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AfD triumphiert, Grüne und CDU zerfleischen sich: Hört auf mit dem Kindergarten!

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Die in Teilen rechtsradikale AfD liegt in Umfragen mit der SPD gleichauf.Bild: imago images / Jan Huebner
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AfD triumphiert, Grüne und CDU zerfleischen sich: Hört auf mit dem Kindergarten!

Die AfD ist auf einem Rekordhoch – und statt an sich selbst zu arbeiten, bewerfen sich Grüne und CDU gegenseitig mit Dreck. Das ist verdammt kindisch und dazu noch kontraproduktiv, findet unsere Autorin.
07.06.2023, 15:58
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Eine gute Opposition drückt den Finger auf die Wunde, streut vielleicht ein bisschen Salz rein – es soll ja weh tun – und gibt Vorschläge, wie eine Heilung aussehen könnte.

Eine schlechte Opposition sieht die Wunde, sieht den Verursacher, sieht den Verwundeten – und versucht mit Ach und Krach den Verletzten ausbluten zu lassen.

Wer jetzt glaubt, der Verletzte in diesem Bild sei die Regierung, der oder die liegt falsch. Denn es ist nicht die Ampel-Regierung, die gerade vor dem Abgrund steht.

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Die rechts außen und in Teilen auch rechtsradikale AfD befindet sich auf einem Rekordhoch. Im "Deutschlandtrend" der ARD hatte die AfD zuletzt bundesweit mit 18 Prozent mit der SPD gleichgezogen – und die Grünen damit überholt. Kurz darauf veröffentlichte die "Bild am Sonntag" eine Insa-Umfrage. Das Ergebnis: Die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte AfD liegt hier bei 19 Prozent, wieder gleichauf mit der SPD.

"Nicht nur SPD, Grüne und FDP leiden, weil die rechte Pseudopolitik der AfD Anklang findet – sondern wir alle."

Rechtsextreme und populistische Aussagen werden mehr und mehr salonfähig. Unterkünfte für Geflüchtete brennen. Europa macht die Grenzen dicht. Abschottung. Verschwörungsideologien gehören zum täglich Brot am Frühstückstisch, Antisemitismus und LGBTIQ+-Feindlichkeit nehmen zu. Angriffe auf queere Menschen werden normalisiert.

Es tut nicht allein den Grünen weh, dass sie überholt wurden. Nicht nur SPD, Grüne und FDP leiden, weil die rechte Pseudopolitik der AfD immer mehr Anklang findet – sondern wir alle.

Aber was passiert gerade?

Die CDU – allen voran deren Vorsitzender Friedrich Merz – zeigt mit dem Finger auf die anderen. Genauer gesagt eben auf die Grünen. Und die? Die sehen sich in der Defensive, reagieren mit ähnlichen Anschuldigungen.

"Du bist schuld!" "Nein, du!" – Leute, hört doch auf mit diesem Kindergarten! Mit so etwas macht sich Politik unglaubwürdig, Menschen werden entweder zunehmend genervt und haben gar keine Lust mehr, sich damit überhaupt zu beschäftigen oder sie spielen das Spiel mit, radikalisieren sich.

Berlin, Deutschland 23. Mai 2023: 105. Sitzung des Deutschen Bundestags - 2023 Statments der Fraktionsspitzen am Vortag Im Bild: Friedrich Merz CDU Deutscher Bundestag Berlin *** Berlin, Germany 23 Ma ...
Friedrich Merz gibt den Grünen die Schuld für die guten Umfragewerte der AfD.Bild: IMAGO / Fotostand

Doch in Berlin kommt es wohl nicht an, dass Show-Off-Politik lange nicht mehr zeitgemäß ist.

Hier mal ein paar Beispiele:

Die stellvertretende CDU-Generalsekretärin Christina Stumpp postete auf Twitter eine Infografik, in der die Wähler:innen-Wanderung dargestellt wird. Ihr Vorwurf: "34 Prozent der AfD-Zuwächse haben zuvor SPD, Grüne oder FDP gewählt. Die Ampel lenkt von ihrem eigenen Versagen ab, wenn sie uns jetzt Spaltung vorwirft."

Was Stumpp allerdings "vergisst" zu erwähnen:

  • Sie fasst die Abgänge von drei Parteien zusammen und vergleicht diese mit denen ihrer Partei. Fakt ist: Drei Parteien haben 34 Prozent an die AfD verloren. Die CDU/CSU als (quasi) einzelne Partei allein 24 Prozent.
  • Es handelt sich bei diesen Zahlen um kein offizielles Wahlergebnis, sondern um eine Umfrage. Statistische Fehler gibt es immer wieder, Wahlergebnisse sehen selten so aus, wie die Umfragen und außerdem: Es ist leicht, zu sagen, man wolle die AfD wählen – es dann auch zu tun, ist eine ganz andere Hausnummer.

Friedrich Merz schreibt in seinem Newsletter "Merz Mail":

"Diese Denkzettel treffen derzeit vor allem die Grünen, die mittlerweile nur noch die eigene Klientel erreichen, aber außerhalb davon mit ihrer penetrant vorgetragenen Volkserziehungsattitüde auf besonders starken Widerstand stoßen. Im normalen Leben beschäftigen sich die Menschen nicht mit 'Indianern' und 'Mohrenstraßen', sondern mit Inflation und Wohnungsnot."

