig konsumiere, weil es mir nicht gut geht und ich merke, ich kann mich nur noch mit Cannabis gut belohnen und Probleme ausschalten, dann ist das Potenzial hoch, dass ich in eine Abhängigkeit rutsche. Irgendwann könnte auch der Punkt kommen, an dem morgens nach dem Aufstehen erst einmal ein Joint gedreht wird.
So wie die Kippe, die bereits morgens an der Bushaltestelle geraucht wird. Mit der geplanten Freigabe von Cannabis könnte das ein Bild sein, das in Zukunft auch häufiger mit Joints vorkommt. Wie stehen Sie zu den Ampelplänen?
Die Cannabis-Social-Clubs sind eine gute Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Menschen, die konsumieren möchten, das mit einer gewissen Qualitätskontrolle tun können. Anders als auf dem Schwarzmarkt, wo zum Beispiel CBD-Blüten – die generell keine berauschende Wirkung haben – mit synthetischen Cannabinoiden besprüht oder mit Glas und Blei gestreckt werden. Für den Verbraucherschutz ist das sehr gut – außerdem fällt der Stress der polizeilichen Kontrollen weg.
Aber?
Als Psychologin arbeite ich mit den Betroffenen und sehe die Folgen intensiven Cannabiskonsums. Schon in den letzten Jahren – also vor der geplanten Gesetzesänderung – hat der regelmäßige Cannabiskonsum in Deutschland zugenommen. Jeder zweite junge Erwachsene hat mittlerweile Cannabis-Erfahrung. Wir sollten die künftigen Entwicklungen genau im Auge behalten, weil gleichzeitig gerade eine Bagatellisierung der Substanz stattfindet.
Wie meinen Sie das?
Nur weil es legal wird, ist Cannabis nicht harmlos. Deshalb machen wir als Suchtfachgesellschaften so einen Druck auf die Politik, dass gerade an dem Bereich der Aufklärung nicht gespart wird.
Was halten Sie davon, dass Menschen mit Suchtproblematik THC-haltiges Cannabis durch CBD-Blüten ersetzen?
Das ist eine total gute Idee.
Ach ja?
Es gibt noch keine belastbaren Studien. Aber erste Ansätze aus den USA und Großbritannien legen nahe, dass CBD als Medikament bei Cannabis-Abhängigkeit funktionieren könnte. Also ist es ein guter Ansatz, den einen oder anderen Joint durch einen CBD-Joint zu ersetzen.
Sie haben gerade die synthetischen Cannabinoide angesprochen, die den Schwarzmarkt fluten. Inwiefern sind die besonders gefährlich?
Wichtig ist: Bei normalem pflanzlichen Cannabis stirbt niemand an einer Überdosis, ich kann vielleicht eine unschöne Rauscherfahrung haben, aber das klingt wieder ab. Bei den synthetischen Cannabinoiden ist das anders, weil sie anders im Gehirn wirken. Sie blockieren den Cannabis-Rezeptor voll, dadurch kann es zu Herz-Kreislauf-Krisen kommen, zu Kollapsen oder sogar Todesfällen. Diese Risiken hat natürliches THC nicht.
Viele Blüten, die auf dem Schwarzmarkt erhältlich sind, haben einen extrem hohen THC-Gehalt. Für 18- bis 21-Jährige soll mit der Freigabe eine Obergrenze von zehn Prozent THC gelten. Sind junge Gehirne besonders gefährdet?
Unser Gehirn entwickelt sich bis ins dritte Lebensjahrzehnt. Wenn aber Cannabis oder andere Substanzen konsumiert werden, kann sich die normale Entwicklung verändern. Die THC-Obergrenze nach unten zu verschieben, genügt natürlich nicht. Denn das Risiko hängt auch damit zusammen, wie häufig junge Menschen konsumieren. Ein früher und intensiver Konsum führt zu einem höheren Risiko für psychische Störungen, Depressionen und Psychosen.
Nehmen wir an, ein:e Konsument:in hat eine psychische Störung durch Cannabis entwickelt: Kann das wieder weggehen?
Ja, da kann ich wirklich Mut machen. Möglichst schnell einen Profi suchen, eine Person meines Vertrauens. Es gibt sehr gute suchttherapeutische Ansätze, engagiert arbeitende Suchttherapeuten. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser ist die Prognose. Da sollte niemand lange allein herumdoktern, sondern wirklich so klug sein, sich Hilfe zu suchen.