Nachts um 2 Uhr in Berlin-Reinickendorf. Gläser klirren, dann lodern die Flammen, drei Jugendliche rennen davon – die Koca-Sinan-Camii-Moschee brennt.
Die Gemeinde erfährt noch in der Nacht von dem Anschlag. Menschen wurden nicht verletzt, doch der Schock sitzt.
Fidan Düz, Integrationsbeauftragte im Bezirk Reinickendorf hatte nur Stunden später den Imam am Telefon. "Er sagte, die Moschee sei angezündet worden. Das Ausmaß habe ich aber erst begriffen, als ich davor stand: Das ist wirklich ein Anschlag!"
Die 35-jährige Muslima lebt seit 5 Jahren im Kiez und kennt die Ditib-Gemeinde sehr gut. "Kurden, Türken, Afghanen, alle kommen miteinander klar. Deshalb frage ich mich schon: Wer macht sowas? Warum hier?"
"Nach derzeitigen Erkenntnissen wird von einer politisch motivierten Straftat ausgegangen", so die Berliner Polizei. Der Hintergrund: In ganz Deutschland demonstrierten hunderte Kurden gegen die türkische Militär-Offensive in Nordsyrien. Die Polizei verweist auf den zeitlichen Zusammenhang, Beweise gibt es aber nicht. Die Gemeinde bleibt ruhig, in der Nacht genauso wie an den folgenden Tagen.
In ganz Deutschland gibt es Anschläge auf Einrichtungen mit türkischem Hintergrund, insgesamt vier: In Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen landen Brandsätze in Moscheen, Kulturzentren und Vereinen.
An der Pankower Allee in Berlin versammeln sich derweil Menschen vor den ausgebrannten Räumen. Die Gemeinde muss heute auf dem Parkplatz beten. Die Muslime legen Blumen in die Asche, tragen sich ins Kondolenzbuch an und bringen Gebäck vorbei. Dincer Celik (49) ist einer von ihnen.
Seine Familie war Teil der Gemeinde, bevor sie in einen anderen Bezirk zog: "Unsere Kinder haben hier oft sogar nach Festen übernachtet", sagt er. "Diese Gemeinde ist nicht politisch. Das ist ein Ort zum Beten, sich treffen, Kaffee trinken. Was haben wir mit dem Krieg zu tun?"
Er lebt seit 45 Jahren in Deutschland und hatte sich bislang sicher gefühlt. "Wer auch immer das gemacht hat, kann kein religiöser Mensch sein", sagt er. "Mir tut es leid für die Kurden, die ich kenne. Das sind sehr gläubige Muslime, die würden nie ein Gotteshaus anzünden."
In Nordrhein-Westfalen wird ein türkisches Kulturzentrum angezündet.
In Berlin kann man die Koca-Sinan-Camii-Moschee riechen, bevor man sie sieht. Bis zur Hauptstraße hängt immer noch Schwefel in der Luft.
Die Polizei fährt nun mehrfach am Tag Patrouille. Sie hat Sorge, dass die Situation weiter eskaliert. Doch es bleibt ruhig. "Die Polizei ist jetzt unser bester Freund", erzählt Ömer Arslan (20).
"Es ist wirklich viel kaputt. Vorne waren unser Café und unsere Küche, diese Räume sind ganz verbrannt. Die Gebetsräume können wir auch nicht nutzen, weil alles voller Ruß und Staub ist, also beten wir im Keller, der ist – außer einem Wasserschaden – noch erhalten."
Ömer ist gerührt, dass die Gemeinde so sehr zusammenhält. Dass die Menschen trotzdem kommen, im nassen Keller ihren Gottesdienst abhalten, Spenden und Räume anbieten, sich nicht in Streitereien verfangen. "Natürlich sind alle geschockt. Aber die Stimmung ist friedlich. Alle sind noch enger zusammen gerückt."
Ein Gemüseladen in Berlin-Neukölln wird nachts angezündet. Der Besitzer hatte türkische Wurzeln.