Fakt ist, dass sich die Grünen seit Jahren kaum mit solchen Themen auseinandersetzen. Auch das Gendern, das gern von konservativer und rechter Seite als Argument aufgefasst wird, ist in der grünen Realpolitik eigentlich kein Thema. Womit sich die Grünen beschäftigen: Heizen, Energie, Wohnungsnot, Lebensmittelpreise, Geflüchtete.

Mag sein, dass die Meinungen über die Herangehensweisen weit auseinanderliegen. Mag sein, dass die grünen Antworten auf diese Fragen den Konservativen und Rechten nicht gefallen. Das ist okay, deshalb ist Demokratie ja so schön: Wir alle dürfen andere Meinungen haben und das auch kundgeben!

Aber die immergleichen und grundsätzlich in der momentanen Politik irrelevanten Themen aufzukochen – bei denen klar ist, dass sie von Rechten zum Hassobjekt erklärt wurden – ist leider Gottes nichts anderes, als Populismus.

Es werden Infografiken – vielleicht ja sogar mit Absicht? – falsch gelesen, es wird das altbekannte Polterthema "Gendern" ausgekramt und es wird sich lustig gemacht. Ironie und Sarkasmus waren noch nie gute Zeichen für eine gute Politik.

Und das gilt auch nicht nur für die CDU.

Auch die Grünen melden sich zu Wort, fühlen sich offenbar ganz schön angegriffen (werden sie ja auch), und stampfen wie ein wütendes Kleinkind mit den Füßen auf den Boden.

Wenn ein grüner Agrarminister Cem Özdemir bei Markus Lanz in der Sendung sitzt und in seinem Redebeitrag durchaus kluge Dinge zur Zuspitzung im gesellschaftlichen Diskurs sagt, wirkt das erst einmal alles sehr einleuchtend. Er spricht über Julian Reichelt, den ehemaligen Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, der "selbst der Bild zu irre ist". Er spricht über den rechten Blogger Roland Tichy – und dass dann Politiker aus demokratischen Parteien die Aussagen dieser rechten Bubble wiedergeben.

Alles richtig.

Aber ein Detail hätte den Zuschauenden vielleicht noch auffallen können. Während Özdemir von den Politiker:innen spricht, die diese Aussagen verbreiten, zeigt er auf seinen Diskussionspartner Peter Altmaier, ehemaliger CDU-Wirtschaftsminister. Damit sagt er (nonverbal): Deine Leute machen das!

Der Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, Erik Marquardt, war offenbar so getroffen von Merz' Newsletter und seinem Tweet zum Gendern, dass ihm wohl nichts anderes einfiel, als mit Sarkasmus zu reagieren.

Die Aussage selbst ist witzig, sie ist etwas, das man gern auf sozialen Medien teilt, wenn man die Meinung der Grünen teilt. Marquardt schrieb:

"Es ist ja auch logisch, denn man kann in vielen Geschichtsbüchern nachlesen, dass der Grund für Faschismus, Diktatur und Weltkriege auch in der Vergangenheit fast immer eine genderneutrale Toilette war."
18.01.2023, Frankreich, Straßburg: Erik Marquardt (Bündnis 90 Die Grünen, Fraktion Die Grünen/EFA) steht in seinem Büro im Gebäude des Europäischen Parlaments. Auf der Agenda der viertägigen Plenarwoc ...
Erik Marquardt reagiert mit Sarkasmus auf Friedrich Merz' Anschuldigungen.Bild: dpa / Philipp von Ditfurth

Aber was genau nutzt uns dieser Sarkasmus? Was genau bringt es, dass jetzt demokratische Parteien mit dem Finger aufeinander zeigen und versuchen, sich gegenseitig bei Mama Deutschland zu verpetzen?

Tatsächlich sollten sich alle demokratischen Parteien endlich mal an die eigene Nase fassen und sich überlegen, was sie denn falsch gemacht haben, wenn so viele Menschen offensichtlich enttäuscht wurden.

"Vor allem sollten alle demokratischen Parteien endlich geschlossen gegen Populismus und Rechtsextremismus stehen."

Die CDU sollte sich der Sozial- und Politikwissenschaft endlich einmal zuwenden und lernen, dass es stimmentechnisch nichts bringt, den Populismus der Populisten zu übernehmen. Grüne, SPD und FDP sollten sich schleunigst daran machen, die im Koalitionsvertrag versprochenen Reformen sozialverträglich und menschenrechtskonform umzusetzen – und damit zeigen, dass eine gute Politik nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird.

Und vor allem sollten alle demokratischen Parteien endlich geschlossen gegen Populismus und Rechtsextremismus stehen.

Militärische Reform: Was Pistorius mit der Bundeswehr plant

"Kriegstüchtigkeit" ist das erklärte Ziel für die Bundeswehr, auch wenn der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) das Wort während seiner Pressekonferenz am Donnerstagmittag nicht mehr explizit erwähnte. Verabschiedet habe er sich von dem Wort allerdings keineswegs, betonte er auf Nachfrage eines Journalisten. "Ich verstehe, dass sich einige an dem Wort reiben", er werde es aber dennoch weiter benutzen.

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