Drei SPD-Chefs auf einem Bild? Kevin Kühnert (links) mit dem noch amtierenden Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und dessen Co-Chefin Saskia Esken.Bild: imago images / Stefan Boness/Ipon
Meinung
Die Zeit nach Nowabo: Warum die Sozialdemokraten auch künftig einen Chef brauchen, der sich zurückhalten kann
Was war das für ein ekelhaftes Schauspiel, im Juni 2019.
Es war das bisher letzte Mal, dass eine gewählte SPD-Chefin unfreiwillig zurücktrat. Mehrere Bundestagsabgeordnete mobbten damals Andrea Nahles aus dem Amt, mit demütigenden Kommentaren zu ihrer Arbeit als Parteivorsitzende. Es waren Bemerkungen, die an Journalisten durchgestochen worden und die jede und jeder danach lesen konnte. "Nie, nie, nie wieder" dürfe man in der SPD so miteinander umgehen, das schrieb Kevin Kühnert, damals Vorsitzender der Jugendorganisation Jusos, auf Twitter, nachdem es vorbei war und Nahles die Bühne verlassen hatte.
Knapp zweieinhalb Jahre später geht wieder ein gewählter SPD-Chef, aber diesmal aus freien Stücken. Er tut es per Brief, in dem "mission accomplished" steht, Mission erfüllt, nach dem ersten SPD-Bundestagswahlsieg seit 2002, mit der enorm realistischen Chance auf eine sozialdemokratisch geführten Bundesregierung vor Augen.
Sein Arbeitsstil trug in der SPD zu großen Verbesserungen bei
Nowabos Arbeitsstil trug entscheidend dazu bei, dass seit 2019 vieles anders und besser geworden ist in der SPD.
Beim Parteitag vom 10. bis 12. Dezember werden die Sozialdemokraten ihre neuen Vorsitzenden wählen. Danach wird sich zeigen, ob es gut bleibt.
Das wird vor allem davon abhängen, ob Walter-Borjans Nachfolger eine Fähigkeit hat, die bei Spitzenpolitikern extrem selten vorkommt: die Fähigkeit, sich zurückzuhalten.
Manchmal wirkte Nowabo fast schüchtern, bei Pressekonferenzen, Interviews, auf Parteitagen. So einen Chef braucht die SPD auch in Zukunft.
Walter-Borjans hat seit seiner Wahl an die SPD-Spitze im September 2019 an der Seite von Saskia Esken wenig auf die Pauke gehauen. Er, der als erklärter Gegner der großen Koalition mit CDU und CSU angetreten war, erkannte schnell, dass ein Austritt aus der Regierung für SPD mindestens so schädlich gewesen wäre wie für ganz Deutschland.
Er verzichtete darauf, allzu freche Sprüche zu klopfen – und überließ anderen das Rampenlicht: Olaf Scholz, seinem vorherigen Gegner bei der Wahl zum Parteichef, ermöglichte er im Sommer 2020, Kanzlerkandidat zu werden. Daraus ist eine Erfolgsgeschichte geworden, die der SPD fast niemand mehr zugetraut hätte.
Im Bundestagswahlkampf ließen Esken und Nowabo SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil viel Freiheit. Klingbeil hat sie genutzt: für eine seit Herbst 2020 hochprofessionell geplante Kampagne, der fast reibungslos funktioniert hat – völlig anders als die verkorksten Wahlkämpfe von 2013 (wer erinnert sich noch an Peer Steinbrücks Stinkefinger-Foto?) und 2017 (als die SPD die Beliebtheit von Spitzenkandidat Martin Schulz in wenigen Wochen verpulverte).
Wie ruhig Walter-Borjans geblieben ist, das merkte man auch daran, dass die Wahlkämpfer von CDU und CSU sich vor der Wahl fast ausschließlich auf seine Co-Chefin Esken einschossen: Sie stellten sie als angebliche Vertreterin radikalsozialistischer Politik dar. Es war eine Verzweiflungstat.
Die große Bühnen werden Olaf Scholz und die Ministerinnen und Minister der SPD haben
Esken wird aller Voraussicht nach SPD-Chefin bleiben. Zurückhaltung neben ihr an der Spitze, das wird die SPD auch in den kommenden Monaten brauchen: Olaf Scholz, ihren beliebtesten Mann, wird die Partei ja im Kanzleramt sitzen haben, wenn bei den Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP nicht noch etwas fürchterlich schiefgeht. Und Scholz machte am Freitag schon klar, dass er nicht Parteichef werden will.
Wenn die Sozialdemokraten in den Verhandlungsteams also keine groben Fehler machen, dann werden sie weiteren beliebten Vertreterinnen und Vertretern Posten in der nächsten Bundesregierung sichern: etwa Karl Lauterbach im Gesundheitsministerium.
An der Spitze neben Saskia Esken braucht die SPD jemanden, der dem Kanzler und den Ministern nicht in die Parade fährt. Der ihnen die Bühne überlässt. Jemanden, der vermitteln kann zwischen den unterschiedlichen Seelen dieser mit über 400.000 Mitgliedern immer noch größten Partei Deutschlands: zwischen dem linken Flügel um Kevin Kühnert, dem konservativeren Seeheimer Kreis, dem unter anderem Generalsekretär Klingbeil angehört.
Der Punkt ist: Sowohl Kühnert als auch Klingbeil sind momentan heiße Kandidaten auf die Nachfolge Walter Borjans'. Beide gelten als enorm ehrgeizig, beide haben in den vergangenen Jahren ihr Talent bewiesen. Aber beide sind bisher auch deutlich aggressiver aufgetreten als Nowabo, haben politische Gegner mit Attacken gepiesackt und – wie Kühnert 2019 mit seiner Aussage zu einer Kollektivierung großer Unternehmen wie BMW – auch mal für heftigen Gegenwind gesorgt.
Andererseits: der konservativere Klingbeil und der linke Kühnert haben in den vergangenen Monaten regelmäßig ihre Männerfreundschaft zur Schau gestellt, miteinander gewitzelt, haben öffentlich kein böses Wort übereinander verloren.
Vielleicht liegt der Juni 2019 wirklich längst weit hinter der SPD.
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