In Reinickendorf hören sie diese Nachrichten, bleiben aber stoisch bei ihrer Marschrichtung: Frieden, Deeskalation.
In einem Brief an die Nachbarn macht die Gemeinde ihren Standpunkt klar: "Wir verurteilen Hass und Gewalt gegen unsere Moschee genauso wie gegen jedes andere friedliche Gotteshaus. Ebenso deutlich verurteilen wir Hass und Gewalt in der Gesellschaft."
Die Brandstifter wurden noch nicht geschnappt, doch online hagelt es Vermutungen: Das war die PKK, mutmaßen einige auf Facebook. Nein, der türkische Geheimdienst, der einen Konflikt entfachen will, so andere Blogger.
Auf diese Diskussion will sich der Imam Baysam Türk gar nicht einlassen. "Unsere Gemeinde weiß nicht, wer dahinter steckt und wird auch nicht spekulieren", sagt er. Dieser Punkt ist ihm wichtig.
"Es gibt viele kurdische Mitglieder in der Gemeinde. Und ich will nicht, dass sich auch nur einer unwohl fühlt. Für mich ist das simpel: Sobald jemand unsere Moschee betritt, ist er mein Bruder. Ethnien interessieren mich nicht."
Neben den verrußten Fenstern der Moschee hängen jetzt Plakate: "In dieser Moschee haben alle Muslime gemeinsam gebetet", steht darauf. "Für stärkere Freundschaften. Gegen Gewalt." Und: "Für Nächstenliebe in unserem Kiez."
400 kurdische Demonstranten ziehen in Hamburg vor das US-Konsulat, um gegen Menschenrechtsverletzungen in Afrin zu protestieren. "Wir stellen fest, dass sich die Konflikte aus dem Internet in die reale Welt verlagern", sagt Marco Haase vom Verfassungsschutz dem NDR.
Der Vorstand der Koca-Sinan-Camii-Gemeinde trifft sich mit anderen Gemeinden zum interreligiösem Dialog im Bezirk. Hier sind sie immer dabei, doch dieses Mal sei es besonders wichtig, erklärt eine Anwesende. "Wir waren uns alle einig: Wir wollen keinen weiteren Hass schüren."
"Der Vorstand sagte: ,Die werfen mit Molotowcocktails, wir antworten mit Blumen. Wir haben den Tätern bereits vergeben und verziehen.' Das ist genau, was auch ich fühle. Wut führt nirgendwohin", so die 41-Jährige.
"Die Menschen hier kommen aus allen Ecken der Welt – Türken, Kurden, Afghanen." Sie kommt aus dem Libanon, die Gemeinde ist ihr zweites Zuhause.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sagt: Der "Islam gehört nicht zu Deutschland".
Schnee fällt auf die Koca-Sinan-Moschee, als das Freitagsgebet beginnt. Die fast 2000 Menschen sind dick eingepackt. Links unter dem Arm der Gebetsteppich. Rechts in der Hand ein heißer Kaffee im Plastikbecher. Einige Nachbarn sind mit Blumen gekommen.
Die Gemeindemitglieder legen ihre Teppiche auf dem Kopfsteinpflaster aus, knien sich auf Socken in den Wind. "Wir wollen unsere Unterstützung zeigen", so eine Gruppe Frauen. Sie legen die Hände auf ihr Gesicht, als die Predigt beginnt. "Der Prophet erklärte, dass Rassismus seitens des Islams klar abgelehnt wird'", tönt es aus dem Mikrofon vorne. "Schließlich ist Rassismus eine geistige Erkrankung, die auf Unwissenheit und Fanatismus beruht und sowohl die Augen, als auch die Herzen erblinden lässt."
Nach zwanzig Minuten packen sie wieder alles ein. In ein paar Monaten werden sie wieder in den alten Räumen beten können, hoffen sie. Da wird es zwar enger als auf dem Platz hier, aber die Gemeinde weiß ja, wie das geht: Nebeneinander zu beten. Knie an Knie, Türke an Kurde.